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Wiener Festwochen: JOHN GABRIEL BORKMAN

28.05.2015 | KRITIKEN, Theater

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Birgit Minichmayr und Caroline Peters / Foto: Barbara Zeininger

Wiener Festwochen / Akademietheater:
JOHN GABRIEL BORKMAN nach Henrik Ibsen von Simon Stone
Koproduktion des Burgtheaters mit den Wiener
Festwochen und dem Theater Basel
Premiere: 28. Mai 2015

Eben erst hatte man via 3sat / Berliner Theatertreffen (und der segensreichen Funktion, Sendungen aufzuzeichnen, wenn man selbst im Theater ist) die Möglichkeit, „John Gabriel Borkman“ in einer Inszenierung des Hamburger Schauspielhauses zu sehen. Nun bietet das Burgtheater im Akademietheater (als Festwochen-Produktion) das gleiche Stück – und natürlich ganz und gar nicht dasselbe.

Das ist ja die höchste Lust dessen, der das Theater liebt: Immer wieder verschiedene Inszenierungen eines Werks zu sehen, die Zugänge zu betrachten, die Regisseure zu Stücken, die Schauspieler zu Rollen finden. Eigene Positionen zu überdenken, zu urteilen, wie schlüssig man selbst das Gebotene findet.

Natürlich ist das, was Karin Henkel im Hamburg zeigte und das, was Simon Stone in Wien präsentiert, grundverschieden. Mit dem „Ibsen vom Blatt“ (der, bitteschön, auch seine Qualitäten hat, wenn er richtig gespielt wird) hat beides nichts mehr zu tun. Hamburg, das war eine völlige Überzeichnung jeder einzelnen Figur, aber mit dem Effekt einer gewissermaßen höheren Wahrheit und einer psychologischen Einsichtigkeit, die hier erzielt wurde. In Wien hingegen wurde das Stück zur Posse demoliert. Ein Virtuosenstück auch hier, wenn auch nicht immer einsichtig.

Theaterautoren können sich nicht wehren, zumal, wenn das „Copyright“ abgelaufen ist. Der Abend im Akademietheater heißt richtig „nach Henrik Ibsen von Simon Stone“, denn er hat umgedichtet bzw. dazu geschrieben, dass es nur so kracht. Computer, Handy und Skype verkünden, dass wir in der Gegenwart gelandet sind (das Stück wurde 1897 uraufgeführt), es gibt auch eine Menge für unsere Zeit charakteristisches banales Alltagsgelabere. Allerdings wird diese radikale Zeitreise in keiner Weise genützt – denn die Aufführung versetzt das Stück wiederum ins Niemandsland.

Es schneit auf der Bühne von Katrin Brack – und das ausführlich und beinahe unaufhörlich. (Für diese Kälte wandeln die Damen in wahren „Fähnchen“ herum, Kostüme von Tabea Braun). Man bekommt den ganzen Abend lang nichts geboten als Schnee am Boden und die steinerne Rückwand der Akademietheater-Bühne. Auftritte passieren teilweise aus dem Boden, es gibt ein einziges Requisit, nämlich einen Fernsehapparat (eher eine altmodische Kiste), die Borkman wütend wegwirft. (Hat er ORF gesehen?) Sonst nichts.

Das einzige Problem – wofür die Schnee-Metapher steht, wird nicht klar. Erkaltete Menschen? Mitnichten. Die toben mit so viel innerem Feuer herum, dass der Schnee eigentlich schmelzen müsste… Aber das geht nicht, denn es gibt in den über zwei pausenlosen Stunden der Aufführung nichts anderes – Schnee und die Schauspieler mit ihrem Text. Ja, hie und da rutschen sie aus, wühlen sich in den Schnee hinein. Eine Inszenierung im klassischen Sinn ist das nicht eben…

Nun reichen ja für große Schauspieler – und die hat man hier – im allgemeinen ihre Figuren, auch wenn sie, wie diesmal, alles andere als glaubhaftes, psychologisches Theater spielen, von dem Ibsen einmal ausgegangen ist. Das, was uns an der Geschichte interessieren könnte, nämlich Borkman als der einsichts- und reuelose Wirtschaftsverbrecher, der sich nur ärgert, dass er mit seinen Transaktionen nicht durchgekommen ist, bleibt am Rande. Darsteller Roland Koch hat in einem „Presse“-Interview auf den Punkt gebracht, was hier geschieht: „Wir machen nicht das Stück, sondern eine Paraphrasierung, wie bei einem Bild von Arnulf Rainer wird es übermalt.“

Simon Stone zieht eine eigene, keine Sekunde lang realistische, theatralisch überzeichnete Interpretation des Geschehens durch: Eine Handvoll Menschen, die sich nicht leiden kann und einander die meiste Zeit anbrüllt. Sie stampfen und hampeln auch gern wie Rumpelstilzchen einher. Familienchaos in den höchsten Tönen. Im Grunde Wahnsinn, wenn man auch nicht weiß, wohin all diese Vorwürfe führen. Bei Ibsen arbeiten Menschen ihre Defizite auf. Hier werden sie in ihrer Raserei am Ende nur komisch…

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Roland Koch und Martin Wuttke (bei der Fotoprobe noch ohne Perücke) / Foto: Barbara Zeininger

Borkman ist in Gestalt von Martin Wuttke – mit fettigem grauem Langhaar und in schäbigen Fetzen – eigentlich nicht fassbar: Den einstens großen Geld-Boß, der sich nach seiner Gefängnisstrafe freiwillig zurückzieht und egozentrisch seine Wunden leckt, sieht man in ihm nicht. Er ist stark darin, sich zu beschweren, aber da ist dann Roland Koch als sein schlichter Gesprächspartner Wilhelm Foldal noch stärker: Vielleicht, weil er an diesem Abend der einzige, der absolut einzige ist, den man als echten Menschen erkennt…

Die Schwestern Rentheim – Gunhild, die Borkman-Gattin, und Ella, die erste Borkman-Liebe – sind auf der Bühne traditionsgemäß die Gegensätze: die Harte und die Zarte. Hier erscheinen sie als zwei Seiten einer Medaille – zwei Furien, die sich an Wutausbrüchen nichts schuldig bleiben. Mann o Mann, die legen vielleicht los. Birgit Minichmayr als tobsüchtige Ehegattin, entweder Aggression oder selbstmitleidiges Gewinsel, mit überkippender Stimme immer den Alkoholspiegel spürbar machend, der in ihr wohnt; und Caroline Peters als ihre Schwester, auch nicht fein, ebenso wütend auf ihr verpatztes Schicksal (und es Borkman entgegenschleudernd) wie entschlossen, sich an dem Borkman-Sohn schadlos zu halten.

Aber bevor sich diese infernalischen Schwestern um das Kind – immerhin ein 23jähriger – die Augen auskratzen können, sagt dieser ihnen allen adieu (Max Rothbart als Erhart bleibt allerdings im Hintergrund) und pascht mit Fanny Wilton (Nicola Kirsch, auch nicht sehr stark) ab. Für die Nebenfiguren hatte Stone überhaupt kaum etwas übrig, auch Liliane Amuat als Frida Foldal geht ziemlich unbeachtet unter.

Das Hauptdarsteller-Terzett trägt den Abend lustvoll, immer bereit, sich lächerlich zu machen, die Figuren auszustellen, weit über jede Glaubwürdigkeit hinauszugehen. Birgit Minichmayr hat eine Szene, in der sie am Telefon einen Selbstmordversuch simuliert, um ihren Sohn herbeizuholen – fast hätte es für das Virtuosenstückchen Szenenapplaus gegeben…

Spaß bis ans Ende. Nein, Borkman stirbt offenbar doch nicht in Ellas Armen. Die Schwestern halten ihn zwar für tot und kuscheln sich zusammen. Doch der Tote scherzt mit dem Publikum, hebt zwei Finger – ein Kommentar zum Text der beiden: „Also. Jetzt sind wir wieder nur wir zwei“? Oder ein Victory-Zeichen, weil er die schrecklichen Weiber los ist? Der finale Lacher ist dem Abend solcherart sicher.

Und Regisseur Simon Stone schien geradezu aufzublühen, als er beim Verbeugen ein paar „Buh“-Rufe vernahm: Man will ja schließlich kontrovers sein, wen interessiert schon unwidersprochener Applaus? Dennoch – die Zustimmung war stürmisch, die Ablehnung gering. Man ist doch dankbar, wenn aus dem Leichenbitter Ibsen fast ein Kasperltheater gemacht wird!

Renate Wagner

 

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