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WIENER FESTWOCHEN: THE ENCOUNTER (London)

03.06.2016 | KRITIKEN, Theater

Encounter  vor grüner Wand~1
Fotos: Wiener Festwochen

WIENER FESTWOCHEN / MuseumsQuartier:
THE ENCOUNTER von Simon McBurney
Theatre
Complicite, London
Premiere im deutschsprachigen Raum
Premiere in Wien: 2. Juni 2016

Simon McBurney ist ein Allroundtalent des englischen Theaters, oft genug auch auf der Filmleinwand zu sehen, ein Mann, der Pantomime und Choreographie ebenso beherrscht wie Regie und Darstellung. Und der mit vielfach bewiesener Kreativität immer Neues sucht. Mit seiner „Ein-Mann-Show“ mit dem Titel „The Encounter“, 130 pausenlose Minuten, hat er es gefunden.

Offenbar legte man bei diesen Festwochen besonderes Gewicht auf Sprache / Nichtsprache / Geräusch – hat man in „Mount Olympus“ in vielen Sprachen parliert, aber auch alle Möglichkeiten und Nuancen der menschlichen Stimme ausprobiert, so gab es eine stumme Produktion der „Drei Schwestern“ mit Gebärdensprache – und nun ein „Fest der Geräusche“, das den Zuschauer immer wieder dazu bringt, die Augen zu schließen und sich dem „Hörspiel“ hinzugeben, das hier aus den Kopfhörern kommt, die für „The Encounter“ an jedem Platz in der Halle E des MuseumsQuartiers angebracht sind…

Simon McBurney, der weder große noch attraktive Mann, der da allein auf der Bühne steht und so grenzenlos fasziniert, zeigt uns erst ganz genau, was man mit Geräuschen machen (und mit ihnen täuschen) kann, welche Illusionen sie im Hirn des Menschen auslösen, wie verblüffend „real“ man etwa das Summen von Moskitos empfindet, so dass man nach ihnen schlagen will, wie seltsam es ist, etwas ins Ohr geflüstert zu bekommen, dass man sich nach dem Menschen umdrehen möchte, der das tut (aber es gibt ihn natürlich nicht) – kurz, wie durch das Hören eine ganze Welt imaginiert wird. Jeder, der im Radio gerne Hörspiele hört, wird es wissen, obwohl die Virtuosität der Geräuschkulisse, die hier erzeugt ist, selten erreicht werden dürfte.

Es gibt auch, nach anfänglichem Philosophieren über die „Zeit“, deren Realität, deren Kontinuum (ein ewiges Menschheitsthema), eine Geschichten, vielmehr zwei – die eine zeigt Simon McBurney (scheinbar) in seinem Londoner Arbeitszimmer, und er wird dort immer wieder auf das possierlichste von seiner fünfjährigen Tochter gestört, die den Papa mit aller Selbstverständlichkeit in Beschlag nehmen will. Dieser arbeitet aber daran, das Schicksal von Loren McIntyre zu erzählen, den es wirklich gab, dessen Abenteuer am Amazonas in einem Roman von Petru Popescu geschildert werden und die McBurney nun spielt, vor allem aber spricht – zu einer Geräuschkulisse, die den Zuschauer ins Geschehen geradezu hineinreißt.

Encounter  mit schwarzer Brille~1 Encounter_am Mikro~1

Da ließ sich der Fotograf Loren McIntyre also 1969 von einem Hubschrauber mutterseelenallein am Amazonas absetzen, um für „National Geographic“ Fotos eines fast unbekannten Stammes namens Mayoruna („Katzenmenschen“) zu schießen. Von den grundsätzlichen Überlegungen abgesehen, ob man diese Menschen nicht in Ruhe („unentdeckt“) lassen sollte, gibt es erst einmal eine Story vom Stolpern des Zivilisationsmenschen in die Wildnis: McIntyre sieht Eingeborene, fotografiert sie, folgt ihnen ohne nachzudenken in den Regenwald – und hat keine Chance mehr, allein durch die Wildnis den Weg zurück zum Fluß zu finden. Abenteuerlich – und doch nicht so sehr, dargeboten auf fast leerer Bühne mit Mikrophonen und Lichteffekten.

Denn was nun folgt, ist ein Konglomerat aus Ethno, aus Esoterik, aus Existenziellem, das von McBurney faszinierend interpretiert wird, nie auf den Humor vergessend, aber doch viel zu repetitiv, letztlich zu handlungsarm und abgehoben. Selbst das brillante Springen zwischen den Zeit-Ebenen ist nach dem so und so vielten Mal nicht mehr interessant. Für das überwältigende Sound-Erlebnis, das einem da in die Ohren rauscht, ist das Ganze übrigens viel zu lang, und nicht nur Einer hatte nach der Vorstellung leichte Gleichgewichtsstörungen.

Um nicht missverstanden zu werden: Das Gebotene ist über die Maßen brillant und vermutlich ein einmaliges Erlebnis. Aber als Event zu selbstverliebt, weil McBurney nicht erkannt hat, wie viel mehr – weniger gewesen wäre.

Renate Wagner

 

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