Wiener Festwochen / Halle E im MuseumsQuartier:
LES ROBOTS NE CONNAISSENT PAS LE BLUES ODER DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(nur sehr teilweise von Mozart)
Produktion Theater Bremen
Premiere: 26. Mai 2017
Damit wir es nur wissen: „Klassische Musik ist Ihre Apotheke“. Und: „In der Oper sterben die Frauen, und die Männer machen Kunst daraus.“ Aber Sprüche dieser Art, noch viel viel mehr und viel viel banaler, werden erst am Ende des Abends im MuseumsQuartier durch den Zuschauerraum getragen. Zur Belehrung des Publikums, die offenbar das dringlichste Ziel von „Les Robots ne connaissent pas le Blues oder Die Entführung aus dem Serail“ ist. Die Wiener Festwochen haben die nicht eben taufrische Produktion des Theaters Bremen (aus dem Jahr 2015) eingeladen, um uns wieder einmal alle Multi-Kulti-Probleme unter die Nase zu reiben, die zu wissen und verarbeiten wir ja von selbst zu dumm sind.
Was es mit den Robotern auf sich hat, die keinen Blues kennen („Blues“ als Musik oder „Blues“ als trübe Stimmung? Wer weiß das schon?), ist nicht klar. Ein bisschen „Entführung“, die ja auch im Titel steht, gibt es immerhin, wenn auch nicht gerade auf dem Niveau, das wir gewöhnt sind (oder gerne gewöhnt wären). Aber wer Produktionen der diesjährigen Wiener Festwochen besucht, muss aufgeschlossen sein für alles – oder er kann (und die Karten sind ja auch nicht geschenkt) dann nach einiger Zeit schweigend das Weite suchen, was an diesem Abend sehr viele Leute getan haben.
Diese Produktion des Theaters Bremen ist für Leute, die sich in der alternativen Szene auskennen, sicherlich mit bekannten Namen geschmückt. Das Paar Gintersdorfer / Klassen, sprich: Monika Gintersdorfer und Knut Klassen, hat mit schwarzafrikanischen Künstlern von der Elfenbeinkünste eine Performance-Gruppe gegründet, mit der sie verschiedene Projekte verwirklichen. Mozarts „Entführung aus dem Serail“ erschien ein idealer Ausgangspunkt, um Kolonialismus, Rassismus und „kulturelle Missverständnisse“ aufzuzeigen. Na ja, es wäre vorstellbar, dass Blondchen, die sich so wehrt, als weiße Frau eine Sklavin zu sein, sich vielleicht über schwarze Sklaven nicht so sehr den Kopf zerbrochen hat…?
Da hat, wie man erklärt bekommt, ein Österreicher namens Mozart (als ob es damals „Österreich“ schon gegeben hätte… der gute Mann war Salzburger) eine Türkenoper geschrieben und damit unsere ganzen Erdogan-Probleme vorweggenommen (??? So wurde es gesagt). Es wird überhaupt viel und Seltsames erklärt an diesem Abend, wobei die Schwarzafrikaner Französisch sprechen, die deutschsprachigen Künstler (voran Hauke Heumann) flugs übersetzen, dies allerdings mit so schlechten Mikros tun, dass man die Hälfte des Gesprochenen nicht versteht.
Ob das ein Verlust ist, möchte man bezweifeln, denn es gibt an diesem Abend so viel Dummschwätzerei (man könnte weniger fein Klugscheißerei sagen), dass man aus dem Kopfschütteln nicht herauskommt. Vor allem die schwarzafrikanischen Darsteller (unter ihnen die ivorischen Showbizstars SKelly und Franck Edmond Yao alias Gadoukou La Star – eine Information, die man dem Pressetext im Internet entnimmt) dürfen ihre Zweifel an Mozart äußern, der wäre doch heute auf Facebook und YouTube (nur dass er dann nicht Mozart wäre…), und seine Musik ist doch ein bisschen langweilig, nicht wahr?
Zudem müssen sich die Herren so kreischend, hüpfend, wippend und dann wieder so „drollig“ gebärden, wie es einst ihr Schicksal war, damit sie im amerikanischen Showbiz der rassistischen Jahre wenigstens reüssieren konnten… ihnen das heute abzuverlangen, heißt nicht nur ein Klischee zu bedienen, sondern wirkt auch ein wenig ausbeuterisch. Aber könnte man den Abend ohne diesen „schwarzen Aufputz“, um es einmal so zu nennen, wirklich „verkaufen“? Es ist zu bezweifeln.
Die weißen Herrschaften (darf man das sagen oder gibt es auch schon einen korrekten Ausdruck für das, was die Amerikaner schlicht und seltsam als „caucasian“ bezeichnen, also einfach „Weiße“) gebärden sich, wie es im Selfie- und Talkshow-Zeitalter angemessen ist. Jeder erzählt von sich – Hauke Heumann, Performer, Schauspieler, offenbar Komiker, exzellenter Sprecher, aber sicher kein Sänger (dass er den Pedrillo trällert, grenzt an Frechheit), beglückt uns mit seinem Outing, die Amerikanerin Nicole Chevalier lässt uns wissen, was sie empfindet, während sie die „Martern-Arie“ singt (nicht leicht, da noch Luft zu holen, um dazwischen zu sprechen – „healthy screaming, that is what singing is about“, lässt sie uns wissen), der Baß Patrick Zielke berichtet ausführlich aus dem Alltag eines Opernsängers (einzig interessante Bemerkung für einen Wiener Opernfreund: Seine Lehrerin Dunja Vejzovic, die immerhin Karajans Kundry war, meinte zu ihm, sie habe in ihrem ganzen Leben zwei perfekte Vorstellungen gesungen) – und das alles ist so privat und banal und hat so gar nichts mit Mozart zu tun… da kann man doch gleich Barbara Karlich einschalten.
Zwischen dem ganzen entfesselten Tralala, wo es auch viel Musik anderer Art gibt, streckt gelegentlich schüchtern Mozart den Kopf hervor: Im Hintergrund sitzt Camerata Salzburg und spielt unter Jonathan Stockhammer wirklich schönen Mozart, wenn sie es, viel zu selten, dürfen. Und dann werden ein paar Arien und Ensembles gesungen. Immerhin, der koreanische Tenor Hyojong Kim ist ein Belmonte mit wunderschönem Timbre, bemerkenswerter Gesangskultur und lupenreiner Aussprache. Auch der Osmin von Patrick Zielke kann, was er soll (immerhin singt er in Bremen auch den Gurnemanz – nicht lustig, wenn man ihm zu Beginn des „Parsifal“ zuflüstert: „Die Souffleuse kommt heute eine Stunde später.“)
Die beiden Damen tun Mozart nichts Gutes, vor allem nicht das Blondchen – aber sie muss ja nebenbei während der Arie Aerobic-Artiges vollführen, das strengt an. Konstanze bekommt zu ihren Martern einen feschen Schwarzafrikaner, der seine Muskeln spielen lässt. Dabei wird das erotische Element der ganzen Schwarz/Weiß-Beziehung gar nicht angesprochen. Wenn am Ende das „Für den Geliebten sterben“ als schlimmer „Liebesvirus“ hinterfragt wird, steht das ja auf einem anderen Blatt. Außerdem: Liebe funktioniert, davon sind fast alle auf der Bühne überzeugt, ohnedies nur mit Geld, sie reden davon so häufig, als hätten sie Nestroy gelesen, aber den kennt da vermutlich keiner.
Apropos „Liebesvirus“. Zu Beginn scheint der Abend ein interaktives Happening anzudeuten: Ganz entschieden wird das Publikum aufgefordert, doch auf die Bühne zu den Darstellern zu kommen, in Bewegung zu bleiben… mit dem Effekt, dass diejenigen, die ihre Plätze verlassen haben, dann auf harten Bänken oder am Boden hocken müssen und sich gar nicht bewegen dürfen. (Spätere Aufforderungen, ob nicht noch jemand herunterkommen wollte, verhallten gänzlich ohne Resonanz.) Aber dann! Wenn gegen Ende der „Liebesvirus“, der in dem eher verhöhnten „Erbauungstempel Oper“ steckt, zitiert wird – dann werden alle Zuschauer (sie könnten ja „angesteckt“ sein!) ganz schnell wieder von der Bühne gescheucht und dürfen sich wieder auf ihre alten Plätze setzen. Wozu der Aufwand? Ach, was soll’s…
Ganz am Ende, wenn das letzte Bröckchen Quartett verklungen ist, übernehmen wieder die schwarzafrikanischen Herrschaften mit gewaltigem Getöse, „Afrika, Afrika“ lässt grüßen, und zwischendurch wird noch schnell ein „Ich liebe den Islam“ eingefügt. Und dann doch noch ein paar Noten Mozart… das Finale der Oper in Kürzestfassung. Mehr war für ihn an diesem Abend nicht drin.
Am Ende sind es volle zweieinhalb Stunden ohne Pause geworden. Der Abmarsch des Publikums setzte nach 40 Minuten ein und zog sich durch den ganzen Abend. Dennoch waren am Ende noch genügend Leute bereit, dem „Ereignis“ zu applaudieren, ja zuzujubeln. Bezugnehmend auf das Festwochen-Selbstlob: „Diese Produktion bringt die diversen Potenziale aus den unterschiedlichen Welten zusammen und es entsteht eine neue Form, die sowohl Opernfans beglückt, als auch eingefleischte Fans von Gintersdorfer/Klaßen mit sinnlichem Denkfutter versorgt“, kann man sicher sein, dass die Jubler nicht unter den „beglückten Opernfans“ zu suchen waren… denn die hat es wohl nicht gegeben.
Renate Wagner