Wolf Haas
EIGENTUM
160 Seiten, Verlag Carl Hanser, 2023
Gerade besonders populäre Schriftsteller haben oft das Problem der Zuschreibung. Man sagt „Wolf Haas“ und denkt „Brenner“ und wird bei jedem neuen von ihm angekündigten Werk einen Krimi erwarten. Dass auch Haas sich in das derzeit überrepräsentierte Genre der Erinnerungsliteratur begeben hat, wobei die Eltern (in diesem Fall nur die Mutter) eine große Rolle spielen, das stellt man bei „Eigentum“ schnell fest. Ein weiterer Befreiungsschlag vom Klischee des schnoddrigen Krimi-Autors.
Optisch signalisiert das Buch gleich Seltsames, Der Umschlag wirkt wie schlichtes Packpapier. Und anstelle eines Klappentextes liest man „Nichts wie sparen sparan sparen“, was auf der Rückseite des Buches zum Resümee der ernüchternden Feststellung führt: „Und dann ist die Inflation gekommen und das Geld war weg.“ Packpapier als Symbol für jene, die nichts haben.
Das ist aber im Lauf der Geschichte nur ein Motiv von vielen.. Man kennt den schrägen Humor von Wolf Haas. Wie lustig ist es, wenn die 95jährige Mutter stirbt? Na, der Sohn, der sie in den letzten Tagen ihres Erdenlebens immer wieder im Altersheim besucht, weiß schon, dass man niemanden „verarschen“ darf. Aber wenn die Mutter meint, er solle doch mit seinem Handy „drüben“ anrufen und „ihnen“ sagen, dass es ihr gut gehe – da ist er zuerst „angefressen“. Dann aber geht er darauf ein. Allen geht’s gut, lässt er die Mutter wissen, und fügt als Schmäh hinzu, nur der Vater hätte einen Schnupfen… Und die Mutter nimmt es ernst, grübelt darüber.
Am Ende des Buchs wird das Handy wiederkehren und den knapp 150 Seiten eine „Klammer“ verleihen. Bis dahin geht Wolf, der Sohn, viel in dem kleinen Ort spazieren, so oft am Friedhof, wo er so ausgiebig über Gräber sinniert, dass man ihn für nekrophil halten könnte. Und dazwischen erzählt die Mutter immer wieder in Ich-Passagen ihr Leben.
Das war denkbar unspektakulär, und das ist wohl das Typische daran, das einfache Leben als Prototyp, das vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse abläuft. Immerhin war das Mädchen aus bäuerlichem Milieu gescheit genug, dass sie in die Hauptschule gehen durfte. Dann in einen Servierkurs. Und schließlich landete sie jahrelang in der Schweiz im Hotelgewerbe. Später war sie bei der „Briefzensur“ tätig und gewöhnte sich an, nicht nur ihre Berichte, sondern alles mit vielen Durchschlägen zu tippen. Da kann der Sohn dann ein Jahrzehnte altes Blatt in der Hand halten, wo die Eltern um eine Wohnung eingekommen sind… Der Traum vom „Eigentum“, der sich erst erfüllt, als man die Mutter zum Vater ins Grab senkt.
Ja, um Geld ging es immer, sparen, Wohnungen suchen, wieder sparen, nicht einmal für ein Vierteltelefon war die Mutter zu haben, für das müsste man ja auch zahlen, zahlen, zahlen… Man bringt für dieses traurige Schicksal offenbar mehr Mitgefühl auf als der Sohn, der Tod und Begräbnis der Mutter eher gelassen wegzustecken scheint. Schnell herunter geschrieben, die Erzählebenen wild wechselnd, mehr punktuell als ausführlich unterwegs, hat er sich offenbar von der Mutter befreit.
Nur am Ende, da kommt das Handy wieder, vielmehr nicht, denn es ist verloren gegangen. Allerdings kann er sich nicht entschließen, es gleich abzumelden. „Vielleicht glaubt mein Unterbewusstes ja doch, dass ich dort, wo meine Mutter jetzt ist, ich weiß nicht genau, wie das heißt, einmal anrufen und sagen könnte, dass es mir gut geht.“
Ein winziger Tropfen Poesie als Abschluß eines erstaunlich kaltschnäuzigen Berichts. Wobei man dem Autor konzedieren möchte, dass er mit seinem Ton einen tiefinneren Schmerz in Distanz halten möchte.
Renate Wagner