WÜRZBURG / Neubaukirche „Die Hirten bey der Krippe zu Bethlehem“. Oratorium von Joseph Eybler
am 7. 12. (Werner Häußner)
Immer wieder staunen lässt das respektable Niveau der Wiener Musikproduktion zur Zeit Mozarts – wenn es einmal die Gelegenheit des Hörens gibt. In Würzburg nahm sich der Monteverdichor unter Matthias Beckert eines weihnachtlichen Oratoriums von 1794 an: „Die Hirten bey der Krippe zu Bethlehem“, geschrieben von Joseph Leopold Edler von Eybler, spät geadelter Spross eines Schulmeisters und Chorleiters aus Schwechat.
Eybler (1765 – 1846) hatte in der Wiener musikalischen Szene zwischen Mozart, Beethoven, Salieri und Schubert beachtliche Stellungen inne: Chordirektor bei den Karmeliten und am Schottenstift, Vizehofkapellmeister und wirklicher kaiserlicher Hof-Klaviermeister, später als Nachfolger Antonio Salieris Hofkapellmeister. Sein reiches Œuvre als Komponist ist nicht recht erschlossen. Eine Eybler-Edition müht sich darum, die zahlreichen Messen und anderen geistlichen Kompositionen, seine Orchester- und Kammermusik der Wissenschaft und der Musikpraxis in quellenkritischen Urtext-Ausgaben zu erschließen.
Unter seinen beiden Oratorien ist dasjenige zu Weihnachten das bekanntere; es existiert auch eine Plattenaufnahme. Eine Aufführung verlangt einigen Aufwand: Eybler sieht das übliche Orchester seiner Zeit plus drei Posaunen vor, aber vor allem Solo-Sopran und -Mezzosopran wollen anspruchsvoll besetzt sein. War doch die Sängerin der Uraufführung keine Geringere als Mozarts früherer Schwarm Aloisia Weber, später verheiratete Lange; eine der berühmten „geläufigen Gurgeln“ der Zeit.
Anna Nesyba in Würzburg konnte es der „Weberischen“ nicht ganz gleich tun und ließ vorsichtshalber die extremen Höhen weg. Dennoch hat sie in ihren beiden Arien alle Register des Ausdrucks und der technischen Virtuosität zu ziehen. „Er ist’s. Gott selbst in Fleischeshülle“ erinnert mit ihren Raketen und Läufen unwillkürlich an Mozarts „Königin der Nacht“. In der Arie „Bald weidet sich am Kind ihr Blick“ wird betrachtend ein Bild der Mutter Gottes aus der Perspektive der Hirten geschildert.
Eybler wählt dafür nicht nur eine aparte Pizzicato-Begleitung, sondern auch die einfach-eingängige Machart, wie sie aus vielen „Hirtenmessen“ bekannt ist. Die Sängerin, seit dieser Spielzeit in Kassel engagiert, meidet opernhafte Brillanz, nimmt sich fast mädchenhaft zurück, gestaltet mit fein leuchtendem Ton, mit entspannt gebildeten Verzierungen. Nur die Höhe ist manchmal, statt locker gerundet zu klingen, an den harten Gaumen gedrückt.
Auch Barbara Bräckelmann bekommt mit zwei Rezitativen und einer herausfordernden Arie Gelegenheit, eine solide Technik und viel musikalisches Einfühlungsvermögen zu präsentieren. „Das Kind streckt seinen Arm“ schildert das Jesuskind, das den Hirten mit warmem Herzen und leuchtenden Augen entgegenstrahlt. Die Altistin gestaltet die beschauliche Idylle mit einer warmen, flexiblen Stimme. Die elegante Kadenz gelingt ihr nebst sauber geformtem Triller ohne Anstrengung.
Den Tenor hat Eybler gerecht bedacht: Auch er hat drei Solostücke. Die Arie „Sehr, Hirten, den Heiland“ fordert die Tierhüter – und damit gleichsam die Zuhörer – auf, sich selbst dem göttlichen Kind als Opfer darzubringen, und unterstreicht die heilsgeschichtliche Bedeutung des Knaben in der Krippe. Johannes Strauss zeigt einen gepflegten Oratorien-Tenor, hell und präsent, mit guter Höhe. Manchmal – etwa im Quartett des zweiten Teils – muss er leicht forcieren, um einen vollklingenden Ton zu erreichen.
Für den Bass sieht Eybler eine einzige, dafür aber prachtvolle Arie vor, die auf den König und Friedensfürsten und damit auf die kosmische Bedeutung Christi verweist. Jean-Christophe Fillol ließ trotz einer klar geformten Stimme die Chance des Gestaltens weitgehend sausen: Im Rezitativ „Zeuch nun, jauchzend fromme Schar“ artikulierte er nachlässig. Es mag dem kurzfristigen Einspringen geschuldet sein, dass Fillol die pompöse, an den Helden einer großen Oper erinnernde Arie al-fresco sang und den Ton nicht stetig bildete.
Den Chor hat Eybler sparsam eingesetzt. Aber die beide „Abtheilungen“ abschließenden Sätze sind umso anspruchsvoller. Sie bestätigen das zeitgenössische Urteil über die „gründliche Satzkunst“ des Komponisten. Und ihre sichere und klangschöne Wiedergabe zeigt, dass der Monteverdichor nicht grundlos beide Preise – für Frauen- und für Männerchor – beim jüngsten Chorwettbewerb des Bayerischen Musikrats im November in München abgeräumt hat. Im Mai 2014 wird Matthias Beckerts Chor den Freistaat Bayern beim Deutschen Chorwettbewerb in Weimar vertreten.
Die angeregten Tempi und der festlich volle, aber nie dicklich übertriebene Klang, die Präzision der Einsätze, die Ausgewogenheit der Stimmgruppen, die klare Artikulation sprechen für die intensive Arbeit, die Beckert mit dem Ensemble leistet. Dies ist umso erfreulicher, als die Sorgfalt einer Musik gilt, die lange vergessen war und deshalb eines engagierten Anwalts bedarf, um ihre Qualitäten zu entfalten. Auch die Thüringer Symphoniker aus Saalfeld/Rudolstadt nahmen Eyblers Musik ernst und ließen in ihrem plastischen Spiel erfahren, wie differenziert die Farben der Instrumente eingesetzt sind und wie kunstvoll Eybler mit einem Satz umgeht, der an harmonischer Tiefe kaum etwas wünschen übrig lässt.
Der 250. Geburtstag Eyblers im Jahr 2015 ist eine Chance: Vielleicht nehmen sich auch andere Ensembles dieser Musik an. Von den knapp 80 Minuten Musik in der Würzburger Neubaukirche jedenfalls ist keine umsonst verronnen. Für den Monteverdichor wartet die nächste Herausforderung: Am 15. und 16. Februar 2014 steht Arthur Honeggers „Johanna auf dem Scheiterhaufen“ auf dem Programm.
Werner Häußner