Georg Friedrich Händel: Serse • Opernhaus Zürich im Theater am Stadtgarten Winterthur • Premiere: 06.05.2023
Von naturverbundenen Monarchen und einem Bonsai
Naturverbundene Monarchen sind keine Errungenschaft der Neuzeit. In der Antike erklären sie einem Baum ihre Liebe, in der Gegenwart betreiben sie ökologische Landwirtschaft.
Foto © Herwig Prammer
Nina Russi (Inszenierung) ist ein ansprechender Abend gelungen, auch wenn das Szenische im zweiten Teil nachlässt und das Musikalische aufholt. Es gelingt Russi, wie im Programmheft postuliert, mit modernen Bildern eine moderne Geschichte von modernen Menschen zu erzählen. Julia Katharina Berndt (Bühnenbild) hat ihr dazu ein dreiteiliges, zweistöckiges Einheitsbühnenbild geschaffen. Die einzelnen Elemente können mit Muskelkraft verschoben oder gedreht werden. Im Mittelteil ist Serse zu Hause. Die komplett weisse Inneneinrichtung, die weisse Kleidung Serses wie die Liege lassen vermuten, dass er Psychiater ist. Seine Platane ist ein Bonsai. Links und rechts gibt es weitere Räume, wo sich die übrigen Figuren aufhalten. Serses Bruder Arsamene ist das pure Gegenteil Serses: Schwarz gekleidet, mit zerrissenen Hosen, T-Shirt und Elektro-Bass ist er der moderne Künstlertyp. Die Schwestern Romilda und Atalanta sind mehrheitlich mit sich selbst und ihrem Aussehen beschäftigt. Ihr Vater Ariodate ist ein Pantoffelheld wie aus dem Bilderbuch. Im zweiten Teil werden bei ihm versteckte Leidenschaften offenbar. In diesem Rahmen (Kostüme: Annemarie Bulla; Video: Ruth Stofer) laufen nun die verschiedenen Irrungen und Wirrungen bis Serse nach einigen Ausflügen zu englischem Humor nach gut zweidreiviertel Stunden zur Einsicht kommt. Im Laufe des Abends beginnen die szenischen Abläufe redundant zu werden, sich zu erschöpfen. Die Libretto-Angabe «Volk, Soldaten, Seeleute, Priester» wird frei interpretiert, selbst Baywatch ist präsent, und wird vom Statistenverein am Opernhaus Zürich grandios umgesetzt.
Foto © Herwig Prammer
Siena Licht Miller kann als Serse einen grossen persönlichen Erfolg verbuchen. Das berühmte Larghetto gleich zu Beginn gelingt ihr äusserst gefühlvoll. Die Stimme ist perfekt geführt und spricht in allen Lagen bruchlos an. Die Farben der Stimme passen ideal zu Händel: sie sind nicht zu dominant und haben doch das gewisse Etwas. Die übrigen Partien sind in der Jahresproduktion natürlich mit Mitgliedern des Internationalen Opernstudios besetzt. Simone McIntosh gibt ihren Bruder Arsamene. Ihr Mezzo ist etwas agiler geführt und heller als jener von Miller und bietet so einen gut Kontrast. Beide Sängerinnen verkörpern das gegensätzliche Brüderpaar in idealer Weise. Freya Apffelstaedt als Serses verstossene Verlobte Amastre lässt jederzeit leidenschaftlich erkennen, dass sie den ihr untreu Gewordenen noch immer brennend liebt. Yewon Han gibt engagiert eine quicklebendige Romilda. Da die Stimme in den Höhen und im Dramatischen die Tendenz hat, rasch scharf zu werden, wäre etwas weniger Temperament in Erwägung zu ziehen. Chelsea Zurflüh als Atalanta bestätigt den hervorragenden Eindruck, den sie als Alice in Rossinis «Le Comte Ory», als Zaida in Rossinis «Il turco in Italia» und als Barbarina in Mozarts «Le nozze di Figaro». Gegenüber ihren ersten Auftritten am Theater Biel-Solothurn ist die Stimme deutlich gereift. Perfekt geführt und stilistisch versiert eingesetzt bereitet sie pures Vergnügen. Benjamin Avram Molonfalean als Ariodate und Gregory Feldmann als Elviro ergänzen das Damenquintett in idealer Weise.
Das 1629 gegründete Musikkollegium Winterthur wird seinem hervorragenden Ruf auch in einer barocken Oper gerecht und überzeugt mit kräftigem, farbenreichen Klang. Wenn Markellos Chryssicos (musikalische Leitung) mit Fortschreiten des Abends etwas lebendigere Tempi vorgibt, bleibt nichts mehr zu wünschen.
Weitere Aufführungen:
Mi. 10. Mai 2023, 19.00; Fr. 12. Mai 2023, 19.00; So. 14. Mai 2023, 14.30; Mi. 17. Mai 2023, 19.00.
06.05.2023, Jan Krobot/Zürich