Foto: Wiener Festwochen
WIEN / Wiener Festwochen:
ANTIGONE IM AMAZONAS von Milo Rau
Gastspiel des NTGent im Burgtheater
Koproduktion mit den Wiener Festwochen
Premiere in Wien: 25. Mai 2023
Der Schweizer Theatermacher Milo Rau (46) hat sich längst international einen Namen gemacht. Seine Intention, klassische Themen in modernes Ambiente zu versetzen, haben wir vor vier Jahren schon mit „Orest in Mossul“ bei den Festwochen gesehen. Dass Milo Rau ebendiese Wiener Festwochen ab nächstem Jahr als Intendant übernimmt, hat das Interesse an seiner „Antigone im Amazonas“, im Burgtheater eingemietet, noch vergrößert,
Nun ist die angebotene Gesinnung dieses hundert-minütigen Agit-Prop-Abends so richtig und ehrenwert, dass dazu bzw. dagegen nichts zu sagen ist. Man weiß, welche Vorwürfe drohen, wenn man hier tatsächlich Einwände vorbringen wollte. Nicht gegen den Inhalt, wohl aber den theatralischen Wert des Abends. Natürlich darf das Theater „Politik“ machen. Aber was kommt dabei heraus, wenn man in die Probleme der brasilianischen „Landlosen“ mit Gewalt die „Antigone“-Fragestellung hinein pressen will? Nur weil es um Widerstand geht?
Das Thema, das Milo Rau aufgreift, schreit und stinkt zum Himmel (und man hat auch schon an anderer Stelle davon gehört). Jene Teile von Brasilien, welche die Eingeborenen für ihr ererbtes, Gott gegebenes Eigentum halten, gehören einer reichen Oberschicht und internationalen Konzernen, die das Land nach allen Regeln der kapitalistischen Kunst ausbeuten und den Regenwald zu zerstören drohen. Das ist so unmenschlich wie ökologisch verwerflich. Dass Milo Rau mit seinem Projekt auf der Seite der „Bewegung der Landlosen (MST)“ zu finden ist, versteht sich also geradezu.
Die Szenen für seinen Theaterabend, die er in Brasilien mit den Menschen rund um die Aktivistin Kay Sara gedreht hat, machen dessen Hauptgewicht aus. Die riesige Videowand im Hintergrund bringt Brasilien (alles andere als folkloristisch pittoresk) und seine Menschen ganz nahe. Dass sie oft im Chor singen, mag ein Beitrag zur antiken Antigone sein…
Der original brasilianische Anteil des Abends kommt auf Video und stellt zu Beginn in aller Brutalität das erschreckende Massaker nach, das 1996 stattgefunden hat – offenbar hat die Polizei nach einer Demonstration, die sie mit Gewalt beendete, 21 Personen dabei einfach gezielt und ohne tieferen Grund erschossen. Die anderen Szenen erzählen vom Alltag, vor allem aber vom Bewusstsein der Menschen, die ihren Mythen und Traditionen verbunden sind und sich entschlossen haben, um ihr Recht und für die Natur zu kämpfen.
Daneben braucht die Live-Handlung auf der Bühne nicht mehr viel zu leisten, außer dass sie immer wieder versucht, mit den Videos zu kommunizieren. Es gibt vier Live-Darsteller – Sara De Bosschere und die Herren Frederico Araujo, Pablo Casella, der auch für die Musik sorgt, und Arne De Tremerie. Letzterer ist, wie die Dame, weiß, die anderen PoC, die auch vermerken, dass in Brasilien jeder Homosexuelle schwarzer Hautfarbe straflos erschlagen werden kann… Sie haben viel Monologisches zu leisten und geben teilweise Brocken der Antigone-Handlung, wobei Sara De Bosschere als Kreon wissen lässt, dass die Argumente Antigones für ihren Ungehorsam sie nicht im geringsten interessieren. Natürlich passt Antigone als Beispiel für den bis zum letzten (den Tod) entschlossenen Widerstand gegen menschlich verordnetes Unrecht – aber sinnvolle theatralische Zusammenhänge ergeben sich nicht.
Zumal der Text von Milo Rau, den die Darsteller auf der Bühne auf Portugiesisch und Niederländisch rezitieren (so dass man dauernd mitlesen muss), weit weniger sinnvoll zielführend als von schwelgerischem Pathos ist, das mit seinem tremolierenden Predigtton nach und nach ermüdet.
Damit kein Missverständnis entsteht: Es ist ehrenvoll, sich für die Sache der Unterdrückten und Bestohlenen einzusetzen, Aber nicht jeder wird diese pastose Trauerzeremonie, die da geboten wird, wirklich als Theater nehmen – wenn auch der Anstand den heftigen Beifall verlangte, der dem Abend zuteil wurde. Soll man das als Startsignal für nächstes Jahr nehmen, dann wird vor allem politische Gesinnung auf dem Programm stehen.
Renate Wagner