Foto: Wiener Festwochen
WIENER FESTWOCHEN / Akzent:
ORCHIDEE
Konzept, Inszenierung, Bilder und Film: Pippo Delbono
Österreich-Premiere
Compagnia Pippo Delbono, Modena
Premiere in Wien: 16. Juni 2016
Erstmals lernt man in Wien den italienischen Theatermacher Pippo Delbono, Jahrgang 1959 (geboren im norditalienischen Varazze), kennen. Ein experimenteller Allround-Künstler, der u.a. mit Pina Bausch zusammen gearbeitet hat. Er hat seit den Achtziger Jahren seine eigene Truppe, die Compagnia Pippo Delbono, offenbar eine verschworene Schar, die sich – ein Dutzend kam nach Wien – nun im Wiener Akzent versammelten, um mit ihrer Produktion „Orchidee“ eine der letzten Premieren der Wiener Festwochen zu bestreiten.
Es beginnt mit Worten, eine „Conference“ – man sieht Pippo Delbono dabei nicht, tatsächlich ist er live an diesem Abend selten auf der Bühne, er schickt lieber sein Ensemble hinaus. Er spricht, durchs Mikrophon, und anfangs kann man sich auf fröhliches Geplaudere, das vom Hundertsten ins Tausendste kommt, einstellen (auf Italienisch, mit Übersetzung über dem Bühnenportal). So, wie seine Leute herumtanzen und tänzeln, zu Beginn noch teils clownesk, fühlt man sich an die revueartigen Produktionen von André Heller erinnert…
Vor einer Riesenleinwand, die oft mit Videos überzogen wird (lebendige Kulisse sozusagen), stoppelt sich nun das Patchwork eines zweistündigen, pausenlosen Abends zusammen, und wenn er überhaupt ein Prinzip hat, dann wohl das, an sich scheinbar keines zu haben – und letztlich doch in der knüppeldicken politischen Agitation zu landen. Schrittweise, das heißt, dass man sich eine zeitlang an einer lautstark gesungenen (es ist oft sehr laut an diesem Abend) Szene aus Mascagnis Oper „Nero“ erfreuen kann (Verismo pur), zu der Gianluca Ballarè als dekadenter Nero auftritt und vorgibt, seinen Part zu singen…
Eine Vorliebe Delbonos gilt literarischen Zitaten, ein wichtiges Thema für ihn ist die Homosexualität (eine Spur peinlich, wenn sich zwei ältere Männer splitterfasernackt ausziehen und auf der Bühne in enger Umarmung verharren), und manchmal geht er – möglicherweise ist das ein persönliches Gefühl – zu weit. Denn er hat den Tod seiner Mutter mitgefilmt, die letzten Worte, als sie Augustinus zitierte (die die Überlebenden trösten sollen)… wie kann man mit einer Hand die Finger einer Sterbenden streicheln und mit der anderen das Handy halten, hier mitfilmen und es dann im Rahmen einer Produktion, die ja doch „Theater“ ist, ausstellen? Auch dass man „Bobo“, den zwergwüchsigen Taubstummen, als „Spieler“ auf die Bühne schiebt, verlangt einen guten Magen vom Zuschauer… Soll man lachen? Soll man ihn bedauern? Es gibt noch Menschen, denen solche Zurschaustellung peinlich ist und demütigend für den Betroffenen vorkommt.
Noch triefender wird es vollends, wenn Delbono aus dem in Afrika gesehenen Elend die üblichen Propagandasprüche gewinnt (die den Leuten dort gar nichts helfen), und schließlich lässt er lautstark „Revolution“ brüllen und darüber philosophieren. Hamlets Monolog und Ophelias Tod kommen auch an die Reihe, und die „schöne und tückische Blume Orchidee“ wird herangezogen, um verquere Poesie zu verströmen…
All das ist, laut Delbono, darauf ausgerichtet, „die Menschen zuerst auf der Ebene des Herzens anzusprechen – und nicht auf der intellektuellen“. Wer im Publikum nun nicht das postulierte „große Herz“ hat, wird mit der sentimentalen Polit-Show letztendlich wenig anfangen können. Muss man jene, die sich von Delbono berühren lassen, beneiden? Belassen wir es lieber bei „Jedem das Seine“. Man kann die Spekulation auch (bis zur extremen Geschmacklosigkeit wie hier) übertreiben. Was man übrigens bei vielen Produktionen dieser Wiener Festwochen feststellen musste…
Renate Wagner