Willem Bruls
VENEDIG UND DIE OPER
Auf den Spuren von Vivaldi, Verdi und Wagner
264 Seiten, Henschel Verlag, 2021
Man kann über Venedig wahrscheinlich hunderte Bücher aus hunderten Gesichtspunkten schreiben. Der holländische Dramaturg und Librettist Willem Bruls spazierte unermüdlich durch Venedig und setzte sich auf die Spuren der Oper. In vielen Einzelessays, die der medial vernetzte Autor in seiner Heimat auch als Rundfunk-Essays gesendet hat (leicht mit Musik zu bestücken).
Im Buch fügen sich die Kapitel, wenn sie auch in sich verschieden gewichtet sind, zu einem Ganzen. Es geht um Venedig. Orte: Häuser, Palazzi, Kirchen, Plätze und unendlich viele Theater, die es nicht mehr gibt, deren Reste man detektivisch aufspüren muss. Es geht um Musik, um Komponisten. Auch um Dichter. Manchmal ein bisschen uneben im Hin und Her. Aber es macht nichts.
Es gibt Geschichten aller Art. Denn der Autor scheut das „Ich“ nicht, berichtet von Leuten, die er traf, um zu besichtigen (etwa Wagners Sterbeort), um in Archiven und Bibliotheken in Partituren zu schnüffeln und über Handschriften zu grübeln, um Hintergrundinformationen zu erhalten (etwa über das Hotel Danieli). Ein buntes Kaleidoskop von allem und jedem, manchmal auch sehr individuell formuliert. Wenn er etwa Mozarts Selim Bassa mit Rossinis Mustafa Bey in der „Italiana“ vergleicht, nennt er Letzteren flott einen „sexbesessenen Idioten“.
Grundsätzlich handelt das Buch von den großen Komponistennamen, die mit der Stadt verbunden sind, voran der Mann, der die Oper überhaupt erfunden hat: Claudio Monteverdi, aus Cremona stammend, der einen großen Teil seines Lebens in Venedig verbrachte und schon vor Richard Wagner den „Tod in Venedig“ erlitt.
Da werden auch die Werke ausführlich nacherzählt und interpretiert, natürlich auch jene Orte aufgesucht, die mit ihm in Verbindung stehen. Wenn man Monteverdis Grabmal in der Frari-Kirche besucht, muss man allerdings wirklich erwähnen, wie es der Autor dankenswert tut, dass dort auch Tizian und die Herzurne von Antonio Canova beigesetzt sind. Dann Händels kurzer Aufenthalt in Venedig, der ihn einiges gelehrt hat und das Meisterwerk „Agrippina“ hervor brachte.
Natürlich Vivaldi, der Venedig so verbunden war und gewissermaßen irrtümlich in Wien gestorben ist. (Was wir Wiener zu würdigen wissen: Für ihn gibt es allerdings nicht nur, wie der Autor erwähnt, eine Gedenktafel neben dem Sacher, sondern auch eine am Karlsplatz, wo sich der ursprüngliche Friedhof befand, in dem er begraben wurde, und seit zwei Jahrzehnten ein aufwendiges Denkmal im Votivpark.)
In Venedig tummeln sich ausführlich Casanova und weniger ausführlich der junge Mozart (ein Schlenker zur Spielsucht der Venezianer und zur Erfindung des Kaffeehauses darf nicht fehlen), Venedig als Uraufführungsstadt war so wichtig für Rossini wie für Verdi, wenn die „Traviata“ auch hier mit Pauken und Trompeten durchfiel – der Weltruhm des Werks war bekanntlich nicht aufzuhalten.
Richard Wagner war schon hier, bevor er am Ende hier starb, am Markusplatz wurde immer musiziert, und weil die österreichischen Besatzer auch ein Orchester hier hatten, hörte Wagner am Markusplatz seine eigene Musik. Im Ghetto, das dem Autor einen Ausflug wert ist, ist auch Wagner spazieren gegangen.
Der „Tod in Venedig“ führt schnurstracks zu Thomas Mann, zu dessen literarisch so ergiebiger Verliebtheit in einen nordischen Jungen, und gegen Ende ist man am Friedhof San Michele, da liegt Diaghilew, der in Venedig sterben wollte, und Igor Strawinsky, der auch hier begraben sein wollte. Auch das Grab von Luigi Nono findet sich hier, mit ihm führt die Liste der Komponisten, die der Autor abgeklappert hat, bis ins 20. Jahrhundert.
Die Musiker sind nicht die einzigen, mit denen Willem Bruls umgeht, auch Dichter kommen vor, ob sie nun Venezianer sind wie Goldoni (der die Theaterwelt seiner Zeit in der Komödie „Der Impresario von Smyrna“ so unvergleichlich parodiert hat), ob wichtige Gäste wie Byron, oder George Sand, immer wird ein Stückchen Kulturgeschichte daraus.
Die Spaziergänge kann man übrigens nachgehen, sie werden im Nachsatz des Buches von Station zu Station aufgezeichnet. Bequemer ist es allerdings das Büchlein zu lesen, wobei der Autor noch eine CD-Sammlung in den Anhang stellt, die durch die Musik führt, die hier behandelt wird.
Renate Wagner