Foto: Wiener Festwochen / Nurith Wagner-Strauss
Wiener Festwochen im F23, Zusammenbau:
NOISE
Texte von Guy Krneta und den SpielerInnen, angeregt von Armen Avanessian, Laurie Penny, Ryan Trecartin u.v.a.m.
Koproduktion Wiener Festwochen, junges theater basel, mit Unterstützung von Pro Helvetia, Zürich
Uraufführung bei den Wiener Festwochen: 17. Juni 2015
Lernen Sie Geschichte! postulierte Bruno Kreisky, aber wer folgt heute noch der Aufforderung eines Elder Statesman von gestern? Theaterleute sicher nicht. Matthias Hartmann leitete das Burgtheater und hatte den Namen „Thimig“ nie gehört. Studenten der Theaterwissenschaft haben keine Ahnung, wer Leopold Lindtberg war. Junge deutsche Schauspieler werden an das Burgtheater engagiert und sagen: „Ja, na und?“ (Als ob der Unterschied zu Kaiserslautern – Verzeihung, willkürlich gewählter Ort – nur in der Gage bestünde.)
Wenn Sebastian Nübling etwas von Geschichte weiß, dann müsste er auch wissen, dass das, was er als Produktion des „jungen theaters basel“ als Uraufführung bei den Wiener Festwochen unter dem Titel „NOISE“ herausbrachte, einfach alter Käse ist. Dass La Mama mit seinen Happenings das Publikum einst viel intensiver und interessanter traf, dass das schlechte alte Agitprop immer schon so öde war wie hier auch. Apropos „NOISE“ – der Lärm, der hier angekündigt wird, wird übrigens auch gemacht, und wie – so dass die Billetteure Ohrenstöpsel austeilen. Für die Musik zeichnet Tobias Koch verantwortlich.
Das einzige, was unsere Zeit zu den alten Formen und Ideen beitragen kann, sind die allgegenwärtigen Handys, sind die Videowände, auf denen sich das Geschehen spiegelt, so dass sich niemand mehr für das Original interessiert, das einen Meter daneben stattfindet. Immerhin ein Zeichen unserer Zeit, das im Text von „NOISE“ thematisiert wird.
Vom theatralischen Einfallsreichtum her ist das, was Sebastian Nübling mit acht jungen Schauspielern des jungen theaters basel in die Wiener Sargfabrik in der Breitenfurter Straße stellt (schrägerweise „F23, Zusammenbau“ genannt), äußerst bescheiden. Erst stellen die jungen Leute unter starkem Gehopse (ihre bevorzugte Bewegungsart) zwei riesige, vom Boden bis zur Decke reichende weiße Leinwände auf. Über ganz weite Strecken des eindreiviertelstündigen Abends wird das Geschehen von einer wackligen Handkamera gefilmt, auf die die jungen Leute so nah aufrücken, dass sie total verzerrt erscheinen – und das Publikum, das nur „Stehplätze“ hat, steht vor den Wänden und sieht sich an, was hinter seinem Rücken live stattfindet und dem nur wenige unter ihnen ein paar Blicke zuwerfen.
Dann werden Holzpodeste aufgestellt, die jungen Leute rasen wie über einen Laufsteg darüber. Dann wieder Video. Nach eineinhalb Stunden gibt es Freibier, zwei weitere weiße Wände kommen dazu, das Publikum wird in das so entstandene Viereck getrieben und muss sich zu ohrenbetäubender Musik das Finale anhören: Texte über „Bewegung“, die sich dauernd wiederholen.
Man sieht also wenig, was hört man? Das gute alte Agitprop, wie erwähnt, durchaus richtige Überlegungen, wie wirklich eine Wirklichkeit sei, die sich nur noch auf Monitoren und Displays abspielt, müden in saftige Kapitalismuskritik. Dagegen ist nie etwas zu sagen, und wenn die jungen Frauen – alle keine Schönheiten im klassischen Sinn – über die Schönheitsideale unserer Zeit ätzen, kann man ihnen auch das unterschreiben („Versuch nicht auszusehen, wie die Models im Magazin. Nicht einmal die Models im Magazin sehen so aus.“) Zwischendurch gibt es nicht sehr relevante Aussagen zu den privaten Befindlichkeiten der jungen Leute, die ehrlich gesagt wenig interessieren können.
Der pathetische, bis zur Ärgerlichkeit wiederholte „Schlussgesang“ (so blöd ist man ja wieder auch nicht!), kreist schließlich philosophisch um den Begriff der „Bewegung“ als Revolution – es gehört zum Jungsein, daran zu glauben (wobei Regisseur Sebastian Nübling mit 55 ja eigentlich kein Jungspund mehr ist).
Acht junge Leute parlieren meist Schweizerdeutsch, was bekanntlich so halb und halb eine eigene Sprache, für Wiener jedenfalls eine Fremdsprache ist, und die „Übertitel“ sind auf der Leinwand auch nicht immer gut zu lesen. Aber man hat nicht das Gefühl, dass man Wichtiges versäumt, wenn man nicht alles versteht…
Dass sich die Schauspieler die obligate „Seele aus dem Leib“ spielen, bis zur Erschöpfung brüllend und rasend, bis sie am Ende schweißgebadet kaum mehr weiter können: Das hat jener Teil des Publikums, der den Steh-, Lärm- und Gehopse-Marathon durchhielt, mit viel Beifall belohnt.
Renate Wagner