WIEN / Wien Museum MUSA:
AUGENBLICK!
STRAßENFOTOGRAFIE IN WIEN
Vom 19. Mai 2022 bis zum 23. Oktober 2022
Die Stadt und ihre Menschen
„Augenblick!“ denkt der Fotograf und drückt ab. Kein gestelltes Bild, vielmehr eine Sekunde Alltag, schnell festgehalten. Und doch sagt man zu diesem Augenblick im Goethe’schen Sinn: „Verweile doch!“ Nicht, weil er so schön, sondern weil er so wahr ist. Eine Ausstellung, die das Wien Museum (das Haupthaus am Karlsplatz noch immer im Umbau begriffen) in seiner Nebenstelle im MUSA (neben dem Wiener Rathaus) ausrichtet, setzt sich auf die Spuren der Wiener Straßenfotografie. Ein reichhaltiges Schau- und Erkenntnis-Erlebnis.
Von Renate Wagner
Quer durch die Zeiten Seit es Fotografie gibt, wird sie auf alle möglichen Arten betrieben, vom gestellten Foto im Atelier bis zum „Knipsen“ des Alltags. Wenn das Wien Museum nun auf seine Fotosammlung zurück greift, handelt es sich dabei um mehr als eine Million Objekte von den Anfängen, den 1860er Jahren, bis heute. Die Kuratoren Anton Holzer und Frauke Kreutler haben querschnittartig durch Zeiten und Themen hindurch ausgewählt, wobei der Schwerpunkt in der Vergangenheit, bei großartigen Schwarzweiß-Fotos, liegt. Es gibt keine Gliederung nach Fotografen, aber wer nicht nur die Fotos selbst ansieht, sondern auch ihre Schöpfer kennen möchte, findet prominente Namen.
Prominente hinter der Kamera Ein Mann wie Moritz Nähr (1859-1945) beispielsweise war einer jener Fotografen, vor dessen Kamera sich die Promis seiner Zeit drängten – er schuf u.a. die ikonischen Bilder von Gustav Klimt in seinem Malerkittel. Und doch ging auch er in die Stadt, sah sich am alten Naschmarkt um, blickte in schäbige Ecken, schaute während des Ersten Weltkriegs in hungrige und trostlose Gesichter. Seine Zeitgenossen wie August Stauda (1861-1928) oder Emil Mayer (1871-1938) leisteten Ähnliches, desgleichen die nächste Generation – . jene Wiener Fotografen, die zurecht so berühmt geworden sind wie bildende Künstler: Franz Hubmann (1914-2007), Harry Weber (1921-2007), Ernst Haas (1921-1986) oder Erich Lessing (1923-2018). Unter den vielen, professionell fotografierenden Frauen ist die gebürtige Wienerin Edith Suschitzky (1908-1973), später in England verheiratet und bekannt als Edith Tudor-Hart und KGB-Agentin, nur ein Name. Dass die Bilder, die alle diese Fotografen, aus dem Wiener Alltag heraus „schossen“, höchst „politisch“ waren, ergibt sich mühelos aus der Betrachtung. Und selbst, wenn man für „Theaterfotografie“ berühmt war wie Barbara Pflaum (1912-2002), ging man ebenso mit der Kamera durch die Stadt auf der Suche nach dem Alltag, wenn da auch ein poetisches Flair darüber liegen mag…
Die Stadt und ihre Menschen Das repräsentative Wien von Schönbrunn bis zur Staatsoper, das sich gewiß auch in der Sammlung des Wien Museums befindet, hat hier nicht interessiert. Die Auswahl erstreckt sich in vielen Nuancen auf die so genannten „einfachen Menschen“ – Marktfrauen und Kartenspieler, also bei der Arbeit und in der Freizeit, Spaziergänger und Gedrängel in der Straßenbahn, der Blick aus dem Fenster, Friseurinnen, der müde alte Dienstmann, als es ihn noch gab… Alltag. Die Möglichkeiten sind grenzenlos, das soziale Elend schaut oft um die Ecke.
Die Stadt im Wandel der Zeit Man könnte, wenn man nicht auf die Beschriftungen sieht, oft versuchen, ein Bild in seiner Zeit festzumachen, die historischen Hinweise sind zahllos, von den Fiakern als Transportmittel bis zu den Autos, wo natürlich eine ganze Geschichte erzählt wird, wenn sich die Schnauze eines mondänen „Amerikaners“ in ein offensichtliches Armenviertel schiebt. Äußere Zeichen des Wandels sind überall zu entdecken, in der Mode der Damen, der (auch politischen) Werbung auf den Plakatsäulen, die zuckenden Tanzbewegungen. Das ist Wien-Geschichte im Wien-Museum, und im ganz vorzüglichen Katalog kann man dann noch nachsehen, was man in der Fülle der Ausstellung vielleicht versäumt hat. Und noch einmal den künstlerischen Instinkt derjenigen bewundern, die im rechten Augenblick „klick“ gemacht haben und oft im schlichten Alltag eine ganze Geschichte, ja, eine ganze Welt einfingen.
WIEN / Wien Museum MUSA
1010 Wien, Felderstraße 6–8
AUGENBLICK! . STRAßENFOTOGRAFIE IN WIEN
Bis zum 23. Oktober 202, täglich außer Montag 10 bis 18 Uhr