Huppert und Wilson im Applaus-Regen (Fotos: Wagner)
WIENER FESTWOCHEN / Halle E im MuseumsQuartier:
MARY SAID WHAT SHE SAID von Darryl Pinckney / Robert Wilson
Koproduktion mit dem Théâtre de la Ville Paris
Uraufführung in Paris im Mai 2019
Premiere in Wien: 30. Mai 2019
Mit Stars kann man die Wiener schon locken. Es bedarf aber, um einen Theatersaal zu füllen, nicht irgendeines Namen: Da muss schon hundertfach bewährte Qualität dahinter stehen. Isabelle Huppert kam zu den Wiener Festwochen, und Halle E im MuseumsQuartier hätte voller nicht sein können. Und sie war live noch viel aufregender, als man sich hätte ausmalen können. Da steckte allerdings Robert Wilson dahinter…
Der mit 80 Minuten angekündigte Abend, der dann doch über eineinhalb Stunden dauerte, hatte drei Ebenen. Zugrunde liegt ein Monolog, „Mary Said What She Said“, den Darryl Pinckney aus Elementen des Lebens der Maria Stuart geschrieben hat. Es erstaunt, dass (laut Programm) seine erste Begegnung mit der Schottenkönigin die Biographie von Stefan Zweig war, denn diese ist ziemlich faktisch und erdverbunden. Pickney hingegen hebt sich in auch schwülstige Höhen, die oft gedanklich ausschweifend mit Maria Stuart wenig zu tun haben. Dennoch gibt es immer wieder konkrete Hinweise auf ihre Jugendzeit in Frankreich, auf die schwierigen Jahre in Schottland, auf die Gefangenschaft.
Und wie ein immer wiederkehrendes Leitmotiv spricht Maria Stuart von den „vier Marys“, jenen gleichaltrigen adeligen schottischen Mädchen aus den Familien Seton, Beaton, Fleming and Livingston, mit denen sie aufgezogen wurde, die mit ihr nach Frankreich gingen, nach Schottland zurückkehrten und dort als unerschütterliche Freundinnen eine wichtige und stabilisiernde Rolle im Leben der Königin spielten… Drei heirateten später, eine folgte ihr in die englische Gefangenschaft. (Ist sie das Double, das man einmal über die Bühne wanken sieht?)
Darryl Pinckneys Monolog, der immer wieder mit „Stimmen von außen“ angereichert wird, die sich offenbar im Kopf der Königin abspielen, ist voll von Kapriolen. Als drei dumpfe Schläge (man weiß, dass der betrunkene Henker dreimal zuschlagen musste, bevor das Haupt der Maria Stuart fiel) ihr Ende anzukündigen scheinen, ist der Abend noch lange nicht aus – die folgende Szene, die viele Elemente aus der Zukunft beinhaltet (aber man hört auch plötzlich, wie ein kleines Mädchen Französisch lernt), scheint in irrationalen Nicht-Welten zu spielen (als ob die Geschichte rational wäre) – und am Ende brüllt die Königin, die schon ihren berühmten Abschiedsbrief geschrieben hat, noch ihre Anklagen heraus… ein schönes Chaos, das alptraumhaften Charakter zeigt.
Zwischen einer erkennbaren Maria Stuart und dem Publikum steht nicht nur der Text, sondern auch Robert Wilson, der Regie-Star, den wir in Wien nur aus seltenen Festwochen-Gastspielen kennen (verschiedene seiner Operninszenierungen gibt es allerdings auf DVD). Er ist der berühmt-berüchtigte Meister der totalen Stilisierung, der König der Unnatur, der sich Bühne und Licht vorbehält, um dort oft eine Lebendigkeit zu erzeugen, die er den Darstellern meist verweigert. Hier steht Maria Stuart wie eine Puppe (aus Hoffmanns Erzählungen…) mit gekreuzten Armen gut eine halbe Stunde leblos im Zentrum und im Dunkeln, nur hörbar, wenn man sie hört – denn Ludovico Einaudi übergießt ihren Text mit oft überlauter minimalistischer Musik, von Bach und Glass (und anderen) geborgt, und taucht den ganzen Abend (mal stärker, mal leiser) in ein „Sound-Bad“. Dazu vollbringt Wilson auf der leeren Rückwand die abenteuerlichsten Licht-, Schatten- und Farbspiele (nachdem er das Publikum vor der Vorstellung mit der schwarzweiß-Filmfassung eines sich ununterbrochen drehenden Hundes „unterhalten“ hat, der in einem vergoldeten Rahmen vor rotem Samtvorhang hin- und herhetzte…)
Isabelle Huppert ist anfangs nur Silhouette und Stimme, die aus dem Kopfmikrophon kommt. Mit dieser Stimme macht sie von wie beiläufigem Parlando bis zu virtuosem Schnellsprech-Geschrei alles und alle Nuancen dazwischen noch dazu. Es dient allerdings nicht der Charakteristik einer realen Figur – auch, als sie beginnt, sich zu bewegen, wird sie nicht lebendig, sondern ist bis in die Fingerspitzen (einmal hat sie ihren Arm offenbar durch einen Ast ersetzt bekommen – nicht, dass man alles verstünde, was man gesehen hat) diese hinreißend schreitende Kunstfigur.
Dies alles sprachlich und körpersprachlich durchzuhalten, ist ein Virutosenstück, das seinesgleichen sucht. So wie der Abend „Theater“ nur in dem Sinn ist, wie Wilson es versteht: hoch gezüchtete Form, über deren Inhalt man sich nicht sicher sein kann. Aber man schaut faktisch mit offenem Mund fasziniert zu… Das Wiener Publikum geriet in Rage. Wie auch nicht, angesichts dieser Huppert-Leistung im Wilson-Gewand?
Renate Wagner