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WIENER FESTWOCHEN / Volkstheater: HAMLET – DANS LES PLIS DU TEMPS

Madame Hamlet im Wohnzimmer

31.05.2024 | KRITIKEN, Theater

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WIENER FESTWOCHEN / Volkstheater: 
HAMLET – DANS LES PLIS DU TEMPS
Nach William Shakespeare
Produktion des Odéon-Théâtre de l’Europe. März 2024
Premiere in Wien: 31. Mai 2024 

Madame Hamlet im Wohnzimmer

„Hamlet“ ist das berühmteste Stück der Weltliteratur (wissen Sie ein berühmteres?). Jenes, in dem William Shakespeare schon im Jahr 1600 wusste, dass die Welt aus den Fugen ist (also nicht erst heute). Die Burgtheater-Ära von Stefan  Bachmann wird im September mit „Hamlet“ eröffnet werden. Jens Harzer, dringlich erwartet, hat sich aus der Produktion allerdings schon zurück gezogen – vielleicht, weil die Gerüchte besagen, dass „jeder jeden“ spielen wird, was nahe legt, dass Regisseurin Karin Henkel nicht mehr an Individuen glaubt? Vielleicht ist es ja auch nur ein Gerücht. Aber erkennbare Inszenierungen sind heutzutage wohl  nicht mehr zu erwarten…

Auch jene, die die Wiener Festwochen aus Paris, dem Odéon-Théâtre de l’Europe, nach Wien geholt haben, ist keinesfalls eine solche. Dabei wird dem Publikum zu „Hamlet – dans les plis du temps“ (also „in den Falten der Zeit“) gleich mit einem Text im Programmheft auf die Sprünge: geholfen „Hamlet erwacht in der Gegenwart als Frau und sieht sich mit der Gewalt des Patriarchats und der eigenen Vergangenheit als männlicher Hamlet konfrontiert.“ Das schreibt sich leichter hin, als es sich erkennbar realisiert.

Die Inszenierung der portugiesischen Regisseurin Christiane Jatahy beginnt klassisch heutig – das Geschehen auf der Bühne, es ist turbulent, wird total mit Videobildern überlagert. Vage mag die erste Szene angedeutet werden (wo Hamlets Freunde den Geist seines Vaters sehen), auch jene, wo Claudius und Gertrude sich als neues Herrscherpaar feiern lassen. Immer sitzt unbeweglich eine Frau in Schwarz (Clotilde Hesme) im Zentrum des Geschehens.

Wenn sie – es ist natürlich der Sie-Hamlet – in die Handlung einsteigt, kommt man in ein großbürgerliches französisches Wohnzimmer, wo Gertrude und Claudius rechts in der Küche kochen, man sich am Eßtisch trifft und dann in die Wohnmöbellandschaft wechselt. Ganz heutig.

Die Video-Welt zieht sich zurück, ohne zu verschwinden, man sieht so manches – entweder auf dem Fernsehschirm (wie Claudius am Klo kurz so etwas wie Gewissensbisse empfindet) oder per Film. wie das Grab für Ophelia ausgehoben wird (ohne dass es zur Totenkopfszene kommt). Aber tatsächlich spielt sich der Rest des mehr als zweistündigen Abends hier im Zimmer ab.

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Neben Madame Hamlet rückt ihre Mutter (Servane Ducorps) schwer ins Zentrum – ganz in Rot, standfest, unübersehbar, gerne mit einem Mikro in der Hand und einem Liedchen auf den Lippen. Ophelia (Isabel Abreu) spielt in der Geschichte kaum eine Rolle (darf aber kurz Portugiesisch sprechen), und was die Männer betrifft, so kommt die Inszenierung mit Claudius (Matthieu Sampeur), Polonius (Tonan Quito), Rosencrantz (David Houri) und Guildenstern (Tom Adjibi) aus, die nur für ein paar minimale Handlungselemente gebraucht werden.

Die Herren finden sich im Wohnzimmer ein, spielen als „Gesellschaftsspiel“ andeutungsweise (Shakespeares Text ist nicht die Hauptsache dessen, was an diesem Abend gesprochen wird) die Szene mit den Schauspielern, Sie-Hamlet und die Mutter krachen zusammen, alles nur rudimentär erkennbar.

Und man fragt sich, ob der Sinn einer Inszenierung  darin bestehen kann, dass derjenige, der „Hamlet“ gut kennt, jetzt rätselt, welche Handlungsbröckchen des Stücks verwendet wurden und warum, während diejenigen, die weniger versiert sind, ohnedies nur Bahnhof verstehen werden…

Das auf der Bühne Gebotene, das optisch wie ein französischer Film wirkt, schert sich wenig um „Hamlet“, zeigt im Fernsehen aktuelle Kriegsbilder (vermutlich aus dem Ukraine-Krieg) und lässt Sie-Hamlet am Ende monologisch (mit Großteils erfundenem Text) vor das Publikum treten, wobei sie übrigens so beiläufig wirkt wie bei „Sein oder Nichtsein“, das die Darstellerin geradezu uninteressiert abgespult hat.

Am Ende also schwurbelt sie gewissermaßen über Gott und die Welt (und erzählt nebenbei das Ende von Hamlet in Bruchstücken – Gertrude trinkt, Gertrude stirbt), überlegt sich, was es bedeutet, eine Frau zu sein, und ob sie das will, und wenn sie endlich bei „Der Rest ist Schweigen“ angekommen ist, weiß man wirklich nicht, was sie gesagt hat – und warum.

Fragen über Fragen, aber die essentielle wird nach dem Ende des mühevollen Abends nicht beantwortet: Welchen Sinn eine solche Hamlet-Paraphrase macht, für Hamlet, für Shakespeare und für das Publikum.

Renate Wagner

 

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