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WIEN/Post und Telegraphenamt: WAGNERDÄMMERUNG von Paulus Manker

08.08.2013 | KRITIKEN, Oper

WIEN: WAGNERDÄMMERUNG – Neuinszenierung am 4.8.2013

Parsifalszene mit Mirkus Hahn (Klingsor), Berhard Klmapfl (Amfortas) und Stefan Altenhofer (Gurnemanz)
Parsifal-Szene:  Foto: Anna Fiala

 In den Kellergewölben des alten Wiener Post- und Telegraphenamtes am Börseplatz wartete Paulus Manker nach „Alma“, einem interaktiven Theaterstück zu Alma Mahler, mit einer in der Tat beeindruckenden Performance zum 200. Geburtsjahr von Richard Wagner auf. „Eine Reise in Richard Wagners Gehirn – ohne Visum“ bezeichnet er die Vorstellung, die mit „Wagners Musik als unterirdische Droge in einem Simultandrama“ vor den zeitweise perplexen Besuchern, die man eher als Teilnehmer bezeichnen sollte, abläuft. Denn Mankers Darbietungen in Tanz, Sprache, musikalischer Zusammenstellung und vor allem die ähnlich wie bei Christoph Schlingensief alles miteinander verbindende Aktion sind so intensiv, dass man sich kaum noch als passiver „Zuschauer“ fühlen kann, wenn man durch die muffigen Gänge des dritten Kellergeschosses des morbiden Post- und Telegraphenamtes aus den 1870er Jahren wandert. Man scheint direkt angesprochen zu werden, zumal wenn man Wagners Werk und Musik gut kennt – so intensiv sind einige Aktionen, so symbolhaft und gespickt mit Assoziationen ist ihre Wirkung. Mankers Motto „Licht und Schatten, Sprache und Musik, Feuer und Wasser, Körper und Geist“ treffen in diesem Sinne das, was man in den etwa zwei Stunden erleben kann, wahrlich auf den Kopf!

 Es beginnt mit einer Tanz-Performance im Hof, wo die Tänzer, die später auch die diversen Rollen im Keller übernehmen, vor allem zu Wagners „Ring“ und insbesondere zum „Rheingold“ zeitweise gewagte Tanz-Akrobatik zeigen. Einige dazu gesprochene Texte mit der „Gralserzählung“ oder den „Winterstürmen“ wirken allerdings gegen die gute musikalische Mischung mit ihrer Dynamik etwas hölzern. Immerhin wird in diesem Rahmen aber auch aus Wagners „Das Judenthum in der Musik“ von 1850 zitiert – ein deutlicher und besonders eindringlich wirkender Hinweis auf seinen Antisemitismus, schon im Vorgriff auf den später als Ahasver auftretenden „ewigen Juden“. Überhaupt scheint sich die Thematik der Darbietungen vor allem mit Wagners innerstem Wesen zu beschäftigen, die „Reise in sein Gehirn“ ist ganz offensichtlich, denn vieles wirkt wie eine emotionale Auseinandersetzung mit seinen Überzeugungen, Beziehungen, Phantasien, Schwächen, Abgründen und dergleichen mehr. Er läuft auch selbst durch die Gänge, beobachtet die Aktionen, spricht dazu Texte, freilich immer wieder vornehmlich aus dem „Ring“, seinem opus magnum.

David Pakzad als Wotan
David Pakzad als „Wotan“. Foto: Anna Fiala

 Mirkus Hahn macht das sehr umtriebig, ganz so, wie Wagner wohl gewesen sein muss. Aber wir sehen auch Michael Gempart als Lohengrin, Florian Hackspiel als König Ludwig II., Elisabeth Lehmann als erste Ehefrau Minna Planer und Sieglinde, Veronika Glatzner als Cosima Wagner und Brünnhilde, Anú Anjuli Sifkovits als Mathilde Wesendonck und Freia, Lilly Kroth als die Geliebte Judith Gautier und Kundry, David Pakzad als Wotan und Michael Bakunin, Felix Krauss als Alberich und Hans von Bülow, Bernhard Klampfl als Hagen und Heinrich Heine, Stefan Altenhofer als Loge und Franz Liszt, David Birner als Fafner und Fasolt, Anna Grigalashvili als Erda, sowie Yehuda Almagor als Ahasver, eben jener ewige Jude und Katja Sallay als Winifred Wagner. Nicht alle sind in ihren Rollen gleich und zweifelsfrei zu erkennen, was aber auch zur Art dieser Performance passt, denn die Botschaft ist wohl: Richard Wagner war von all diese Personen und Rollen etwas, möglicherweise jeder oder jede einzelne gewissermaßen ganz und gar. Das mag eine kühne Interpretation sein, aber die Holistik dieser Performance, die in mehreren Räumen parallel statt findet und ihre Aktionen, die stets in irgendeiner Verbindung miteinander zu stehen scheinen, wirken tatsächlich wie eine Reise in Wagners Gehirn. Es offenbart sich, wenn man die langen Gänge durchwandert und immer neue Szenen entdeckt und erlebt. So oder ähnlich könnte es dort bei einem Genie wie Wagner vielleicht aussehen…

Zunächst sind die DarstellerInnen in den verblüffendsten Stellungen und Orten der Kellerräume, auf den alten Schaltkästen und Armaturen, in Erdlöchern oder auf zum Teil hoch oben befindlichen Vorsprüngen und Maschinenteilen wie leblos zu sehen, oft nur schwach beleuchtet, in tristen Kostümen (Bühnenbild Gregor Samsa, Kostüme Ulrike Kaufmann, Sounddesign Andreas Büchele, Licht Wolfgang Fuchs und Lukas Ossinger). Dann geht die Action langsam los mit Schreien, erst undefinierbarem Lärm, bis man in einem Kran-Raum mit Kettengerassel und viel Nebel dunkle Menschenleiber in allen möglichen und zeitweise gefährlichen Verrenkungen unter ohrenbetäubendem Lärm erlebt. Wagner und einige der anderen Darsteller schreiten umher und geben permanent in bedeutungsvollem Tonfall Wagner-Zitate von sich, meist solche existenzieller Art, oft sich wiederholend. Immer aber wirkt die Aktion am stärksten, wenn dazu Wagners Musik erklingt, vornehmlich aus dem „Ring“ und „Parsifal“, und meist laut. Dann bekommt das Ganze etwas Nachhaltigeres, Metaphysisches.

Vieles ist zu sehen, man kann nicht alles wiedergeben, auch gar nicht alles erleben. Im Laufe der Performance wird es bei zunehmendem Kerzenschein immer mystischer, stickiger und damit auch wärmer. Einige Darstellerinnen entkleiden sich im milder werdenden Licht mehr und mehr, bringen einen Hauch von Erotik in das intensiver werdende Geschehen. In einer gefluteten Nische ist eine splitternackte Kundry bei einem extatischen Wassertanz zu sehen, eine elegant gekleidete Frau (Cosima?) bewegt sich in einer Badewanne, und auf einer Empore jammert die nackte Sieglinde um ihr Leben. Ritualisierend mit Siegmunds Schwert Nothung wird Wagners Mantel beerdigt, und am Ende wird gar sein Sarg in einem musikalisch eindrucksvoll untermalten Trauermarsch unter Führung von König Ludwig II. nach draußen getragen. Dort kommt er auf eine Pferdekutsche seiner Zeit, die gespenstisch im Regen und bei Fackelschein um die nächste Ecke davon fährt. Man fühlt sich an das Begräbnis Mozarts in dieser Stadt erinnert… Danach gehen alle in den Keller zurück und erfreuen sich bei nun aus allen Wagner-Werken kunterbunt erklingender Musik an einer Wiederholung des Dinners anlässlich der Eröffnung der Bayreuther Festspiele am 13. August 1876 – mit Fasanenbrust im Speckmantel und Medaillons vom Jungschwein als Hauptgericht sowie Frizzante Secco & Rosé, Grünem Veltliner 2012 und Shiraz 2011 (die gab es damals noch nicht…). Das Dinner ist im relativ üppigen, da nicht mit öffentlichen Mitteln subventionierten Eintrittspreis enthalten. Dieser ist allerdings gerechtfertigt, wenn man dazu noch die Ausstellung „Extase“ besucht, was man zuvor tun sollte, denn auch die ist interessant.

Aufgrund der großen Nachfrage im August wird es Ende September noch weitere Vorstellungen geben. Sehr empfehlenswert!

 Klaus Billand

 

 

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