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WIEN / Wien Museum. FELIX SALTEN – IM SCHATTEN VON BAMBI

17.10.2020 | Ausstellungen, KRITIKEN

WIEN / Wien Museum im MUSA.
IM SCHATTEN VON BAMBI
Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne
Vom 15. Oktober 2020 bis zum 25. April 2021

Zwischen Rehlein und Dirne

Mancher Dichter des Fin de Siècle hatte einen „Wurf“, der ihn weltweit und nachhaltig bis heute bekannt machte. Bei Hugo von Hofmannsthal war es der „Rosenkavalier“. Bei Theodor Herzl der Judenstaat. Bei Arthur Schnitzler der „Reigen“. Und bei Felix Salten „Bambi“. Nur dass das herzige Rehlein, über dessen Schicksal Generationen geschluchzt und gejauchzt haben, so sehr mit Disney und dem gleichnamigen Zeichentrickfilm in Verbindung gebracht wurde, dass man seinen Schöpfer fast vergessen hat. Und das passierte Felix Salten noch ein zweites Mal: Die von ihm geschaffene, offenherzige und vollmundige Dirne „Josefine Mutzenbacher“ wurde gleichfalls ein Star, den man bis heute kennt – aber dass sie aus seiner Feder kam, wollte Salten zu Lebzeiten nicht zugeben (und konnte seine Familie posthum, der Tantiemen wegen, nicht zweifelsfrei beweisen). So stehen Bambi und Mutzenbacher heutzutage berühmt, aber vaterlos – ohne ihren Schöpfer Felix Salten – in der Welt.

Von Renate Wagner

Felix Salten     Er wurde als Siegmund bzw. ungarisch Zsiga Salzmann am 6. September 1869 in Pest (damals noch nicht mit Ofen zu Budapest vereinigt) geboren – wie auch Kollege Theodor Herzl. Auch Saltens Familie zog (wie jene von Herzl aus Ungarn, wie jene von Freud aus Mähren, wie jene von Karl Kraus aus Böhmen) nach Wien. Viele Juden taten dies vor allem, um ihren Söhnen bessere Startbedingungen zu verschaffen, und es hat immer wieder funktioniert. Salten, wie er seinen Namen später änderte, begab sich kopfüber in die „literarische“ Welt, die im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts blühte, vor allem als Journalist (als solcher holte man ihn später auch nach Berlin), aber auch als Autor, der sich auf vielen Ebenen bewegte, Prosa, Theaterstücke (von denen, im Gegensatz zu den Werken seines Kollegen Arthur Schnitzler, keines den Weg in die Nachwelt fand), sehr viele Gelegenheitsarbeiten für Operette und Film. 1923 veröffentlichte er „Bambi“, die Tiergeschichte, die ihn weltberühmt machte. Er verließ Österreich rechtzeitig 1939, verlebte aber letzte schwere Jahre im Schweizer Exil. Er starb am 8. Oktober 1945 in Zürich, und die Wiener Großausstellung ist ihm zu seinem 75. Todestag gewidmet.

Für die Flucht gepackt     Für einen Mann, der sich auch selbst „gesammelt“ hat (etwa all seine Zeitungsartikel sorglich eingeklebt, die Bände sieht man in der Ausstellung), muss es entsetzlich gewesen sein, nur einen Bruchteil seiner Besitztümer mitnehmen zu können, als er ins Exil in die Schweiz ging. Es blieb viel Persönliches bei ihm, Lieblingsgegenstände, Bilder, Notizbücher, die Briefe von prominenten Freunden und Bekannten wie Schnitzler, Hofmannsthal, Freud. Von seiner Bibliothek konnte er nur 3000 Bände mitnehmen, der Rest zerstreute sich in Wien. Im übrigen veranstaltete er ein großes „Autodafé“ mit Dingen, die er nicht in den falschen Händen wissen wollte. Es ist anzunehmen, dass er auch das Manuskript der „Josefine Mutzenbacher“ verbrannte, die 1905 quasi als Privatdruck erschienen war (wie einst auch Schnitzlers „Reigen“) und zu der sich Salten nie bekannte. Seine Urheberschaft an dem ebenso originellen wie soziologisch für das „Untergrund-Wien“ bemerkenswerten Werk ist kaum bezweifelt worden. Saltens Tochter hat später in langen Prozessen versucht, ihren Vaters als Schöpfer des Buches rechtlich anerkennen zu lassen (es hing sehr viel Geld daran), da aber nie ein Originalmanuskript gefunden wurde, ist sie gescheitert.

Der Nachlaß   Der Nachlass von Felix Salten blieb in der Familie, bei der Tochter Anna Wyler-Salten (sein Sohn mit Gattin Ottilie Metzl war schon 1937 gestorben), dann bei deren Tochter Lea Wyler. Diese hatte für den Nachlass des Großvaters Angebote prominenter Institutionen (wie das Deutsche Literaturarchiv in Marbach oder die Österreichische Nationalbibliothek). Marcel Atze, Leiter der Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus, gibt sich geheimnisvoll, wenn man ihn fragt, wie es gelungen ist, diesen Nachlaß ins Rathaus zu bekommen. Tatsache ist, dass die Objekte 2015 abgeholt wurden, erst die Papiere, dann die Bücher aus Saltens Bibliothek (die gegen Voranmeldung geschlossen zu besichtigen sind). Seither hat man in Hinblick auf die Ausstellung zum 75. Todestag enorme Arbeit geleistet, wobei das Ergebnis auch in einem Buch zusammen gefasst ist, das normale „Kataloge“ durch die Fülle des Materials geradezu sprengt. Auf knapp 500 Seiten im Großformat ist da im Residenz Verlag etwas gelungen, von dem wohl jeder Dichter nur träumen kann.

Die Ausstellung     Zwei Institutionen der Stadt Wien haben sich zusammen gefunden, um Felix Salten zu präsentieren. In diesem Fall ist es geradezu ein Vorteil, dass das Wien Museum während seines „Exils“ (das Haus am Karlsplatz wird renoviert) ins MUSA in der Felberstraße 6-8 eingezogen ist, denn von hier hinüber in den zweiten Ausstellungsraum in der Wienbibliothek im Rathaus
(Stiege 6, 1. Stock) geht man nur über die Straße, steigt in den Lift und ist da. Die Wienbibliothek bietet in ihrem „schlauchartigen“ Ausstellungsraum Saltens literarisches Werk, während das Wien Museum im MUSA ausführlich Leben und Zeit des Dichters behandelt.

Salten und seine Zeit     Man kennt den künstlerischen Reichtum der Epoche, in der Felix Salten sich bewegte – Gründerzeit, Fin de Siecle, Erster Weltkrieg, Nachkriegszeit, abruptes Ende für Juden und politisch Andersdenkende durch den Nationalsozialismus. Gerade, um die „Kaiserzeit“ auferstehen zu lassen, hat das Wien Museum tief in seine Bestände gegriffen, zumal Salten sich auch als Kunstkritiker gerierte. Gemälde und Skulpturen der Epoche bieten ebenso Blickfänge wie Kinoplakate oder Theaterzettel, ganz zu schweigen von den großen Porträts der Zeitgenossen. Das ist atmosphärisch dicht gestaltet, der Rahmen, in dem sich Saltens Leben bewegt. Es wird in den Virtrinen mit seinen Besitztümern dokumentiert, das kann auch ein Spazierstock sein oder ein sehr elegantes Reisenecessaire.

Ein Netzwerker, wenn es je einen gab     Das Wien Museum hat den Untertitel „Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne“ nicht von ungefähr gewählt. Einerseits war er ein Teil von ihr, der im Cafè Griensteidl die Dichterfreunde traf und von Arthur Schnitzler dessen Geliebte, die Schauspielerin Adele Sandrock (damals jung und schön) übernahm. Andererseits befand er sich in der immer unguten Zwitter-Position (viele schreibende Journalisten teilten diese Erfahrung), andererseits auch über die Leute zu schreiben, unter denen er sich bewegte und die er gut kannte. Da waren die Literaten seiner Zeit (manche Freundschaft, etwa jene mit Schnitzler, war „durchwachsen“), er bewegte sich auch unter Adeligen und Politikern.

 

Er engagierte sich voll als bewusster Jude für den Zionismus und kam als ambitionierter Reisender auch nach Palästina, was er sofort in einem Reisebericht zwischen Buchdeckeln verwertete. Salten pflegte Beziehungen und erntete (nicht zuletzt einen Glückwunschbrief zum 60. Geburtstag von Sigmund Freud). Er sammelte auch Funktionen, ob im PEN Club oder bei Theatern. Er hat sich seinen Erfolg auf mehreren Ebenen erarbeitet.

Das Werk     Das literarische Werk Saltens ist dann „drüben“, im Rathaus, zu betrachten, zuerst die Zeitungen und Journale, für die er schrieb. Bekannt und berüchtigt ist, wie er 1906, damals für Ullstein-Zeitungen in Berlin tätig, Sensationsmeldungen über das Erdbeben in San Francisco aus dem Ärmel schüttelte, weil es einfach nicht genügend Originalmeldungen gab und ein sensationslüsternes Publikum darüber lesen wollte… Der Ullstein Verlag brachte dann „Bambi“ heraus, ohne weitere Resonanz. Salten hatte sich damals schon mit dem neuen Zsolnay-Verlag „vernetzwerkt“, und dieser machte aus „Bambi“ dann den Welterfolg, der sich in Buchumschlägen in aller Welt, in allen Sprachen nachverfolgen lässt. Disneys „Bambi“-Film 1942 hat Salten noch erlebt, die Verfilmung der „Mutzenbacherin“ nicht mehr. Aber, wie gesagt, Marcel Atze besteht darauf, dass sich seine Autorenschaft nicht belegen lässt… In der Emigration versuchte Salten es noch einmal mit einem Tierbuch, aber „Florian, das Pferd des Kaisers“ hatte nicht annähernd diesen Erfolg. Ein Detail am Rande: Salten, der sich als Tierfreund und Tierschützer feiern ließ, fand nichts dabei, sich in Jägerzunft mit der Flinte in der Hand – vor seiner Bücherwand fotografieren zu lassen.

Ein Mann weniger der Widersprüche als der überbordenden Vielfalt – einer, der überall dabei war, sich keine Grenzen setzte,  als Zeitgenosse berühmt, für die Nachwelt nun in dieser Ausstellung und in dem dazu gehörigen Buch neu zu entdecken.

Wien Museum im MUSA
1010 Wien, Felderstraße 6-8
und
Wienbibliothek im Rathaus
1082 Wien, Eingang Felderstraße, Stiege 6, 1. Stock
IM SCHATTEN VON BAMBI
Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne
Bis 25. April 2021, täglich außer Mittwoch 10 bis 18 Uhr

 

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