Wiener Staatsoper: „TRISTAN UND ISOLDE“ – 18. 6. 2013. Hochdramatisches – in lyrischer Schönheit
Wagners mythische Liebesgeschichte, Inbegriff elektisierender Hochspannung, hatte wenige Tage zuvor Premiere in einer denkwürdigen Neuinszenierung. Die ungewöhnliche Sängerbesetzung bewog mich, noch einen Tag an meine Wiener Kurzvisite anzuhängen, um die 2. Vorsellung zu besuchen, und es hat sich gelohnt.
Der musikalische Hausherr Franz Welser-Möst hatte ordnungsgemäß selbst die Produktion einstudiert und leitete die Vorstellung mit souveräner Umsicht. Das dichte Orchestervorspiel baute er vom zarten Beginn langsam zu aufwühlender Hochspannung auf, ohne seine orgiastischen Exzesse theatralisch ausufern zu lassen – getreu der Devise Herbert von Karajans: Eindringlich, aber schön! Und der blieb er hörbar treu bis zum entrückten Liebestod.
Seiner Isolde Nina Stemme passte dieses Klangkleid wie angegossen: Sie konnte ihren dramatischen Sopran mühelos verströmen, ohne je vom Orchester, das in großer Tagesform antrat, erdrückt zu werden. Dass sie auch optisch eine hoheitsvolle und zugleich sehr feminine Isolde bot, rundete die Leistung eindrucksvoll ab.
Ihr Tristan war der am Tag zuvor zum österreichen Kammersänger ernannte Peter Seiffert.
Sein von Haus aus sehr lyrisch gefärbter, heller Tenor, der dem gewohnten heldentenoralen Ideal eher entgegensteht, hat sich die Partie erstaunlich erarbeitet: Vom Dirigenten sensibel getragen, kostete er, wo immer möglich, die schwelgerischen Kantilenen aus (O sink hernieder, Nacht der Liebe; Wie sie selig, hehr und milde….) und setzte bei den dramatischen Ausbrüchen seine mühelose Höhe kraftvoll ein. Dass er der Partie die baritonale Grundierung – und damit einiges von ihrem Geheimnis – schuldig blieb, überraschte nicht. Im Ganzen eine eindrucksvolle Gesamtleistung.
Dem Liebespaar standen überwiegend gediegene Partner zur Seite. Allen voran Janina Baechle. Sie überzeugte durch ihren breit strömenden Mezzo und glaubhafte Identifizierung mit der getreuen Dienerin. Auch Jochen Schmeckenbecher bestand als unerschütterlicher Freund seines Herrn, obwohl seinem Bariton für diese gefährliche Partie noch einiges an Kraft zuwachsen muss, um sie ganz auszufüllen. Stephen Milling stattete den König Marke mit einer Fülle von beeindruckenden Akzenten und bewegenden Nuancen aus. Seine äußerst textbezogene Diktion verführte ihn aber zu einem Sprechgesang auf Kosten der Klangqualität – weniger wäre hier mehr.
Die kleinen Partien waren nur teilweise adäquat besetzt: Während der Hirt von Carlos Osuna und der Steuermann von Marcus Pelz ihren Part ausfüllten, fielen Melot (Eijiro Kai) und der junge Seemann (Jinxu Xiahou) etwas dünnstimmig aus. Der Herrenchor waltete mit seinen eszessiven Spottliedern auf Isolde routiniert seines Amtes.
Insgesamt war die musikalische Seite der Aufführung dank der bravourösen Orchesterleistung und der souveränen Balance zwischen Orchester und Bühne von großer Einheitlichkeit. Die wurde ergänzt durch ein homogenes Sängerensemble, das sich vom Dirigenten hörbar getragen fühlte.
Der größte Eindruck aber ging von der Inszenierung aus! Das ist kein Scherz (was bei den heutigen Regie-Erfahrungen nahe läge!). Regisseur David McVicar und seine Mitstreiter Robert Jones (Ausstattung) und Paule Constable (Licht) zauberten eine Welt voller farbenprächtiger Poesie auf die Bühne, an der man sich als Zuschauer nicht sattsehen konnte.
Während der ganzen Länge des Orchestervorspiels versank eine riesige blutrote Sonne hinter bedrohlichen Klippen – Symbol der Nachtverfallenheit des tragischen Paares. Der 1. und 3. Akt zeigt in ästhetisch schönen Bildern die Küstenlandschaften von Cornwall und Kareol – die eine mit schwankend nahendem (baufälligem) Schiff, die andere mit bizzarrer Klippe. Der 2. Akt lässt die Liebenden unter einem kosmischen Kranz (Dornenkrone, Erntekranz?) ihrer zwanghaften Todessehnsucht verfallen. Und am Ende entlässt uns die abermals sinkende Riesensonne magisch in ewige Finsternis. Poesie pur.
Wir wären allerdings nicht im Zeitalter des Regietheaters, wenn es nicht auch eine Entgleisung gäbe: Die Matrosen müssen ihre derben Spottchöre mit uniformen Albernheiten tanzend unterstützen, was der Szene eine nicht geringe Peinlichkeit verleiht (Choreographie: Andrew George). Doch diese überflüssige gymnastische Zutat war bald vergessen und konnte den Zauber der schönen Aufführung nicht zerstören.
Johannes Schenke