Fotos. Wiener Festwochen / Nuri th-Wagner-Strauss
WIENER FESTWOCHEN / Odeon:
DIE SEHERIN von Milo Rau
Produktion: Schaubühne am Lehniner Platz (Berlin)
La Biennale di Venezia
Mit Unterstützung des Goethe-Instituts und Fondament
Weltpremiere: Wiener Festwochen, 5. Juni 2025
Das ultimative Grauen
An sich ist „Die Seherin“, von den Wiener Festwochen im Odeon herausgebracht, nur eine typische, für das Theater billige Milo Rau-Produktion, wie man sie schon kennt. Zuerst reist er in der Dritten Welt umher (Südamerika, Afrika, in diesem Fall der Nahe Osten) und bringt politisch belehrendes Filmmaterial mit. Auf der Bühne stehen dann nur wenige Schauspieler, in diesem Fall eine einzige Dame, und geben quasi den Kommentar dazu, was man riesig auf der Leinwand sieht. Den Iraker im Video hält man auch dann noch für „vorgefilmt“, wenn er sich am Ende der Premiere verbeugte – und sich damit quasi auch Applaus für seine abgehackte Hand holte…
Was sieht die „Seherin“? Nun, nicht weniger als das Grauen der Welt, wobei Milo Rau im Programm-Zettel-Beitrag gesteht, wie viel an höchstpersönlicher Erfahrung in das Stück, das von einer fiktiven Kriegsfotografin handelt, hier eingeflossen ist. Offenbar hat er selbst schon als kleiner Junge, wenn andere die Fotos von Fußballstars gesammelt haben, nicht genug von der Ansicht von Kriegsgräueln, verstümmelten Leichen und Hinrichtungen bekommen können.
Letztendlich ist es auch das, was seine Anti-Heldin eineinhalb pausenlose Stunden lang erzählt – Kriegsfotos dienten in diesem Fall nicht dazu, um Grauen zu zeigen, sondern um sich persönlich daran zu weiden. Ziemlich pervers – und wenn man noch einen Rest an Sensibilität in das Theater mitbringt, will man eigentlich nicht detailliert geschildert bekommen, wie „schwierig“ es ist, Opfer mit nicht ausreichend scharfen Waffen zu köpfen… Dergleichen mehr bekommt man bis zum Erbrechen zu hören.
Jene Szenen, in denen Azad Hassan im Video erscheint, haben dann (man geht davon aus, dass der Mann so authentisch ist wie seine Geschichte) einigen Wert. Denn er erzählt, wie katastrophal das Leben für die Zivilbevölkerung im Irak wurde, als die IS die Macht ergriff und mit allem brutalen Sadismus gegen die Menschen vorging, die sich ihnen nicht aus Opportunismus anschlossen. Azad Hassan bekam eine Hand abgehackt – der Islam ist bekanntlich keine milde Religion. Wie er überleben konnte, wird nicht ganz klar, er tat es, wurde Lehrer, auch Schauspieler und ist nun Bestandteil des Filmteils des Abends. So grausam auch sein mag, was er zu erzählen hat (auch über die Gleichgültigkeit der Menschen angesichts des Leidens der anderen), so macht es doch Sinn, weil es uns Dinge nahe bringt, die wir in dieser Kraßheit ja doch nicht erfahren.
Die „Seherin“ mit ihren sado-masochistischen Ausführungen hingegen ist eine der schrecklichsten Bühnenbegegnungen, an die man sich erinnert. Die Schauspielerin Ursula Lardi, deren Gesicht man aus Nebenrollen deutscher Fernsehkrimis kennt, versucht sich in relativ cooler Distanz. Wie es heutzutage auf den Bühnen leider üblich geworden ist, verweigert sie das normale Sprechen und flüchtet in affektiertes Geflüstere, das trotz Mikrophons nicht in die letzte Reihe des Odeons hinaufstieg. Was man mitbekommen hat, war immer noch zu viel.
Übrigens – man erfährt von Milo Rau zwar, wie gut er Altgriechisch kann und dass der „Philoktet“ des Sophokles als Inspiration für den Abend galt – gemerkt hat man davon rein gar nichts.
Was geht in diesem Milo Rau eigentlich vor`? Die Frage stellt sich nicht zum ersten Mal (bedenkt man, dass er Mörder und Terroristen als Gäste zu den von ihm verantworteten Wiener Festwochen einlädt, was einfach nicht zu argumentieren ist, so sehr er sich dreht und wendet). Was will er hier? Den Schrecken des IS-Regimes zeigen, damit wir erstens wissen, wie gut es uns geht, und zweitens jeden Flüchtling aus dem Nahen Osten willkommen heißen?
Will er dem Publikum mit seinen eigenen Hinrichtungs-Phantasien (auf die ein normaler Mensch nie kommen würde) den Schlaf und die Ruhe rauben? Oder geht es wieder einmal nur darum, sich für seinen „Mut“ loben zu lassen?
Und was denkt sich ein Mann, der das Publikum nach dem Schlußapplaus zu solch einem Stück noch „hinüber ins Funkhaus zu einer Party“ einlädt? Na dann viel Spaß!
Renate Wagner