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Wiener Festwochen: HERZOG BLAUBARTS BURG / GEISTERVARIATIONEN

20.06.2015 | KRITIKEN, Oper

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Foto: Wiener Festwochen

Wiener Festwochen im Theater an der Wien:
HERZOG BLAUBARTS BURG von Béla Bartók
GEISTERVARIATIONEN von Robert Schumann
Premiere: 19. Juni 2015

Wo Andrea Breth draufsteht, ist die Entzauberung drin: Die Verhäßlichung von allem, was ihr unter die Finger gerät, ist ihre schaurige Spezialität. Und bei der letzten Premiere der Wiener Festwochen 2015 trieb sie es denn ganz besonders weit, erst bei Bartok, dann, bis zur Unerträglichkeit, bis zur Frechheit gegenüber dem Theaterbesucher, unter dem Vorwand Schumann.

Die Wiener Festwochen, heuer im Musiktheater spärlich besetzt, haben einen dramaturgisch mehr als fragwürdigen Abend aufgestellt. Natürlich, „Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Bartók kann und soll man immer wieder spielen, es ist ein herausforderndes, rätselhaftes, starkes, wenn auch (wie gerade die unbefriedigende Realisierung zeigte) ein sehr schwieriges Werk. Die Frage ist nur, womit man die einstündige Oper adäquat koppelt. Die Staatsoper nahm 1985 Schönbergs „Erwartung“ dazu, keine schlechte Lösung, die Volksoper hatte lange davor, 1966, nicht so gut, Strawinskys „Nachtigall“ gewählt . Hochgestochen gab man sich diesmal – „Geistervariationen“ von Robert Schumann klingt nach mehr, als es tatsächlich ist, und versprach weit mehr vielmehr Besseres, als man bekam.

Das Schöne an „Herzogs Blaubarts Burg“ ist die Offenheit der Geschichte, die so viele Interpretationen zulässt. Die konventionelle würde es dem Publikum relativ leicht machen und dem Werk zu größter Wirkung verhelfen – wenn dieser Blaubart in seiner Ritterburg zwar Massenmörder, aber eine Art faszinierender Fliegender Holländer ist mit seiner Sehnsucht nach Erlösung, und wenn Judith hier, ganz Senta, entschlossen zur Rettung antritt und dabei gespenstische Räume einer alten Burg betritt, die Seelenräume wären und dennoch so etwas wie Stimmung und Atmosphäre hätten. Nun, dass man das von Andrea Breth nicht bekommt, ist klar.

Und dass Martin Zehetgruber wieder seine Grau-in-Grau-Räume baut und Eva Dessecker alle Beteiligten so reizlos wie möglich kleidet, das gehört zum „Breth-Stil“. Die anfangs einfach nur zwei glanzlose Leute von heute in ein glanzloses Zimmer mit ein paar Holztüren stellt, ohne dass sich zwischen ihnen irgendetwas spürbar begäbe – und dann, wenn die erste Tür ja nun einmal aufgehen muss, per Drehbühne zu einer Wanderung in immer neue stimmungslose Räume des „grauen Hauses“ einlädt.

Das „Blaubart“-Libretto, so wie das Programmheft es abdruckt, hat keine szenischen Anweisungen – bei der Breth stehen meist alte Leute herum, nachdem sie gleich im ersten Raum eine Leiche am Boden geliefert hat – und Blut, das am Küchentisch klebt und von einem alten Mann immer und immer verrieben wird. Von einer echten Steigerung, von einer Abwechslung imGeschehen kann nicht die Rede sein.

Der ganze Abend, der in einem Leichenhaufen endet, erinnert an die Düsternis eines Horrorfilms ohne dessen Spannung. Dass die Leblosigkeit des Gebotenen mit den Toten und den toten Seelen (vor allem jener des Titelhelden) zu tun hat, könnte man argumentieren, widerspricht aber der Musik.

Andrea Breth hat auch zwei Hauptdarsteller gewählt, die weder optisch noch stimmlich stark wirken – zwei flache, uninteressante Gestalten, wobei der Ungar Gábor Bretz wenigstens „authentisch“ wirkt, die Französin Nora Gubisch schon weniger, beide ohne große Überzeugungskraft, beide mit flachen, resonanzlosen Stimmen, wobei im Zweifelsfall der gelegentlich auftrumpfende Bariton noch über den scharfen Mezzo siegt.

Wer nun den Fehler gemacht hat, sich zur Vorbereitung des Abends die DVD der Solti-Aufführung von 1981 zu geben, mit wunderbar intensiven Interpreten (herrliche Stimmen) und vor allem einem Dirigenten, der Bartók mit dem London Philharmonic Orchestra „alle Stückeln“ glühender, hintergründiger, lauernder, aufpeitschender Musik spielen ließ, der wird nicht umhin kommen zu hören, dass selbst einem Kent Nagano das nicht so gut gelungen ist, vielleicht, weil das durchaus geschätzte Gustav Mahler Jugendorchester da einfach nicht die Erfahrung der großen „alten“ Klangkörper mitbringt.

Aber da die Regisseurin eine grandiios-bunte Geschichte grau in grau gemacht hat, also ohnedies alles auf „fahl“ angelegt ist – warum sollte es nicht auch so aus dem Orchesterraum klingen?

Nachher also die „Geistervariationen“: Das ist ein etwa zwölfminütiges, elegisches Musikstück von Robert Schumann, dem man nicht unbedingt anhören würde – wenn man es nicht wüsste -, dass es das letzte Werk war, das er vor seiner Einlieferung ins Irrenhaus schrieb. Zwölf Minuten – aber der zweite Teil des Abends dauert über 50. Weil nämlich Andrea Breth dazu „gedichtet“ hat: Die Zehetgruber-Szene zeigt einen großen Saal mit vielen Heizradiatoren, die sehr wichtig sind, weil sie später von den Insassen dieses Altersheims (?) / Narrenhauses (?) intensiv geputzt werden. Davor stolpern die alten Herren herum und reden umgangssprachlich peinlich Triviales. Und noch und noch und noch.

Das fällt unter die bekannte Kategorie „Was sich ein Publikum alles gefallen lässt“. Die Wiener sind da besonders brav und gehorsam – bis auf ein knappes Dutzend Besucher, die sich nach und nach still verzogen, saßen alle da wie die Ölgötzen und ließen sich von einer Regisseurin in bösartiger Mutwilligkeit vorführen – als stumme, reaktionslose Masse, mit der man tun kann, was man will. Die nicht einmal durch so evident und absichtsvoll Schwachsinniges zu provozieren ist.

Dann wird – 40 Minuten sind vergangen – im Hintergrund eine Tür geöffnet und man hört das Klavierspiel. Sehr weit hinten, nur durch die kleine Öffnung tönend, auch (von Elisabeth Leonskaja) sehr verhalten gespielt, verhauchen die „Geistervariationen“, die akustisch gar nichts Gespenstisches und auch nichts Irrsinniges an sich haben, halb unhörbar, während die Bühne immer dunkler wird… Wer sich nun einbildet, er muss sich die Sensation geben, dass bei der letzten Vorstellung am 25. Juni Intendant Markus Hinterhäuser persönlich das Stück spielt, kann sich abschminken, ihn am Klavier zu sehen – auch er wird nur gedämpft aus dem Hintergrund dringen…

Am Ende kam Andrea Breth inmitten ihrer Entourage, konnte also zu keinen Missfallenskundgebungen (sollte zufällig jemand Lust darauf gehabt haben?) aussortiert werden. Der Kritiker bleibt mit seiner wütenden Lust, sie am liebsten von der Bühne gebuht zu haben, allein – eine unausgeführte Absicht. „Feig!“ sagen Kinder ganz berechtigt zu so etwas. Doch – wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide.

Renate Wagner

 

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