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WÜRZBURG: SALOME . Premiere

06.04.2014 | KRITIKEN, Oper

WÜRZBURG: SALOME am 5.4.2014 (Premiere)

 Worum geht es eigentlich in Richard Strauss‘ „Salome“? Ein geiler Voyeur ist scharf auf den Körper eines Teenagers. Weil er einen Wunsch freistellt, kriegt er, was er will. Aber zu seinem Entsetzen fordert die kleine Bitch den Kopf eines Gefangenen – auf einer Silberschüssel. Sie bekommt, was sie will. Am Ende gibt er den Befehl, das „Weib zu töten“.

Alexander von Pfeil hat in Würzburg die Geschichte von Salome in etwa so erzählt. In einem Siebziger-Jahre Setting von Piero Vinciguerra: ein leerer Swimmingpool, Betonwände, die bessere Zeiten gesehen haben, eine wüstenbraune Natursteinmauer im Hintergrund. Heiße Partymusik, Gelächter, ein knutschendes Pärchen. Das Drama beginnt beiläufig, quasi aus dem Nichts heraus. Nur die Atmosphäre trägt Unheil: Dunst liegt in der Luft, unterschwellige Aggressivität knistert zwischen den jungen Leuten.

Die Stimmung kippt, als eine Stimme ertönt: dumpf, wie von ferne, wie die Lautsprecherstimme einer fernen, irritierenden Macht. Der Gefangene in der Zisterne erinnert an etwas, das dem feiernden Partyvolk denkbar egal ist: „lächerliche Dinge“. Worte über jemanden, der Blinden die Augen öffnet und Tauben die Ohren. Und der Tote aufweckt, dass sie wiederkommen: Eine Schreckensvision für einen Mann wie Herodes, dem das leichtfertig vergossene Blut förmlich an den Händen klebt.

Von Pfeil, der an der Deutschen Oper Berlin unter Kirsten Harms mit so mancher Inszenierung gescheitert ist, beobachtet – wie bereits in Verdis „La Forza del Destino“ vor drei Spielzeiten – unbequem zugespitzt. Ein degoutanter Krimi in einer eiskalten Gesellschaft, deren Genusssucht stets hart am Überdruss schrammt. In der „Werte“ nur noch im Zwang zu gruppenkonformem Verhalten bestehen. Menschen, die jedes Gefühl dafür verloren haben, dass es jenseits des gerade verfügbaren Reizes, jenseits des narzisstisch-infantilen „jetzt und gleich“ Habenwollens noch anderes geben könnte – das Geheimnis der Liebe und des Todes zum Beispiel.

Geliebt wird hier nicht, gestorben dafür ausgiebig: Wenn aus Narraboths Leiche (Yong Bae Shin) langsam das Blut herausquillt, ist das eher peinlich als traurig. Frau Herodias wird ein bisschen hysterisch, deswegen deckt man mit einer Plastikplane die Leiche hastig ab, damit sie der Tetrarch nicht sieht. Der rutscht im Blut aus, sieht den Toten doch, aber das kümmert ihn nicht weiter. Das Objekt stört bei der Party, deswegen: Weg damit! Und am Ende wird keineswegs „das Weib getötet“, denn Herodes ist viel zu schwach, seinem Befehlen Nachdruck zu verleihen. In dieser Inszenierung ist er der Verlierer: Mit gemeinem Lachen schießt Herodias seinen rührend loyalen Leibwächter, großartig dargestellt von Herbert Brand, über den Haufen.

Die Frauen verlassen den Schauplatz im Triumph. Sie haben erreicht, was sie wollten: den Kopf des Joachanaan. Salome, so sieht Alexander von Pfeil die Konstellation, rutscht in die Rolle des Werkzeugs ihrer Mutter und akzeptiert sie: Der Prophet mit seinem unbequemen Moralismus muss weg. Den Mund zu küssen, das ist für Salome offenbar der Sieg eines sexuell geladenen Machttriebs, für den der Mann aus der Wüste vorher absolut unempfindlich war. Jochanaan zeigt sich, als er aus dem vergitterten Loch der Zisterne gezogen wird, als nahöstlich anmutender Intellektueller mit Bart und dem weißen Anzug der Unschuld. Auf einer alten Reiseschreibmaschine tippt er seine Manifeste. Leider klingt die Stimme von Johan F. Kirsten aus dem Lautsprecher – ein Moment der Distanz, dem musikalischen Eindruck nicht zuträglich; aber Kirsten zeigt sich auch so mit den Legati und der Höhe überfordert.

Der Coup gegen den verkommenen Tetrarchen gelingt. Herodes hatte sich immerhin noch eine Ahnung bewahrt, dass der Prophet auf etwas anderes als seine hedonistische Lebenswelt verweisen könnte. Er ist zu schwach, daraus Widerstand gegen sich selbst zu entwickeln: Er muss den Tanz der Salome haben, koste es, was es wolle. Was er in von Pfeils Regie bekommt, ist eine öffentliche Fellatio: Zuspitzung der sexuellen Gier des Herodes, die ja die Szene des „Schleiertanzes“ nur mühevoll verbrämt darstellt.

Diese „Salome“ ist spannend, dicht und konsequent erzählt, doch dennoch bleiben Zweifel. Denn Alexander von Pfeil spürt der wichtigsten Beziehungslinie des Stücks, der zwischen Salome und Jochanaan, nicht nach. Mehr noch, er erklärt auch den Wandel der Titelfigur von einer braven amerikanischen Upper-Class-Tochter zu einem perversen Vamp nicht. Die innere Logik des Stücks, seine transzendentale Tiefendimension, werden einer gut erzählten Geschichte geopfert: Reduziert auf Sex, Gewalt und Langeweile, bleibt sie eben wenig mehr als eine Society-Story.

Da waren die früheren Deutungen der „Salome“ auf Würzburgs Bühne überlegen: Die von Wolfram Dehmel 1984, der im Kuss den Eintritt Salomes in eine ganz andere Existenzmöglichkeit entdeckt hat. Und die von Robert Lehmeier, der den fantasielosen Eisschrank-Realismus einer übersättigten Macht-, Konsum- und Erlebnisgesellschaft schon 1999 auf die Bühne gebracht hat, aber das ambivalente Dreieck Herodes – Herodias – Salome in seinen vielen Schichten tiefer durchleuchtet hat. Vielleicht ist die neue Würzburger „Salome“ auf ihre Weise auch ein Spiegel unserer Zeit: als rasante, mit viel Körpereinsatz (ein Lob der Statisterie!) erzählte Story mit einem unmittelbar überzeugenden Plot ohne viel Hintergrund.

Anders die musikalische Deutung: Enrico Calesso macht das ganz anders als sein Vorgänger vor dreißig Jahren. Wolfdieter Maurer hat in Strauss‘ Musik damals das Elementare entdeckt, auch das Brachiale; er ließ grelle Blumen auf fauligem Sumpf erblühen. Jonathan Seers hat vor 15 Jahren sehr kontrolliert dirigiert, auf Struktur und Tiefenschärfe geachtet. Enrico Calesso nun lässt diese eher analytische Sicht nicht außen vor, aber er transzendiert sie in eine faszinierende Entwicklung von einem geradezu impressionistisch verschleierten Beginn zu einer fulminanten Attacke im Finale.

Gut, die wuchernde, gefährliche Sinnlichkeit riskanter Klänge, das harte Zuschlagen peitschender Akzente dämpft er ab, aber dieser Verlust wird mehr als aufgewogen durch die subtile, bis in filigrane kammermusikalische Momente ausmodellierte Farbigkeit des ausgezeichnet agierenden Orchesters. Die von Strauss selbst reduzierte Orchesterfassung kommt dabei dem trockenen Würzburger Haus sehr entgegen: Der gestalterische Zugriff en detail wirkt unverdeckt auf das Ohr des Zuhörers. Aber Calesso gelingen auch die atmosphärischen Klänge dräuender Ungewissheit – Strauss war ein genialer Harmonie-Dramatiker – und die Momente, in denen die Musik präzise und scharf zuschlägt wie ein angreifender Tiger. Das Orchester sorgte für einen Abend, der unter die Haut geht.

Mehr als redliche Mühe auch bei den Sängern: Bühnenpräsenz und stimmlicher Einsatz waren vorbildlich. Nazarener, Soldaten, Juden, zum Gutteil aus dem Chor besetzt, zeigten sich ihren vertrackten Partien musikalisch voll, stimmlich nur zum Teil gewachsen. Ein Unding ist, einen so stimmschönen Sänger wie Joshua Whitener als einen der Juden zu verschleißen: Das sind Umstände, die erst denkbar sind, seit Häuser wie Würzburg jenseits künstlerischer Erfordernisse unerträglich heruntergespart werden.

Das Mainfrankentheater hat mit Paul McNamara einen regelmäßigen Gast, der in der Partie des Herodes wieder einmal seine Stärken ausspielen konnte: kein krähender „Charakter“-Tenor, sondern ein aus dem Vollen schöpfender Sänger, der den haltlos-wirren Charakter des Herodes bis in die tiefen Kammern seines flatternden Herzens erfasst. Sanja Anastasia als elegant gekleidete Herodias (Kostümbildnerin Katharina Gault macht einen tollen Job!) setzt einen schneidenden, manchmal zu undifferenziert knalligen Mezzosopran ein: eine Frau, die auch mit Koks in der Nase ihren rachgierigen Plan verfolgt.

Und Karen Leiber als Salome? Sie lädt den Wunsch nach dem „Kopf des Jochanaan“ mit glühender Stimme mit gefährlichem Nachdruck auf. Sie erfüllt den Schlussgesang mit Intensität und sinnlichem Feuer. So lässt sie beinahe vergessen, dass sie ständig am Rand ihrer vokalen Möglichkeiten operiert – und ihn in den dramatischen Sprüngen und Attacken bisweilen überschreitet: Dann fehlen der Sängerin, die etwa als Lady Macbeth brillierte, die Reserven, die man für die Salome mitbringen muss. Dennoch: Bis auf ein paar Regie-Puristen überzeugte der Abend das Publikum, das seinem GMD, den Sängern und dem Produktionsteam mit enthusiastischem Beifall dankte.

Werner Häußner

 

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