Wiener Festwochen / Halle E im MuseumsQuartier:
OBSESSION von Ivo van Hove
Nach dem Film „Ossessione“ von Luchino Visconti
Produktion: Toneelgroep Amsterdam
Premiere in Wien: 31. Mai 2017
Keine Produktion der Wiener Festwochen war so schnell und gründlich ausverkauft wie diese. Wenngleich „Visconti“ und auch „Toneelgroep Amsterdam“ durchaus reizvolle Namen sind (die Truppe hat bei den Festwochen schon einiges Interessante gezeigt, vor allem ihre monströs langen Shakespeare-Produktionen), so konzentrierte sich zweifellos das Interesse auf die Person von Jude Law.
Der sehr attraktive britische Mittvierziger war in den letzten erfolgreichen Sherlock-Holmes-Verfilmungen ebenso dabei wie beim Remake von „Sleuth“, wo er an der Seite von Michael Caine in dem genialen Zwei-Personen-Thriller brillierte. Nun gab es also die Gelegenheit, ihn im Theater zu sehen – wobei er im heimatlichen London, wo er in dieser Produktion bis vor wenigen Tagen auf der Bühne stand, gemischte Kritiken erntete.
Diese bezogen sich allerdings vor allem auf die Form, die der Belgier Ivo van Hove, Direktor der Amsterdamer Gruppe, auch international als Regisseur unterwegs, Luchino Viscontis Film von 1943 gegeben hat. Tatsächlich hat das originale „Ossessione“ (aus dem später in den USA bei der Neuverfilmung dann „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ wurde) um einiges mehr Spannung zu bieten als die programmatisch minimalistische Bühnenversion, der Jan Versweyveld wenig mehr als einen weiten Raum gegebenen hat (in dem die mit Mikros ausgestatteten Darsteller nicht optimal hörbar wurden, sondern oft im Rückkoppelungsschall ertranken), ein paar Versatzstücke (darunter ein von der Bühne hängender Motoren-Torso), gelegentlich Projektionen. Ganz wichtig ist für van Hoves Aufführung die Musik, vordringlich Verdi, Traviata und Requiem, ein bisschen Carmen, anderes, das vielleicht von Eric Sleichim stammt, der für Kompositionen und Sound Design verantwortlich zeichnet. Das hilft gelegentlich, Stimmung zu machen.
Denn mit der Stimmung hat es die Produktion ohnedies nicht so. Und das ist natürlich seltsam bei einer Geschichte, die von Leidenschaften handelt, die zum Mord führen… und wie man damit leben kann oder nicht. Weder der Psychothriller mit der immanenten Spannung noch der Umriß einer erstickend engen Existenz werden hier sonderlich klar.
Jude Law spielt Gino, der er mit seiner intellektuellen Ausstrahlung nicht sein kann – wer würde in ihm je einen Sinnlichkeit ausstrahlenden Naturburschen sehen? Das ist ein schlichter Streuner, ein Mann, der mal hier, mal da strandet und üblicherweise weiter zieht, bis er bei Hanna an eine extrem unzufriedene, unausgefüllte Ehefrau gelangt. Die Liebesszenen der beiden, durchaus nicht allzu diskret, sind allerdings keinesfalls brünstig, weil Law nur versuchsweise erspielen kann, was er nicht ausstrahlt. Aber was er als Schauspieler gibt, beeindruckt, vor allem, wenn er sich nach dem Mord – der halb cool, halb brutal stattfindet – weder in eine bürgerliche Existenz drängen lassen will, noch mit seinem Gewissen zurecht kommt. Da fährt er in der inneren Unruhe seiner Seele zu manchem großen Moment auf.
Rund um ihn, gewissermaßen im leeren Raum (wo doch ein trostloses Milieu zu zeichnen wäre…), ist Halina Reijn mehr nettes Frauchen als entschlossene Verführerin, und Gijs Scholten van Aschat als alter Gatte (der einmal die ganze Germont-Arie singt… Domingo-Konkurrenz!) keinesfalls so abstoßend, um seine Ermordung gewissermaßen begreiflich zu machen. Chukwudi Iwuji ist mal Priester, mal Polizist, Robert de Hoog als Johnny eine schwule Straßenbekanntschaft und Aysha Kala als Tänzerin eine sehr attraktive Konkurrenz für die Heldin…
Wenn man nicht an Visconti denkt und nicht daran, wofür „Besessenheit“ steht – sexuell und sozial -, dann nimmt man die Aufführung in ihrer seltsamen Kühle als solche, als eindreiviertelstündiges, pausenloses Kunststück. Das Wiener Publikum feierte alle Beteiligten, voran natürlich den Filmstar, der sich als guter Theaterdarsteller erwies. Hätte man ihn nur in einer für ihn idealen Rolle gesehen…
Renate Wagner