Foto: Wiener Festwochen
WIENER FESTWOCHEN:
EIN IDEALER GATTE nach Oscar Wilde
Gastspiel des Tschechow Künstlertheaters Moskau
Erste Vorstellung 25. Mai 2016,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 26. Mai 2016
Von einer Moskauer Sensation war die Rede, wenn es um den „Ein idealer Gatte“ genannten Abend von Regisseur Konstantin Bogomolov geht, aber auch von Skandal (aus religiösen Motiven) und heftiger Ablehnung. Nun, in Wien hat der überlange Abend nicht auf Anhieb, aber nach und nach höchst überzeugt.
Vielleicht auch, weil wir das deutsche Regietheater, das naürlich hinter dieser Arbeit steht (samt den Live-Kameras des Frank Castorf), ebenso gewöhnt sind wie den collageartigen Umgang mit Literatur aller Art. Vor allem aber, weil Konstantin Bogomolov mit brillantem Können und souveräner Ironie Weltliteratur benutzt, um dem russischen Publikum seine Gegenwart geradezu ins Gesicht zu knallen.
Der Abend hätte übrigens genau so gut „Drei Schwestern“, „Dorian Gray“, „Faust“, „Romeo und Julia“ oder „Eugen Onegin“ heißen können wie „Der ideale Gatte“, denn Stückwerk von allem ist hier zu finden, wobei vor allem Tschechow in dieser Inszenierung, die schließlich am Tschechow Künstlertheater Moskau herauskam, eine besondere Rolle spielt.
Denn bei Bogomolov sind die „Drei Schwestern“ endlich, endlich in Moskau angekommen – aber wie? Im Look von drei Ostblock-Nutten sitzen sie in irgendeinem Nobelhotel und bearbeiten wie wild ihre Handys. Wenn sie nebenbei den bekannten Tschechow-Text über die essentielle Wichtigkeit der Arbeit und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft herunterbeten, dann merkt man, soll man merken, wie die Zeit diesen Dichter tragisch überholt hat…
Der dreiaktige Abend stellt zuerst die Protagonisten vor, und die sind die längste Zeit von hier und heute: „Lord“, ein russischer Pop-Sänger (die Musik spielt an dem Abend eine überragende Rolle), darf ausführlich aggressiv ins Publikum kreischen, wofür Igor Mirkurbanow der richtige Typ ist. Was es mit seinem Freund Ternow, Minister für Gummi-Angelegenheiten! (Alexej Krawtschenko) auf sich hat, offenbart sich erst am Ende.
Anfangs ist „Russland heute“ allgegenwärtig, mit Landschaftsbildern auf den großen Leinwänden über der Bühne, immer wieder mit dem in der russischen Gegenwart vermutlich allgegenwärtigen Blinzeln nach dem Machtzentrum Kreml (später fällt der Ausspruch: „Ich möchte mindestens so lange leben, bis Fürst Putin in Wien einzieht“), die drei nuttigen Schwestern, kaum noch von Tschechow… und das Personal des „Idealen Gatten“ hat sich in die Moskauer Schickeria unterer Tage verwandelt (inklusive einem „Tommi-Schleimi“ genannten Modeexperten und Adlatus, nach allen schwulen Regeln komisch verkörpert von Pawel Waschchilin).
Der zweite Akt widmet sich dann fast ausschließlich Oscar Wildes „Bildnis des Dorian Gray“, wobei Sergei Tschonischwili sein Bildnis natürlich auf dem Fernsehschirm findet und besonders deutlich wird, was Konstantin Bogomolov anprangert – die scheinbar tiefgründigen Überlegungen über den Sinn des Lebens, wobei er allerdings zeigt, dass sie einst so berühmte tiefe russische Seele heute nur noch dem oberflächlichen Gelabere dient…
Wenn Dorian Gray sich von einem Priester, der schnell zum Teufel mutiert (aalglatt: Maxim Matweew), die ewige Jugend erkauft, springt der Text übrigens mit ganzer Selbstverständlichkeit zum Teufelspakt in Goethes „Faust“… Die Szene mit der kreuzartig in den Lüften schwebenden Nackten, die in Moskau die religiösen Fanatiker auf die Palme brachte, funktionierte in der zweiten Vorstellung in Wien übrigens nicht, die Dame blieb am Boden, der Schockeffekt stellte sich nicht ein.
Wirbelt zwischendurch auch immer „Romeo und Julia“ andeutungsweise durch das Geschehen, ufert die Handlung in Nebenfiguren aus, so wird Tatjanas Liebesbrief an Onegin diesmal von einem Mann geschrieben, und Akt 3 verschmilzt nun unseren Popsänger Lord mit Wildes Lord Goring, unseren Minister mit Wildes Robert Chiltern, und interessanterweise haben die beiden ein homosexuelles Verhältnis, über das Mrs. Cheveley (die Oscar-Wilde-Intrigantin gibt es noch in aller Eleganz verkörpert von Marina Sudina) nur zu schweigen bereit ist, wenn Lord Goring sie heiratet – eine Hochzeit, die zur perfekten Medien-Show und Medien-Schelte wird (immer wieder unterbrochen von russischen Reklame-Spots) und kein Happyend garantiert.
Denn wenn die liebenden Männer sich umgebracht haben und die drei Schwestern wieder ihre Tschechow’schen Verzweiflungsgesänge anstimmen – ja, als Finale stimmen sie plötzlich, wirken beklemmend, während man den Rest des Abends angesichts dieser gnadenlosen Selbstdarstellung eines kapitalistischen Russlands so viel lachen durfte…
Am Ende hat man im MuseumsQuartier gestrichene vier Stunden verbracht, in deren Verlauf der Abend immer einsichtiger, witziger, mutiger und brillanter wurde (auch wenn man als Nicht-Russe wohl nur einen Bruchteil der konkreten Anspielungen verstehen konnte). Ungeachtet der späten Stunde spendete das Publikum hoch verdienten Jubel.
Renate Wagner