Fotos: © Arno Declair
WIENER FESTWOCHEN / Gastspiel im Volkstheater:
ANGABE DER PERSON von Elfriede Jelinek
Eine Produktion des Deutschen Theaters Berlin
Premiere: 16. Dezember 2022. Uraufführung
Premiere in Wien: 5. Juni 2024
Lesen wäre besser
Man kennt Elfriede Jelinek. Ihre Themen, ihre Sprache, ihre Methoden. Seit Jahrzehnten sieht man überraschungsfrei mehr oder minder dasselbe Stück aus ihrer Feder – das heißt, wie Regisseure sich bemühen, die Textflächen der Jelinek auf scheinbar handelnde Personen zu verteilen und so etwas wie „Theater“ daraus zu machen. Das gelang (und gelingt) mal besser, mal schlechter.
In den letzten Jahren wird Elfriede Jelinek in Wien selten gespielt (ja, Kusej brachte 202o „Schwarzwasser“, Details hat man schon wieder vergessen), ihre Uraufführungen finden nach wie vor in dichter Folge zwischen München, Hamburg und Berlin statt. Nun haben die Wiener Festwochen ihr derzeit letztes Stück von Berlin nach Wien gebracht. Das Deutsche Theater Berlin hat im Dezember 2022 „Angabe zur Person“ zur Uraufführung gebracht. Sicher nicht der beste Text der Autorin.
Zu Beginn scheint es um – Steuersachen zu gehen. Ein Thema, das jeden arbeitenden Menschen betrifft, der sich in demselben Behördendschungel wiederfinden mag, den die Jelinek andeutet. Allerdings hat sie über Geld schon weit Erhellenderes gesagt (etwa in den „Kontrakten des Kaufmanns“). Aber darum geht es ihr eigentlich nicht.
Die „Angabe der Person“, die der Staat zwecks Steuererhebung feststellt, führt sie zu ihrem zentralen Thema, der unbewältigten Vergangenheit. Diesmal ist es ein Teil ihrer jüdischen Familiengeschichte, der sie dazu bringt, wieder in der Nazi-Vergangenheit zu wühlen. Und selbst, wenn sie es diesmal auf schmerzlich-persönlicher Ebene tut, ist dazu nichts Neues zu sagen. Überraschungsfrei, wie erwähnt. Auch in der Wut über Leute, die wohl evident schuldig waren, sich aber aus jeder Verantwortung heraus gedreht und noch Entschädigungen lukriert haben wie Henriette von Schirach… Auch das weiß man seit langem.
Regisseur Jossi Wieler teilt den im ganzen mehr als zweieinhalbstündigen, pausenlosen, für den Zuschauer nicht unanstrengenden Abend in einer undefinierbaren Bühnenlösung (Anja Rabes )in drei Abschnitte. Zuerst haben zwei Schauspielerinnen je einen gut 40minütigen Monolog zu absolvieren, und dass Kaliber wie Susanne Wolff und Fritzi Haberlandt das über die Maßen prächtig exekutieren, steht außer Frage. Dennoch kein reines Vergnügen für das Publikum, denn die Schnelligkeit, mit der die Texte abgeliefert werden, ermöglicht kein volles Verständnis, weder der Jelinek‘schen Sprachspiele noch ihrer wirren Gedankenknäuel, die sie von einem Thema zum anderen springen lässt. Wer wirklich etwas von ihrer Sprache (und den darin transportierten Gedanken) haben will, ist immer am besten damit beraten, Elfriede Jelinek einfach zu lesen…
Im dritten Teil gesellt sich Linn Reusse zu den Kolleginnen, mit der gleichen blonden Perücke, dem gleichen Outfit, und kurze Zeit wird der Abend im verbalen Drittabschlagen fast zur Kabarett-Nummer. Dann allerdings erinnerte sich Jossi Wieler, dass er vielleicht doch mehr tun sollte, als die Darstellerinnen nur herumstehen zu lassen, beginnt ein hektisches, sinnfreies Inszenieren zu dem Text, der plötzlich vom Band geflüstert wird, mit herbei gebrachten Puppen und alten Kleidern, die sich die Damen überstülpen, um dann plötzlich zu verschwinden.
Damit ist es allerdings noch nicht zu Ende: Bernd Moss, der den ganzen Abend vor einer digitalen Anlage auf der Bühne saß und gelegentlich eine trockene Pointe eingeworfen hat, darf das Finale des Stücks lesen, das im Eingeständnis der Autorin ausklingt, sie sei unfähig, eine digitale Überweisung zu tätigen… (Steuern wird sie vermutlich trotzdem zahlen.)
Danach verbeugte sich Regisseur Jossi Wieler, der in Wien ja „bei der Hand“ ist, mit den Darstellerinnen und dem Darsteller. Elfriede Jelinek, die ihre Heimat ja erklärterweise nicht mag (dennoch hat sie sich letzten September zur Ehrenbürgerin der Stadt Wien küren lassen, und das Große Goldene Ehrenzeichen am Bande für die Verdienste um die Republik Österreich hat sie vor ein paar Tagen auch genommen …) erschien natürlich nicht. Im gut besuchten, aber nicht ausverkaufen Volkstheater waren genügend Jelinek-Fans vorhanden, um auf jeden Fall heftig zu applaudieren.
Renate Wagner