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WIENER FESTWOCHEN / Theater an der Wien: DIE GEWEHRE DER FRAU KATHRIN ANGERER

05.06.2021 | KRITIKEN, Theater

angerer gesicht ~1

WIENER FESTWOCHEN / Theater an der Wien:
DIE GEWEHRE DER FRAU KATHRIN ANGERER
von René Pollesch
Uraufführung
Premiere: 5.Juni 2021

Ab Herbst ist René Pollesch, in Wien als Dramatiker / Regisseur bekannt (meist befand sich „unsere“ Sophie Rois in seinem Ensemble), Intendant der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Seine erste Premiere dort fand im Voraus bei den Wiener Festwochen statt. Mit seinem Stück „Die Gewehre der Frau Kathrin Angerer“ bekam die Berliner Schauspielerin Kathrin Angerer die Ehre, nach Ilse Ritter und Kirsten Dene („Ritter, Dene, Voss“ von Thomas Bernhard) Titelheldin eines zeitgenössischen Theaterstücks zu sein, Dass der Titel bewusst (und auch als solcher zitiert) an Bert Brechts „Die Gewehre der Frau Carrar“ erinnert, ist für den Abend selbst von sekundärer Bedeutung.


Copyright: Luna Zscharnt.

Da man bei Pollesch so gut wie nie weiß, worum es eigentlich geht, orientiere man sich an Äußerlichkeiten, etwa an dem in Interviews immer wieder zitierten Hinweis auf das „Lob des Tanzfilms“. Tatsächlich steht eine riesige runde Eisenkonstruktion auf der Bühne (Nina von Mechow), in deren Mitte sich ein Raum befindet, der reichlich Gelegenheit bekommt, sich zu drehen (und dem darin Eingeschlossenen damit Schwierigkeiten zu bereiten). Davor wird des öfteren eine der klassischen Treppen des Tanz- und Musical-Films gestellt, und tatsächlich wird auch viel und temperamentvoll getanzt (zu schöner, alter Swingmusik, die so nostalgisch wirkt). Das alles spielt sich nicht nur live ab, sondern zu einem großen Teil auch von Videokameras auf Wände geworfen (manchmal über die komplette Größe des Eisernen Vorhangs). Als Trickeinlage bekommt man Einblick in einen Spinning Room, wo Tänzer dann im Stil von Fred Astaire die Wände hoch und auch verkehrt an der Decke tanzen – natürlich nicht live, sondern als witzige Trickeinlagen.

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Foto: Luna Zscharnt/ Festwochen

Witzig ist überhaupt das meiste an dem Stück, das sogar eine konkrete örtlich-räumliche Vorgabe bietet: ein Filmatelier in Hollywood 1938. Was in diesem bedeutungsschweren Jahr gedreht wird, ist dann nicht ganz klar, Tanzfilm, politische Parabel oder gar Wrestling? Aber darauf kommt es nicht an. Gleich zu Beginn erscheint der Mann, der im Zusammenhang mit René Pollesch offenbar unabdingbar ist: Martin Wuttke (vom Burgtheater hat er sich für die nächste Saison karenzieren lassen!), der gleich ein Slapstick-Virtuosenstück hinlegt, auszurutschen, hinzufallen, versuchsweise aufzustehen und erneut, aber anders auszurutschen, und das so oft, dass es schon an brillante Akrobatik heran reicht. Es hat nur einen Mann für diverse absurde Stichworte an der Seite (Thomas Schmauser). im übrigen beherrschen drei Damen das Geschehen, das in der Regie des Autors auf einem hoch gespannten Blödel-Ton exekutiert wird. Wie immer bei René Pollesch wirkt alles nicht „gespielt“, sondern gewissermaßen improvisiert, und man weiß nie, ob die Hilfe der Souffleuse nicht auch mit inszeniert ist oder ob die Darsteller gelegentlich wirklich durch den Text wackeln. Aber das ist der Stil des Ganzen, das muss man können.

Titelheldin Kathrin Angerer beherrscht das perfekt, mit knatschigen Kleinmädchen-Tönen und einer herrlichen Fähigkeit, sich blöd zu stellen. Ihr zur Seite die auch schon durch ihre Körpergröße witzig wirkende Rosa Lembeck, die ihr an unschuldsvoller Dummheit (bei allem typischem Konkurrenzverhalten von Schauspielerinnen, die um die Hauptrolle kämpfen) nichts schuldig bleibt. Aber auch Marie Rosa Tietjen in der Rolle von einer Art Assistentin ist herrlich witzig, wenn sie irgendetwas Hochgestochenes abspult, das sich letztendlich als sinnentleert erweist. Alle philosophieren gewissermaßen über das Leben auf die Art, wie es die Möchtegern-Intellektuellen tun, die in ihren Erkenntnissen noch nicht sehr weit gekommen sind und über ihre eigenen flachen Gedanken stolpern…

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Copyright: Luna Zscharnt

Vielleicht sind es auch die Musik- und Tanzeinlagen, die den Abend (er dauerte dann doch fast zwei Stunden und nicht die angekündigten 90 Minuten) so unterhaltend machten, abgesehen davon, dass hochkarätiges Blödeln (wenn man es so kann, wie es hier vorgegeben und ausgeführt wird) auch ein besonderes Vergnügen für sich ist. Man kann von einem stürmischen Premierenerfolg im nicht einmal halb besetzten Haus sprechen.

Renate Wagner

 

 

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