Schumann-Quartett. Copyright: Kaupo Kikkas
WÜRZBURG / MOZARTFEST – Eröffnungskonzert mit der Camerata Salzburg, dem Schumann Quartett und Annelien van Wauwe unter Hartmut Haenchen
am 25.5.2018 (Werner Häußner)
Golden sinkt die Sonne hinter den Türmen des Würzburger Domes. Ihre satten Strahlen leuchten hinein ins Dämmerlicht der Halle, in der zu fürstbischöflicher Zeit die Chaisen vorfuhren, um hohe und höchste Herrschaften an der Schwelle zu Balthasar Neumanns genialem Treppenhaus abzusetzen. Heute schreiten keine demütigen Besucher mehr dem Fürstbischof entgegen, der sie unter dem Kosmos von Giovanni Battista Tiepolos Deckenfresko empfängt. Jetzt drängen sich die Besucher des Würzburger Mozartfestes ungeacht‘ wes Rang‘ und Standes in die Residenz, um im Kaisersaal dem Eröffnungskonzert zu lauschen. Wenn die Sonn‘ am höchsten steigt, ist in Würzburg Festeszeit.
An solchen Sonnenabenden verlischt dann das Kupferlicht allmählich, wandelt sich in ein azurnes, dann tiefes Blau, weicht schließlich, während Mozarts Musik den Saal erfüllt, dem samtigen Blauschwarz der Nacht. An diesem Eröffnungsabend war es anders: Schleier zogen auf, das Licht trübte sich ein, die hohen Fenster füllten sich mit weißlichem, dann immer rauchigerem Grau. Und obwohl die Luft lind und angenehm blieb, zeigte der Himmel schließlich eher ein stumpfes Blaugrau als den warmen Ton eines sommerlichen Sternenhimmels.
Nicht nur wegen wundervoller Stimmungen ist das Licht ausführlicher Erwähnungen wert: In diesem Jahr passt die Lichtsymbolik zur programmatischen Ausrichtung des Mozartfestes: „Aufklärung, Klärung, Verklärung“ heißen die Leitbegriffe. Vom Dunkel zum Licht, ein nicht nur bei Beethoven auftauchender metaphorischer Weg, charakterisiert das Jahrhundert der Aufklärung treffend. Die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht und zernichten der Heuchler erschlichene Macht, formuliert das Finale der „Zauberflöte“ geradezu programmatisch. Das Licht des sich mündig und frei findenden Geistes soll alles überstrahlen.
Bleiben wir in der Lichtsymbolik, ist das stumpfe Grau dieses Abends auf merkwürdige Weise passend: Denn wir müssen nicht nur auf das Scheitern aufklärerischer Ideale blicken. „Was in Tausenden von Jahren nicht geschafft wurde, haben die letzten 200 Jahre an Zerstörung angerichtet. Auch das hat mit der Aufklärung zu tun“, sagt Intendantin Evelyn Meining in ihrer Eröffnungsrede. Wir erleben zu Beginn des Abends noch dazu eine geschlagene Dreiviertelstunde Reden – des Oberbürgermeisters (ausufernd), des Vertreters der Staatsregierung (die gerne gewählten Allgemeinplätze) und der Intendantin (knapp, dicht, diszipliniert). Sicher, Justizminister Winfried Bausback war im Verkehr stecken geblieben; die Nennung aller möglicher prominenten Besucher sollte bis zu seinem Eintreffen Zeit schinden. Das Problem liegt eher im Grundsätzlichen: Immer mehr macht sich nämlich breit, dass sich bei solchen Anlässen Politiker und Sponsoren zu rhetorischen Ergüssen veranlasst sehen, wo es doch der Kunst gelten sollte.
So freundlich ein kurzes Willkommen wirkt, so lästig sind ellenlange namentliche Begrüßungen und Grundsatzreden, so als sei es ein Verdienst, ein Konzert zu besuchen oder Kultur politisch zu ermöglichen. Zumal – und hier sind wir wieder beim Grau des Abends – ein Minister über Aufklärung spricht, dessen Regierung soeben ein Polizeiaufgabengesetz verabschiedet hat, das – jedenfalls nach Überzeugung der Kritiker – tief in die Freiheitsrechte der Bürger eingreift. Und wie weit Datenhandel und Staatstrojaner mit der Idee eines aufgeklärten Citoyens vereinbar sind, dürfte in der Debatte doch einiger sehr spitzfindiger Argumentationen bedürfen.
Als dann endlich die Musik zu Wort kommt, sorgt Hartmut Haenchen für Erlösung: Der „Dirigent des Jahres 2017“ animiert in der von ihm rekonstruierten Sinfonia zu „Il re pastore“ (KV 208/102) die Camerata Salzburg nach einem kräftigen Auftakt-Dreiklang zu einem flüssigen Crescendo und markanten Piano-Forte-Kontrasten, stellt die spannungsvolle Harmonik in der Bassstimme heraus, lässt den Sechs-Achtel-Takt im Andantino luftig schwingen und gibt der Oboe Raum zu kantabler Entfaltung.
Mit einer solchen stark an die Oper angenäherten Rhetorik leuchtet Haenchen auch die harmonischen und kontrapunktischen Tiefenstrukturen der „Jupiter“-Sinfonie (KV 551) aus. Es geht ihm nicht um saftige Dramatik, obwohl er auch im Kopf- und im Finalsatz von Mozarts letzter Sinfonie dynamische Gegensätze schärft und Akzente pointiert. Die Intensität des Klangs und die unwirschen Reibungen rücken gerade den Finalsatz nahe an Beethoven. Aber er lässt, um im Bild zu bleiben, keine heftige Debatte führen, sondern das Gespräch der Stimmen entwickelt sich vernünftig, ohne aufwallende Hitze. „Nicht zu viel und zu wenig“, um es mit Mozart zu sagen.
Vernunft heißt in Haenchens Fall eben auch, genau zu artikulieren, keine Details zu verdecken, in belebter Agogik den Fluss der Musik flexibel und sprechend zu halten. Trompeten und Hörner zum Beispiel sind diskret genug, um sich in der heiklen Akustik des Saales nicht vorzudrängen. Im Andante betont er das „cantabile“ nicht zu sehr, lässt es nicht zu unbeschwert fließen. Die Camerata Salzburg folgt ihm mit Lust am Färben und Akzentuieren, nur bei den Streichern lässt für Momente die Phrasierungs-Konzentration nach. Der vierte Satz beginnt eher leicht als intensiv-fiebrig; Haenchen glättet nichts an den komplexen, ins Dissonante reichenden Verläufen, er mäntelt sie nicht in Eleganz ein, sondern stellt deutlich betont heraus, mit welcher gedanklichen Tiefe Mozart dieses Finale entworfen hat.
Der zweite Vorname verbindet sie, der künstlerische Ernst auch, der sich in einer konsequenten Unnachgiebigkeit auf dem eigenen Weg zeigt: Karl Amadeus Hartmann hat seinen Platz zwischen den beiden Mozart-Werken, und Haenchen stellt ein ungewöhnlich besetztes und daher wohl allzu selten zu hörendes Werk vor, das 1969 uraufgeführte Kammerkonzert für Klarinette, Streichquartett und Streichorchester. Ein fragiles, diffiziles, verhaltenes Stück, ohne Bravour und Äußerlichkeiten, auch wenn sich im zweiten und dritten Satz, den Tanz-Variationen und einer Fantasie, Rhythmus-Temperament und Streicher-Turbulenz ihre Bahn brechen. Das jung besetzte Schumann Quartett, „artiste etoile“ des diesjährigen Mozartfestes, absolviert den ersten seiner acht Auftritte bravourös, mit fein schimmernden Klängen und einer kaum zu erschütternden Präzision. Und Annelien van Wauwe lässt ihre Klarinettentöne leuchten – ob sie sich zögernd in vielfachem Pianissimo ihren Weg suchen, ob sie frei schweifen, als wären sie aus einem momentanen Gefühl heraus improvisiert oder ob sie sich jubelnd in den tänzerischen Elan stürzen.
Das Würzburger Mozartfest hat die ersten seiner rund 60 Veranstaltungen hinter sich. Bis 5. Juli 2018 folgen noch Höhepunkte wie ein Liederabend mit Marlis Petersen (30. Mai), Anton Bruckners Siebter Symphonie im Dom mit den Bamberger Symphonikern unter Manfred Honeck (2. Juni), ein Symphoniekonzert mit den Bambergern und dem Schumann Quartett (6./7. Juni) im Kaisersaal der Residenz, ein Auftritt der Tallis Scholars (14. Juni), das La Cetra Barockorchester Basel mit Patricia Petibon und Andrea Marcon (16. Juni) oder der Pianist Pierre-Laurent Aimard mit einem Mozart-Messiaen-Programm (20. Juni).
Die beliebten Nachtmusiken im Hofgarten der Residenz (31. Mai/23. Juni) und eine Serenade im Hofgarten Veitshöchheim (17. Juni) ziehen das Publikum traditionell an; zwei Aufführungen der „Zauberflöte“, diesmal „reloaded“ mit Rappern, Hip-Hoppern und Breakdancern (19./20. Juni) im Mainfrankentheater sprechen neue Besucherschichten an. In mehreren Konzerten steht der Komponist Arvo Pärt im Fokus des Mozartfestes – auch im „MozartLabor“ vom 9. bis 12. Juni, das sich in mehreren Sektionen mit musikalischen und philosophischen Themen rund um das Thema „Aufklärung“ befasst. Informationen und Karten gibt es auf der Webseite www.mozartfest.de
Werner Häußner