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Wolfgang Seidel: DIE BRAUT DES HOLLÄNDERS:

18.10.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Wolfgang Seidel
DIE BRAUT DES HOLLÄNDERS
Berühmte Frauengestalten in der Oper
288 Seiten , Faber & Faber,  2021

Wolfgang Seidel, als Lektor, Übersetzer und Autor in München tätig, der schon über Kaffee, Pflanzen und „das geheime Leben der Wörter“ geschrieben hat, macht sich in seinem jüngsten Buch über Oper her. Genauer gesagt, über die großen Frauengestalten der Oper (wobei er auf Aida glatt vergessen hat, das hätte ihm ein Lektor sagen müssen, dass das nicht geht). Und er tut es in ungeheuer flapsigem Stil.

Die Auswahl reicht, wenn man die Damen alphabetisch nimmt, von Händels Agrippina bis zu Wagner Walküre Brünnhilde (hier unter „W“, nicht „B“ abgelegt). Nimmt man die Operntitel alphabetisch, geht es wieder von „Agrippina“ bis zur „Zauberflöte“ (wo er allerdings nicht Pamina, sondern die Königin der Nacht gewählt hat). Reiht man die Opern nach den Uraufführungsdaten, so erstreckt sich die Spannweite von 1688 Purcells „Dido und Aeneas“ (und man fragt sich, warum eigentlich die davor liegende Poppea auch vergessen wurde) bis 1937, zur Uraufführung von „Lulu“. Aber man kann ja wirklich nicht alle wichtigen Damen der Oper behandeln.

Grundsätzlich erzählt der Autor – formal nicht ganz einheitlich, einmal beginnt er mit der Handlung, einmal mit Hintergrundinfo zur Entstehung – die Inhalte der gewählten Werke aus der Sicht der gewählten Frauenfiguren. Was auffällt, ist die flapsige Sprache, ganz zeitgenmäß.

„Elektra“: Zeit-  und Rachedrama, bis sie tot umfällt.
„Cosi fan tutte“: Trotz aller Schwüre und Dramen nehmen sie den nächsten Kerl.
„Rigoletto“: Vom Federbett zum Leichensack.
„Figaro“: Die Gräfin lässt sich von der Midlife Crisis ihres Gatten nicht aus der Fassung bringen.
„Turandot“: Keine Lust auf Kuss – und dann soll auch noch keiner schlafen.
„Zauberflöte“: Machtgierige Bitch scheitert mit ihrer Herrschsucht an der großen Koalition der Gutmenschen.
Die Beispiele könnten beliebig fortgesetzt werden, manchem mag das Geblödel gelegentlich zu weit gehen. Andere werden es mögen, dass die „fade“ Oper so lustig betrachtet werden kann.

Was die Inhalte betrifft, so werden hart gesottene Opernfreunde nichts Neues erfahren, aber für Einsteiger und nur Gelegenheits-Abonnenten mag es unterhaltender sein, diese Ausführungen zu lesen als die trockene Erzählung eines Opernführers. Interessant wird es für den gestandenen Opernfreund, wenn der Autor (wo es ihm halt hinpasst) Fragen aufwirft: Wann kommt eine Greta-Oper? Eine Merkel-Oper? Schließlich hat man (mehr oder minder) mächtige Frauen immer gern in das Zentrum von Opern gestellt? Oder er fragt, warum Fiordiligi und Dorabella in ihrem Gefühlsleben so „verdächtig“ dargestellt werden und findet die durchaus einleuchtende Antwort, dass Frauen von der Antike bis ins 20. Jahrhundert unhinterfragt in der Gesellschaft als „untreu, triebgesteuert, ständig auf Verführung aus“ gebrandmarkt wurden (darum sind Alceste und Leonore so schöne Ausnahmefälle).

Oder der Autor stellt Zusammenhänge her, auf die man ehrlicherweise nie gekommen wäre – Asterix und Obelix bei Norma? Die Blumenmädchen und die Rheintöchter als Miß Wahl-Kompetition? Oder Scarpia als Harvey Weinstein? Turandot mit der Mentalität einer KZ-Kommandantin? Orest in seinem Handeln eng mit Hitler verwandt? Das sind ja glatt Regietheater-Empfehlungen!

Kurz gesagt,  Das ist ein Opernführer der anderen Art, weniger für Kenner als für Anfänger, die sich wundern mögen, wie heutig man die alten Hadern formulieren kann… Vermutlich wird schon das Titelbild (nein, eine solche Senta möchten Wagnerianer nicht sehen) die richtige Klientel anziehen.

Renate Wagner

 

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