Wolfgang Jansen:
WILLI KOLLO
Autor und Komponist für Operette, Revue, Kabarett, Film und Fernsehen, 1904-1988
Reihe: Populäre Kultur und Musik / Hsg. Universität Freiburg, Universität Salzburg, Band 28
394 Seiten, Verlag Waxmann, Münster-New York, 2020
Es gibt drei Künstler-Generationen Kollo – Enkel René Kollo ist heute der bekannteste Name, einer der großen Wagner-Tenöre seiner Epoche, auch berühmt im leichten Fach der Fernseh-Operette. Opa Walter Kollo ist immer noch einer der großen „Berliner“ Operetten-Komponisten neben Lincke oder Jessel (Kollos Schlager „Es war in Schöneberg, im Monat Mai“ oder „Die Männer sind alle Verbrecher“ kennt man heute noch).
Willi Kollo, Sohn des einen, Vater des anderen, ist derjenige, von dem die Nachwelt wohl am wenigsten weiß. Und doch gibt es über ihn sehr viel zu erzählen, wie eine umfangreiche Biographie des Berliner Theaterwissenschaftlers Wolfgang Jansen zeigt. Dessen Spezialgebiet ist die Erforschung des populären Musiktheaters Deutschlands, und da passt Willi Kollo perfekt hinein.
Walter Kollo (1878-1940), noch als „Kollodzieyski“ in Ostpreußen geboren, ging mit seiner Frau nach Berlin, wo eine explodierende Musik- und Unterhaltungsszene im Kaiserreich dauernden Nachschub verlangte, den er als begabter Musiker liefern konnte. Obwohl er bis zum Lebensende ostpreußischen Dialekt sprach, „verwandelte“ er sich so perfekt in einen Berliner, dass er mit seinen Werken die Berliner Luft, die Berliner Mentalität, die „Schnauze“ und die Ruppigkeit dieses Menschenschlags perfekt einfing, quasi eine Art von „Volks-Komponist“ wurde. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten.
Söhnchen Willi, 1904 noch in Königsberg geboren und von den Eltern erst dort bei der Großmutter zurück gelassen, wurde nach Berlin geholt, war kein besonders guter Schüler, aber ein Talent, das früh durch seine „Dichtungen“ auffiel. Er wollte in der Unterhaltungswelt nicht als Sohn seines Vaters, sondern als eigenständiges Multitalent auftreten (im Gegensatz zum komponierenden Papa schrieb er auch, erst Lied- und freche Kabarett-Texte, dann Libretti, später weitete sich sein Aktionsradius noch gewaltig aus).
Zwar arbeitete Willi eine zeitlang an den nach wie vor enorm erfolgreichen Operetten des Vaters als Schreiber von Liedertexten mit, aber in den „Goldenen Zwanziger Jahren“, die schier unerschöpflich Nachschub an „Material“ brauchte, machte er seinen Weg, zumal sich immer neue Felder für Willis Ambitionen und Aktivitäten eröffneten – die riesigen Revuen, die auch Text und Musik bcenötigten, dann der Film. Und obwohl die Nazis nicht sicher waren, ob die Kollos mit dem ursprünglich polnischen Namen nicht doch jüdisch versippt seien, hatte man durch die vertriebenen Juden so viel an Talent verloren, dass die Verbliebenen genug Arbeit fanden.
Dabei fiel Willi Kollos Karriere im Krieg unerklärlicherweise nicht übertrieben glanzvoll aus, und als sein Vater 1940 starb, widmete er einen Teil seiner Kraft dessen Nachlass und dem Weiterexistieren von dessen Werken auf den Bühnen – nicht zuletzt aus ökonomischen Erwägungen. Ungeachtet dessen, dass es nicht immer harmonisch zwischen ihnen verlaufen war, wurde nach dem Tod des Vaters „Kollo – Walter und Willi“ zu einem Markenzeichen. Immerhin, Willi Kollo, als Hansdampf in allen Gassen, der in der Filmbranche nicht nur als Komponist im neuen Tonfilm, sondern auch als Drehbuchautor tätig war (und gern mit der großen Grethe Weiser zusammen arbeitete), war auch im Krieg nie arbeitslos.
Obwohl er nicht in die allererste Reihe vorgerückt war, musste Kollo bei der Entnazifizierung allerlei Fragen beantworten (und Zeugen berichteten Unterschiedliches über sein Verhalten), aber als es ihn nach dem Krieg mit der Familie (Sohn René war 1937 geboren worden, Tochter Marguerite Johanna war zwei Jahre älter) nach Hamburg verschlug, begegnete Willi Kollo dort einem großen Teil seiner Berliner Kollegen und fand schnell Anschluß an die Kabarett-Szene, die er ja mit seinen bissigen Formulierungen während der Nazi-Zeit nicht hatte bedienen können.
Hier zeigte er ungebrochenen Unternehmensgeist, wurde sogar kurz zum Theaterdirektor, der ein eigenes ambitioniertes ernstes Stück zum Thema Vergangenheitsbewältigung auf die Bühne brachte, er wurde Verleger, wo er auch seine konservative Einstellung demonstrierte (er war, meinten manche, in der Epoche seines Vaters, im Kaiserreich, stecken geblieben – jedenfalls lebte er in einer so ausgestatteten Wohnung), aber nichts knüpfte an alte Erfolge an.
Wer „Kollo“ sagte, meinte spätestens ab den siebziger Jahren seinen Sohn René Kollo, der einen glanzvollen Aufstieg als Tenor – bald als Bayreuther Heldentenor – vollbrachte. Noch für eine letzte Fernsehsendung vor Willi Kollos Tod 1988 in Berlin präsentierten sie sich gemeinsam dem Publikum, eine „Dynastie“, die sicherlich deutsche Musikgeschichte mitgeschrieben hat.
Das Buch erzählt die Lebensgeschichte von Willi Kollo wohl ausführlicher, als es eine „normale“ Biographie täte – der Autor ist Theaterwissenschaftler, er analysiert auch ausführlich jedes Werk von Vater und Sohn Kollo, was für den Interessenten einen faszinierend-detaillierten Bericht über die Berliner Theaterszene liefert, und das über Jahrzehnte hinweg mit allen Veränderungen (und vielen der großen Namen, die damals die künstlerische Welt bevölkerten). Für Fachleute auch interessant sind die Dokumente, die der Autor am Ende jedes Kapitels bietet – Erinnerungen von Zeitgenossen, Song-Texte, Stellen aus Stücken, Kritiken. Weiters werden immer wieder ausführliche Lebensüberblicke von Zeitgenossen eingefügt, die für Kollo wichtig waren. Der übliche Biographien-Leser würde sich solch eine Lebensgeschichte weniger wissenschaftlich vorstellen – und bebildert. Man hat hier den seltenen Fall eines Buches vor sich, das ohne ein einziges Bild auskommt, und das ist wirklich schade.
Aber das muss man wohl in Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte des Buches stellen, die der Autor im Nachwort so sachlich wie möglich (obwohl er zweifellos innerlich komplett aufgewühlt ist) aufzeigt. Er selbst hatte sich im Rahmen seiner Spezialstudien schon seit Jahrzehnten mit Willi Kollo befasst. Nach dessen Tod trat Kollos Witwe Renate an den Autor mit dem Vorschlag einer Biographie heran, und man stellte ihm auch Nachlaß-Material zur Verfügung.
Obwohl Wolfgang Jansen, wie er selbst betont, viel Privates (es gab Familienquerelen noch und noch) heraus gelassen hat, lehnte die Familie sein fertiges Manuskript so heftig ab, dass man vor dem Kadi landete. Der Autor erklärt den Widerstand der Familie daraus, dass er erstens keine reine „Erfolgsgeschichte“ aus Kollos Leben gemacht hat, sondern auch Niederlagen berichtete und Werke kritisch betrachtet hat. Und, vor allem, dass er dessen widersprüchlich überlieferte Haltung im Dritten Reich ausführlich und dialektisch behandelte. Wenn da kein Persilschein herauskam…
Immerhin, das Buch ist erschienen, und die Familie kann zufrieden sein: Jedenfalls wurde die umfangreiche Arbeitsleistung von Willi Kollo, dem Tausendsassa auf so vielen Gebieten, nicht nur aufgearbeitet, sondern durchaus gewürdigt.
Renate Wagner