Fotos: Münchner Kammerspiele / Thomas Aurin
Wiener Festwochen / Theater an der Wien:
TIEFER SCHWEB
Ein Auffangbecken von Christoph Marthaler
Gastspiel der Münchner Kammerspiele
Wiener Premiere: 4. Juni 2018
Nein, an allem ist der derzeitige Festwochen-Intendant natürlich nicht schuld, er hat schließlich den Christoph Marthaler nicht erfunden. Dieser ist schon seit bald einem Vierteljahrhundert Dauergast bei den Wiener Festwochen. Was von ihm zu erwarten ist (und auch: was er kann), das weiß man mittlerweile. Wer reingeht, ist selber schuld. Aber es muss auch Leute geben, die ihn mögen – schließlich sind ja nicht alle Theaterbesucher (wie manche unrettbar neugierige Kritiker) Masochisten.
Diesmal kam Marthaler mit einer Produktion der Münchner Kammerspiele, einem Haus, an dem er lange nicht inszeniert hatte und wo „Tiefer Schweb“ laut umjubelt wurde. Wieder einmal ein „Stück“ ganz von ihm, und das ist letztendlich das Beste, denn wenn er Vorlagen malträtiert, erträgt man es schlechter (der arme „Tristan“ in Bayreuth oder die arme „Schöne Müllerin“). Freilich, so witzig wie mit „Die Stunde Null“ war er nie wieder, aber das ist lange her…
Für den „Tiefen Schweb“ tut Marthaler, was er faktisch immer tut, er schickt seine Musikclowns aus. Der Rahmen, den er sich dazu ausdenkt, ist eher unwesentlich. Natürlich sprangen die Kritiker sofort auf die Nebensatz-Bemerkung an, mitten im Bodensee hätte man aus Schiffen Quartiere für Flüchtlinge gebaut, aber darum geht es nicht. Es wird auch nicht politisch dort in der Tiefe, es geht nur um Geblödel – oder darum zu zeigen, wie blöd die Menschen sind?
Acht Marthaler-Helden, sechs Herren (die meisten eher älter), zwei Damen (Annette Paulmann, Hassan Akkouch, Jürg Kienberger, Olivia Grigolli, Raphael Clamer, Stefan Merki, Ueli Jäggi, Walter Hess, um sie für ihre Mühe auch zu nennen), sind also als „Fachgremium“ der Hohlköpfe unter dem Bodensee gelandet. In einem getäfelten Raum, den Duri Bischoff im Stil der diesmal offenbar nicht abkömmlichen Anna Viebrock geschaffen hat. Manchmal öffnet sich die Hinterwand, dann kann man den Herren auch beim Pinkeln zusehen, im übrigens besteht die einzige szenische Pointe (unaufhörlich benutzt, also minutenschnell abgenutzt) darin, dass die Damen und Herren in einen Kachelofen steigen oder daraus herauskommen, weil sich oben eine runde Öffnung dazu bietet…
Weil Marthaler von seinem etwas mehr als zweistündigen Abend die erste Stunde eigentlich ohne irgendwelche Aktion vorbeigehen lässt, fällt ihm danach das eine oder andere ein – ein Quartett der Kloschüsseln, eine Folklore-Show (auch Herren in Tracht – endlich darf Sara Kittelmann mit den Kostümen ausflippen), die üblichen Auftritte in Unterwäsche, irgendwann wird auch noch eine Kreissäge daher geschleppt, Holz geschnitten, damit die Unglücksraben sich selbst einsperren können… Da gucken sie dann zum Finale auch ganz traurig ins Publikum.
Worum es geht? Die Herrschaften, die da in der Tiefe des Bodensees im (wie der Gattungstitel lautet) „Auffangbecken“ ihres Dichter / Regisseurs gelandet sind, dürfen anfangs das übliche Fachleute-Gewäsch nach allen Regeln der Kunst parodieren. Kabarett der üblichen Sorte. Aber bei Marthaler geht es nicht ohne einen überbordenden Anteil von Musik, jeden Augenblick brechen seine Akteure in a cappella oder auch in skurril begleitete Chöre aus, von Volksliedern bis Procul Harum (Extrabeifall des Publikums dafür), und da er sich immer gute, kompetenten Sänger-Schauspieler aussucht, leidet man als Musikfreund zumindest keine Höllenqualen.
Den tieferen Sinn des parodistischen Gesangs bekommt man nicht mit, aber das sind eben seine Musik-Clown-Blödeleien, an denen nur eines ärgerlich ist: Wie das deutsche Feuilleton davor nach wie vor in die Knie geht, als handelte es sich tatsächlich um relevantes, substanzielles Theater – und nicht nur um eine „Show“, die stellenweise mal lustig, stellenweise öde ist, und die man jedenfalls nicht vermissen würde, wenn es sie nicht gäbe.
Renate Wagner