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Wiener Festwochen: LUCI MIE TRADITRICI

19.05.2015 | KRITIKEN, Oper

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Fotos: Wiener Festwochen

Wiener Festwochen im MuseumsQuartier:
LUCI MIE TRADITRICI von Salvatore Sciarrino
Eigenproduktion der Wiener Festwochen
Premiere: 16. Mai 2015,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 18. Mai 2015

Zu berichten ist möglicherweise von einem Kunstwerk (wenn auch die endgültigen Urteile erst viel später gefällt werden), sicher aber von einem Kunststück, wie man es nicht alle Tage sieht, von einem Abend, der den Auftakt des Wiener Festwochen-Angebots in das Licht des Magischen tauchte: „Luci mie traditrici“ des italienischen Komponisten Salvatore Sciarrino wurde in der Allround-Gestaltung durch Achim Freyer (Inszenierung, Bühne und Kostüme, Konzeption Video und Licht) gleicherweise zu einem Abend des bewundernden Staunens, was Theater vermag – und letztendlich der Meditation, in die man sich fallen ließ, wenn man Optik und Akustik des Abends erlaubte, ihre betörende Wirkung zu entfalten.

Dass Freyer dem Hauptwerk (vielleicht, weil es mit geschätzten 70 Minuten nicht wirklich abendfüllend ist?) ein von ihm geschaffenes Vorspiel voranschickt, hat wohl mit des Regisseurs Verspieltheit zu tun – „Tag aus Nacht ein“ genannt (was immer das bedeuten soll…), findet es zu einer Geräuschewelt statt, die vor allem von Grillengezirpe bestimmt wird und auf einer weißen Tischfläche spielerisch surreale Objekte und statische Figuren wie lebende Bilder präsentiert, ob man an den venezianischen Karneval denkt, ob an Dali, beschworen wurde eine Anderswelt, wie man sie von Freyer kennt. Ohne Zweifel ein logistisches Kunststück, das aber einige Besucher doch gut 20 Minuten lang und mehr ungeduldig zu machen schien – aber Freyer ist eben Freyer, wer in einen seiner Abende geht, weiß, was er zu erwarten hat, und lässt sich darauf ein…

Salvatore Sciarrinos Oper dann hätte eine Art von „Handlung“, denn es geht um jenen Fürsten Gesualdo, der eine äußerst düstere Figur der Renaissance ist, Mörder seiner Gattin und ihres Geliebten (und Opernheld schon bei Schnittke, wie wir 1995 an der Staatsoper erleben konnten). Das wäre auch – das Programmheft bietet Szenenfolge und Libretto – gewissermaßen realistisch zu inszenieren, aber das verweigert Freyer total, um dafür seine unvergleichliche Kunstwelt zu gestalten.

Das Besondere ist dabei die Bühne, wobei im Vordergrund eine seltsame Figur steht, die sich als der Dirigent herausstellt, an dessen Hinterkopf ein Gesicht affichiert ist – surreal, absurd, spielerisch verrückt wie das ganze Gezeigte. Mit zwei Plattformen, die irgendwie im Nichts zu schweben scheinen, sich immer wieder verändern, weil sie unter Projektionen ertrinken oder hervorlugen und dauernd anderen Charakter annehmen, hat er die Fürstin und den Fürsten Malaspina (wie sie hier heißen) getrennt fixiert – sie steht links oben, er rechts unten, beide wie an Schüren hängend, unbeweglich und doch durchaus bewegt in ihren Aktionen (wenn sich am Ende schwarze Gestalten mit verbeugen, weiß man, wie viel unsichtbare Hilfe sie hier erhalten haben).

Dazu kommt noch als absolut brillant groteske „Pointe“, dass die Figur des „Gastfreunds“ scheinbar kopfüber in der Luft hängt (und man muss schon einen guten Operngucker besitzen, um zu sehen, wie es „gemacht“ ist und wie sich der Kopf des Sängers da unten durch eine Öffnung steckt, um scheinbar zu dem verkehrten Körper zu gehören…).

Das Geschehen findet nun nicht als reale Aktion, sondern quasi als in Bild geronnener Symbolismus statt, was vor allem dadurch möglich wird, dass Salvatore Sciarrino ja keine „Opernmusik“ im klassischen Sinn geschrieben hat, sondern eine hoch raffinierte, komplexe, klangmalerische „Geräuschkulisse“, die den Instrumenten unkonventionellste Klänge entlockt und in deren Rahmen sich der gewissermaßen moderierte Sprechgesang der Protagonisten bewegt. Erst am Ende, wenn die Eifersucht dann letal wird, tritt etwas wie dramatische Erregung hervor – vorübergehend.

Der Rest ist Wundersames, in Töne getaucht, und man muss sich nicht wirklich (per deutsche Übertitel des italienischen Textes) auf die Handlung einlassen, meditatives Versinken ist eher gesichert, wenn man sich zweckfreies Eintauchen ins andere Sphären, wie sie nur die Kunst vermitteln kann, erlaubt.

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Anna Radziejewska als Frau, die neben dem Gesang schier unglaublich mit Kostümen und Requisiten agiert, Otto Katzameier, abenteuerlich geschminkt als Fürst, Kai Wessel als „hängender“ Gast und Liebhaber und Simon Jaunin als ein Diener haben unendlich mehr zu leisten als Opernsänger gemeiniglich. Die raffinierten Wunderklänge zauberte Emilio Pomàrico mit dem Klangforum Wien.

Mögen auch manche Zuschauer durch vielfache Blicke auf ihre Uhren eine gewisse Ungeduld gezeigt und damit bewiesen haben, dass dergleichen nicht jedermanns Sache sein kann, so erlag doch ein Großteil des Publikums dem totalen Zauber des Gebotenen.

Renate Wagner

 

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