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Wiener Staatsoper: ELEKTRA


Alle Fotos_ Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wiener Staatsoper:
ELEKTRA von Richard Strauss
Wiederaufnahme der Inszenierung von Harry Kupfer
66.
Aufführung in dieser Inszenierung
8.
September 2020

„Wiederaufnahme“. Ja, schon. Aber was für eine!

Opernfreunde können sich ja so herrlich aufregen und den Direktoren so vieles übel nehmen. Als Dominque Meyer die Harry Kupfer-„Elektra“ entsorgte, ein Inszenierungs-Juwel des Hauses (und das mit dem wackeligen Vorwand, das Stück könne „nicht aufgebaut“ werden – na, dann baut es halt neu!), hat sich der vorige Direktor viel Zorn zugezogen (und das zu Recht). Unter dem Motto „Ich mache alles richtig, ich mache alte Fehler gut“, hat Bogdan Roscic nun seinerseits die Uwe-Laufenberg-Aufzug-„Elektra“ (die spielte nämlich in einer Art Folterkeller), die Meyer als Ersatz bot, seinerseits weggeworfen – und Harry Kupfer hervorgeholt. Wiederaufnahme! Ja! Und was für eine!

Nachdem man im Sommer im Salzburg (wenn auch vielleicht nur auf dem Fernsehschirm) gesehen hat, welch haarsträubenden, willkürlichen, sinnlosen Blödsinn Regisseure mit dem Stück (und nicht nur diesem) anstellen können, kehren wir zurück zum gesunden, wunderbaren Theaterverstand eines Harry Kupfer, der Werk und Vision in einem auf die Bühne stellen konnte.

Zentrum ist das über die Maßen riesige, teilweise gestürzte Denkmal des Agamemnon, das Bühnenbildner Hans Schavernoch so eindrucksvoll hingestellt hat. Den halben Kopf konnte man offenbar herunterreißen (seltsamerweise wird man an die Fernsehbilder erinnert, wie das Denkmal von Saddam Hussein vom Sockel gerissen wurde), die Stricke, mit denen man vergeblich versuchte, den Rest der Statue zu zerstören, hängen noch von allen Seiten herab und sind ein wichtiger Bestandteil der Inszenierung – immer wieder als Halt für Elektra. Dass diese sich in ihrem Triumphtanz am Ende in eben diesen Stricken erwürgt, ist ein inszenatorisches Kunststück, für das man der an diesem Abend in dieser Inszenierung debutierenden Sängerin ein paar Extra-Proben hätte gönnen sollen, damit sie diesen Tod nicht hilflos mit Stricken kämpfend, sondern souverän und im Grunde ungewollt hätte vermitteln können…

In diesem Einheitsbühnenbild, das nicht mehr braucht als später für den Auftritt der Klytämnestra eine mitgebrachte Treppe, um der Königin ihren Rang zu geben, spielt sich alles ab, ohne Mätzchen, ohne Ablenkungen, ganz auf die Interaktion der Figuren konzentriert. Und doch wird so viel erzählt – allein durch den zerschlissenen Soldatenmantel des Vaters, in den Elektra sich hüllt und der ihr den Duktus der „militärischen“ Entschlossenheit gibt. Wenn das nach der Mägde-Szene (wie klar man das erzählen kann!) gelegentlich herumwieselnde Volk aussieht wie ein Haufen Lemuren, dann charakterisiert das eine zerstörte Welt, in der eigentlich nichts mehr funktioniert… ein Untergang, der in Blut ertrinkt. Und der in einem nach seinen Morden triumphierenden Orest und einer plötzlich selbst wie wahnsinnig blutrünstig agierenden Chrysothemis keine Zukunft erhoffen lässt, die besser ist als die eben eliminierte Vergangenheit.


Ricarda Merbeth

Und das erzählt sich zur Geschichte, zur Musik, aus den Figuren. Kein Schnick-Schnack, kein Blödsinn, keine angeberische Über-Interpretation. Einfach das Werk und der Theaterverstand eines großen Regisseurs /Friede seiner Asche), dessen man nur in aller Ehrfurcht gedenken kann, glücklich darüber, so viel von ihm gesehen zu haben.

Man erlebte an diesem Abend die drei weiblichen Hauptrollen in für Wien neuen Besetzungen. Wenn man – und das muss einfach erlaubt sein – die eigenen Erfahrungen mit „Elektra“-Besetzungen zugrunde legt, dann erreichte keine von ihnen die hundert Prozent (was bei diesem Teufelswerk natürlich schwer ist, aber doch, wie man weiß, zu schaffen). Das bezieht sich besonders auf die Titelheldin. Man hat Ricarda Merbeth in Bayreuth und anderswo zugesehen, wie tapfer und entschlossen sie sich zu den Hochdramatischen hoch gearbeitet hat, bis Isolde und Turandot, bis Brünnhilde und Elektra (in Wien waren Salome und Leonore, Senta, Elsa und Elisabeth bisher das „Anspruchsvollste“). Schon die ersten Töne zeigten, dass das keine Elektra des verlangten hochdramatischen Zuschnitts ist (wobei man konzedieren muss, dass der Dirigent punkto Lautstärke keinerlei Zugeständnisse machte). Ricarda Merbeth schaffte gelegentlich die eine oder andere Wahnsinnshöhe, meist aber gewaltsam, mit Mühe, wie sie überhaupt im Grunde unsicher wirkte, aber das mag viele Ursachen haben (sie sang die Rolle erstmals in dieser Inszenierung). Einige der raffinierten hohen Piano-Passagen, die Strauss verlangt, gelangen gut, darstellerisch hingegen blieb bei mancher zentralen Stelle („Bist doch selber eine Göttin!“) vieles unerfüllt. Da ist noch einiges zu erreichen.

Auch Camilla Nylund puscht sich gerne an den Rand ihrer Möglichkeiten, so einfach ist die Chrysothemis nicht, zumal, wenn man sich in der Höhe viel wohler fühlt als in der einigermaßen geforderten Mittellage. Allerdings gelangt ihr die Figur der schönen Frau, die sich nach Mutterglück sehnt, sehr überzeugend, und der Blutrausch, in den sie am Ende nach Orests Morden verfällt, ist eine faszinierende Überraschung.

 
Doris Soffel / Camilla Nylund

Wenn eine Sängerin, wie man dem Staatsopern-Archiv entnimmt, in Wien 1976 in einer Vorstellung die Grimgerde und dann 1987 dreimal die Dorabella gesungen hat – dann kann man so viele Jahrzehnte später schon von einem erneuten Debut sprechen. Und man wird sich angesichts der Zeitspanne auch nicht wundern, wenn die Stimme von Doris Soffel nicht mehr sehr frisch klingt. Es haben Damen schon ohne Stimme eine tolle Klytämnestra hingelegt, was an diesem Abend nicht wirklich gelang. Vielleicht auch in Ermangelung einer gegenspielenden Elektra geriet die sonst oft Gänsehaut erzeugende Szene nicht wirklich aufregend, die Spannung konnte nicht gehalten werden.

Derek Welton gewann im Vergleich zu seinem Salzburger Orest ungemein dadurch, dass er keinen Norwegerpullover tragen musste, sondern hier aussehen darf, wie ein Orest in dieser archaischen Welt eben aussieht. Anfangs zögerlich bei Stimme, steigerte er sich, während Jörg Schneider in der (zugegeben nicht sehr aufwendigen) Rolle des Aegisth vom Anfang bis zu seinem Ende, dem Tod im Bühnenhintergrund, stark präsent war.

Regine Hangler, von der man weiß, dass sie in der Gunst ihres Landsmanns Welser-Möst steht und die es an der Staatsoper schon zur Daphne und selbst Chrysothemis gebracht hat, sah sich auf die Vierte Magd zurück gestuft. Erfreut registrierte man bekannte Gesichter – Monika Bohinec, Margaret Plummer, Donna Ellen, Dan Paul Dumitrescu. Im übrigen gibt es in der „Elektra“ viele, wenn auch meist undankbare Nebenrollen, und man wird viele der „Neuen“, die sich da zeigten, vermutlich noch näher kennen lernen.

Ja, und da war noch die Rückkehr des Franz Welser-Möst an die Staatsoper, nachdem er vor sechs Jahren das Handtuch geworfen hat. Er ist ein Meister für Richard Strauss, er hatte das richtige Orchester, er lieferte eine Leistung zum Niederknien. Angesichts einer Besetzung, die nicht unbedingt Spitzenklasse war, fand das Werk tatsächlich im Orchestergraben statt, dort wurde von Leid und Verzweiflung, Sehnsucht und Verwirrung erzählt, dort schien die Musik geradezu zu explodieren – so dass nach dem Ende des Abends geradezu ein Aufschrei durch den Zuschauerraum ging. Hatte man Welser-Möst (wer schert sich um die Empfehlung, nicht Bravo zu rufen) schon zu Beginn ein überaus herzliches Willkommen bereitet, feierte man ihn am Ende zu Recht, nachdem man aber auch alle Sänger mit Applaus bedacht (und offenbar keine Defizite gehört) hatte.

Renate Wagner

Am Rande:
Diesmal hatte ich nicht in vorauseilendem Gehorsam meinen Personalausweis in der Hand – da forderte man ihn (sehr freundlich und höflich) von mir. Na also, klappt ja.
Wie auch bei der „Butterfly“ sah man einen absolut strahlenden Ioan Holender im Parkett. Nach zehn Jahren Abstinenz ist er wieder da, die „Graue Eminenz“, der „Königsmacher“ oder auch nur der hoch geschätzte Emeritus, take your pick. Na ja, dass er wie kein anderer einem Kollegen, der nicht beratungsresistent ist, Ratschläge geben kann … das will man schon annehmen…

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Wiener Staatsoper
Wiederaufnahme
08.September 2020

Elektra
Musik Richard Strauss
Text Hugo von Hofmannsthal
Tragödie in einem Aufzug

Musikalische Leitung   Franz Welser-Möst

Inszenierung Harry Kupfer
Szenische Einstudierung Angela Brandt
Bühne Hans Schavernoch
Kostüme Reinhard Heinrich

Klytämnestra Doris Soffel
Elektra Ricarda Merbeth
Chrysothemis Camilla Nylund
Aegisth   Jörg Schneider
Orest   Derek Welton
Der Pfleger des Orest Marcus Pelz
Die Vertraute Anna Nekhames
Die Schleppträgerin Stephanie Maitland
Ein junger Diener Robert Bartneck
Ein alter Diener Dan Paul Dumitrescu
Die Aufseherin Donna Ellen
Erste Magd Monika Bohinec
Zweite Magd   Noa Beinart
Dritte Magd Margaret Plummer
Vierte Magd Regine Hangler
Fünfte Magd Vera-Lotte Boecker
Erste Dienerin María Isabel Segarra
Zweite Dienerin Seçil Ilker
Dritte Dienerin Kaya Maria Last
Vierte Dienerin Dymfna Meijts
Fünfte Dienerin Karen Schubert
Sechste Dienerin Sabine Kogler

 

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