Fotos: c_Tommy Hetzel
WIENER FESTWOCHEN / Burgtheater:
BURGTHEATER
nach Elfriede Jelinek in einer Bearbeitung von Milo Rau und Ensemble
Premiere: 18. Mai 2025
Milo frißt Elfriede
Nun weiß man auch, warum Milo Rau vor der Premiere von „Burgtheater“ im Burgtheater eine öffentliche Lesung des Stücks angesetzt hat. Denn er wusste genau, dass man es nach der szenischen Aufführung in seiner Regie nicht wieder finden würde. Was nicht unbedingt ein Verlust ist, denn niemand hätte sich um dieses Werk gekümmert, wäre es einst nicht mit dem skandalträchtigen Label „Wessely“ versehen worden.
Rau erkannte neben der Einförmigkeit auch die dramaturgische Schwäche, dass die Attacken auf die Wessely / Hörbiger-Familie viel zu unspezifisch waren, und hier schärft seine Aufführung nach. Mit jener Mini-Sequenz aus dem Propaganda-Film „Heimkehr“, der Paula Wessely für alle Zeit den Hals gebrochen hat, als sie zu einem jüdischen Händler sagte (übrigens ganz beiläufig und gar nicht unfreundlich, was die Sache noch schlimmer macht): „Wir kaufen nicht bei Juden.“ Rau ging noch weiter. Er lässt Wessely-Darstellerin Birgit Minichmayr den ganzen, langen, sentimentalen Monolog nachsprechen, mit dem Goebbels das deutsche Volk bewegen wollte, sich im Osten niederzulassen. Wenn man es damals jemandem glaubte, dann war es diese Schauspielerin,.. Und Rau schweift auch noch (all das hat mit dem Jelinek-Stück nicht das geringste zu tun) in der Nachkriegszeit zu dem Film „Der Engel mit der Posaune“, wo die Wessely ausgerechnet eine Jüdin spielte – was ihren Ruf bezüglich ihrer Nazi-Vergangenheit auch nicht gerettet hat. „Der Engel mit der Posaune“ gilt übrigens sozusagen als Juwel des österreichischen Nachkriegsfilms. „Heimkehr“ von 1941 ist dagegen verboten, und es bedarf besonderer Geschicklichkeit, wenn man sich selbst überzeugen will, was da gezeigt wurde.
Milo Rau hat Elfriede Jelineks Stück dermaßen „angereichert“, dass vom Original nicht viel übrig geblieben ist. Ein großer Teil des Abends besteht aus persönlichen Reflexionen der beteiligten Schauspieler über das, was sie hier tun und was sie darüber denken.
Caroline Peters, die „Istavan“ (Attila Hörbiger) spielt – über das Genderfluid-Konzept des Burgtheaters von Stefan Bachmann kann man kein Wort mehr verlieren, nützt eh nichts -, erinnert sich daran, einst als Elfjährige in Bonn die Uraufführung von „Burgtheater“ gesehen zu haben. Damals will sie den Nationalsozialismus verstanden haben. Im übrigen ätzt sie selbstironisch, dass die Deutschen ohnedies immer die „Bösen“ seien und verwandelt sich auch gern in einen Nazi.
Mavie Hörbiger reflektiert über ihre zwiespältige Beziehung zu ihrem Großvater Paul Hörbiger (hier „Onkel Schorsch“), den sie verkörpert. In hunderten Lustspielfilmen hat er geholfen, das deutsche Volk während des Krieges zu betäuben, bis er quasi in letzter Minute zum Widerstand umgeschwenkt ist. Fragwürdig und aus heutiger Sicht schwer zu beurteilen.
Itay Tiran hat viel darüber zu sagen, was es bedeutet, heute ein Jude und ein Israeli zu sein, und Annamária Láng moniert, dass man es als Ungarin in Österreich auch nicht leicht hat. Tilman Tuppy, den es bei der Jelinek nicht gibt, erklärt, wie viel er an diesem Theaterabend gelernt hat…
Eine wichtige Funktion kommt Safira Robens zu, die nicht nur über ihre gemischte Herkunft (Ruhrpott und Angola) erzählt, sondern mit Tuppy auch ein Paar von Bloggern spielt, die über das Theater im allgemeinen und das Burgtheater im Besonderen arbeiten (da kommt dann viel von der Videowand). In gleichfalls erfundenen Szenen wird die aktuelle Politik eingebracht, wobei Tuppy als Rechtsextremer dann Robens sogar foltert (noch schlimmer wird es, wenn Istvan mordet und dem Opfer die Eingeweide herausreißt – da ist man froh, dass die Videosequenzen das einigermaßen verfremden). Je weiter der Abend fortschreitet, umso deutlicher, expliziter wird die moralische Botschaft, wie sie Safira Robens schon bei ihrer Rede vor dem Rathaus zur Festwochen-Eröffnung formuliert hat: Stoppt die Rechten, rettet die Demokratie…
Nur eine Schauspielerin des Abends enthält sich des persönlichen Kommentars: Birgit Minichmayr in der zentralen Figur der „Käthe“ (statt Paula…) muss nicht erklären, wie man sich fühlt, wenn man im Stil der Pradler Ritterspiele agiert, textlich unverständlich bleibt und angeblich als Wessely über die Bühne hampelt…
Weil Milo Rau dem originalen Jelinek-Text nach Möglichkeit ausweicht, hat er sich noch und noch einfallen lassen, etwa zum Thema Burgtheater eine vergnügliche Szene, wo Mavie Hörbiger sich mit dem Monolog des Ottokar von Horneck (aus Grillparzers „König Ottokar“) quält und Itay Tiran als vollmundig schwätzender, den alten Text dekonstruierender Regisseur eine hinreißend komische Leistung hinlegen kann.
Von den originalen Szenen ist, wie gesagt, nicht viel übrig geblieben. Sie spielen am Familientisch oder im Wohnzimmer (zu Bildern der Wessely, von Attila und Paul Hörbiger als alte Herren hat man noch Werner Krauss hinzugefügt, von dem Milo Rau zitieren lässt, seine Judendarstellungen hätten die Deutschen zu Antisemiten gemacht). Da gibt es Käthe und Istvan, gelegentlich Schorsch, zwei alberne Töchter (Maja Karolina Franke, Alla Kiperman), die bei Milo Rau meist turnen müssen, wenn sie nicht blöd herumgreinen, eine schlecht behandelte Dienstbotin und später, wenn die Handlung von 1941 in die Nachkriegszeit rutscht, einen albernen Zwerg mit einer von der Jelinek wohl satirisch gemeinten Funktion. Er bietet nämlich Nazis an, sie zu seinem Retter zu erklären, damit sie es bei der Entnazifizierung leichter hätten… eine Episode, die noch dümmer daher kommt wie der Rest des Ganzen.,
Aber, wie gesagt, vom Stück sieht man glücklicherweise nicht zu viel, und man dringt auch vielfach akustisch einfach nicht durch den von der Jelinek erfunden, absichtsvoll primitiven und gemeinen Kunstdialekt durch. Dafür wird viel gesungen, vor allem das offenbar mit Paul Hörbiger in Verbindung gebrachte Lied „Stell Dir vor, es geht das Licht aus…“
Das Publikum wusste, dass es den Abend hindurch in eisernem Schweigen verharren musste, Lacher oder Szenenapplaus waren nicht angesagt, der Schlußapplaus war allerdings auch nicht überwältigend. Von Skandal war nicht die Rede – warum auch?
So gab es nur noch eine „Schlußpointe“ der seltsamen Art. Die Videowand wurde herunter gelassen, es erschien das Bild von Elisabeth Orth, die am Tag davor verstorben war. Milo Rau bat um eine Schweigeminute für die Schauspielerin, von der er erwähnte, dass sie Kammerschauspielerin war und Doyenne des Hauses… aber nicht das Wesentliche: Nämlich eine Tochter von Paula Wessely und Attila Hörbiger und dass sie eben auf der Bühne (als Mizzi oder Mausi, wie die beiden Töchter genannt wurden) gemeinsam mit ihrer Familie vernichtet worden war. Eine solche Heuchelei hätte sich wahrlich die Jelinek ausdenken können… die natürlich wie üblich nicht da war bzw. sich nicht zeigte. Warum auch? Milo Rau hat nicht viel von ihr übrig gelassen.
Renate Wagner