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WÜRZBURG: DIE SCHÖNE HELENA von Jacques Offenbach

10.03.2019 | Allgemein, Operette/Musical

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Foto: Nik Schölzl

WÜRZBURG: DIE SCHÖNE HELENA von Jacques Offenbach
am 9.3.2019 (Werner Häußner)

Mit Jacques Offenbachs „Die schöne Helena“ hat es Anno 1986 einen bösen Absturz am damaligen Stadttheater Würzburg gegeben; nun hat sich die Mannschaft um Intendant Markus Trabusch mutig in das Abenteuer mit griechischem Flair gestürzt und mit Pascale-Sabine Chevroton eine mit allen Masken der leichtfüßigen Muse vertraute Regisseurin gewonnen, die noch dazu die Nuancen des französischen Textes – da ihre Muttersprache – verstehen und deuten kann.

Also dann, allons enfants de la gaieté, mitten hinein in den Trubel um den Atridenfluch, das Verhängnis des Schicksals, das Urteil des Paris! Auf zu den Versammlungen der großen Könige, von Achill über Ajax I. und II. bis hin zum Spartanerfürsten Menelaos. Und ran an die Liebeshändel, für die Venus nicht geringe Verantwortung trägt – was Chevroton auch sichtbar macht, wenn sie die Göttin als mondäne, wenn auch schon etwas ältere Dame (Claudia Schneider) durch die Bühne geistern lässt.

Und hier sind wir auch schon mitten im Problem: Denn was 1864 für den wohlerzogenen Europäer selbstverständliches kulturelles Grundwissen war, ist heute eine Sache von aussterbenden Bildungsbürgern und einer Minderheit von Absolventen humanistischer Gymnasien. Wer aber den Mythos nicht kennt, tut sich mit der Parodie schwer. Es ist ja auch an anderen Inszenierungen der „belle Hélène“ ablesbar, selbst der an Barrie Koskys Komischer Oper: Wie mache ich ein Sujet unterhaltsam, wie erfasse ich Offenbachs persiflierenden Witz, seinen Tiefsinn, seine bisweilen gallige Schärfe, die alle „Werte“ der Gesellschaft seinerzeit verätzt hat und die schrundigen Oberflächen der Verlogenheit, der Ideologie, der Selbsttäuschung freilegt?

Chevroton und ihre Ausstatterin Alexandra Burgstaller haben den naheliegenden Weg in die Jetztzeit gewählt, aber sie brechen die Bilder behutsam und geschickt ins Allgemeine: Die Hotelhalle, in der Großaugur Kalchas regiert, entfernt sich ebenso von Ausstattungs-Naturalismus wie das Luxus-Ressort, das für das antike griechische Seebad Nauplia steht. Ein paar griechische Säulen gibt es noch, aber die sind als gefälliger Dekor gedacht. Ein mehrfach gestaffelter Bühnenrahmen ermöglicht Farb-Licht-Projektionen und schafft atmosphärisch ansprechende Schauplätze, die aber nicht konkret verortet sind.

So weit, so gut. Ab jetzt kämpft Chevroton mit zwei Erzfeinden gelingender Operetten-Unterhaltung: Zunächst tritt die Sprache auf, boshaft alle Bemühungen um Tempo und Pointe unterlaufend. Igor Tsarkov etwa ist viel zu sehr seriöser Bass, als dass er mit dem Florett der Worte fechten könnte. Bedächtig und ohne Pfiff bemüht er sich, die Worte zu formen. Sie schwelen vor sich hin, aber sie zünden nicht. Paris, der ewig missgestaltete Höhen krähende Tenor Roberto Ortiz, geht mit seiner körperlichen Sportlichkeit als begehrenswerter Lover durch, singt und spricht aber meist stimmig am Sinn entlang. Wie es funktionieren kann, demonstrieren Daniel Fiolka als aufgeplusterter Militär Agamemnon und Barbara Schöller als verzogener, hedonistischer Orest. Gerade Schöller als erfahrene Darstellerin im komischen wie unterhaltenden Genre nimmt sofort für sich ein: Die Figur entwickelt Spannung und Aura, baut Beziehungen zu ihrem Gegenüber auf, spielt mit Worten.

Feind Nummer zwei ist der offenbar unausrottbare Hang zum übertriebenen Zeigefinger-Witz: Wir wissen, dass Menelaos ein Trottel ist, aber muss sich Mathew Habib deswegen mit dem Gesamtrepertoire abgelebter Kalauerei bewaffnen und gnadenlos jeden Anflug einer Charakterisierung abseits der Charge bekämpfen? Werden Tobias Germeshausen und Paul Hendrik Schulte wirklich glaubhafter und lustiger, wenn sie ihre Könige zu Karikaturen verkommen lassen? Wird die Anmaßung des Helden Achill nachvollziehbar und im Sinne Offenbach’schen Humors aktiviert, wenn Yong Bae Shin Anzeichen von Geisteskrankheit instrumentalisiert? Gerade bei Offenbach lacht man über Personen, die sich selbst überaus ernst nehmen und damit den Graben zur Realität so tief aufreißen, dass sie mit all ihren Lebenslügen und Wichtigkeiten darin abstürzen. Das Grundproblem, wie Offenbach heute zu inszenieren sei: In Würzburg wurde es nicht gelöst.

So ziehen die Szenen, in denen die Musik nicht weiterhilft, auf bleiernen Kothurnen dahin. Der „Wettkampf der Dichter und Denker“ und das „Gänsespiel“ ums Glück – geschenkt. Wo sich aber Euterpe, Thalia und Polyhymnia verbünden, macht Offenbach unbändig Spaß. In drei Vorstellungen waren drei – mal politisch korrekt: – Dirigierende zu erleben: Anton Tremmel, für die solide Einstudierung des Chores verantwortlich, führte am 13. Januar wie ein Retter des Abends umsichtig und zuverlässig. Ulrich Maier, Studienleiter der Produktion, setzte am 2. März schärfere, trockene Akzente, spitzte den Rhythmus an. Marie Jacquot, die für die Produktion verantwortliche Kapellmeisterin, bevorzugt den abgerundeten Klang, der die lyrischen Momente veredelt, die bei Offenbach-Dirigenten nicht selten zu kurz kommen. Das Philharmonische Orchester nimmt sich der kurzgliedrigen Melodien und der angedeuteten Opernparodien mit Pfiff und Vergnügen an. Hier waltet eine Musiker-Generation, die im Vergleich zu ihren Vorgängern von vor 30 Jahren viel an Stilsicherheit und Flexibilität gewonnen hat.

Bleibt noch, dem strahlenden Stern der Aufführung Verehrung zu zollen: Marzia Marzo, in allen Aspekten eine berückende Helena, ginge ohne Probleme als schönste Frau der Jetztzeit durch die Apfelprobe des Paris. Ihr Spiel hat nichts von aufgesetzter Komik. Wenn sie sich über das „Verhängnis“ echauffiert, begleitet sie das mit dem doppelgesichtigen Pathos, das geglaubt werden will und sogleich signalisiert, Mann solle es nicht allzu tragisch nehmen. Ihre Dialoge sind wohlgesetzt und enthüllen Sinn und Hintersinn der Worte. Und ihr Mezzosopran hütet sich davor, Offenbach vokal zu karikieren, sondern kleidet die Nummern der Helena in schönsten, sattesten, leuchtenden Wohllaut. Kein Wunder, dass Paris genau diese Dame nach Kythera entführt; kein Wunder, dass es um eine solche Frau Krieg gibt. Den kündigt Pascale-Sabine Chevroton am Ende düster-martialisch an: ein Ende, das über die Lebenslügen der Gesellschaft nicht lässig-heiter hinwegspielt.

Werner Häußner

 

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