© Robert Polster / Volkstheater
WIEN / Volkstheater / Volx/Margareten:
PHILOKTET von Heiner Müller
Premiere: 7. Mai 2017,
besucht wurde die Voraufführung vom 6. Mai 2017
Man braucht keine Begründung, Heiner Müllers „Philoktet“ zu spielen – das Stück von 1968 (also fast ein halbes Jahrhundert alt) erweist sich in jeder Zeit als haltbare politische Parabel über Machtstrukturen, Machtkämpfe, Machtstrategien. Abgesehen davon ist es eine ungemein spannende Dreiecksgeschichte, in der Positionen so aufeinanderprallen, dass sie Aufmerksamkeit und Anteilnahme des Theaterbesuchers geradezu erzwingen. Also, „Philoktet“ kann man immer spielen.
Die Figuren stammen aus dem Trojanischen Krieg, des „Ur-Stück“ war von Sophokles, bearbeitet wurde die Geschichte immer wieder. Sie handelt erstens von Odysseus, dem wohl skrupellosesten aller Politiker: Philoktet war schwer verletzt, im Krieg nicht mehr brauchbar, man setzte ihn eben auf Lemnos aus, wen kümmerte es. Sie handelt zweitens von Neoptolemos, Sohn des verstorbenen Achill, der von Odysseus um sein Erbe gebracht wurde und allen Grund hat, ihn zu hassen: Und doch soll er für diesen Philoktet in die Falle locken und in den Krieg zurückbringen – denn nun braucht man im Kampf seine Männer, die nur ihm gehorchen…
Und da ist Philoktet, der nach zehn Jahren noch immer unter seinem schwer verletzten Bein leidet, mit Mühe überlebt hat – aber nicht machtlos ist. Er hat seinen Bogen, sprich, eine Waffe, die es unmöglich macht, ihn im Kampf zu überwinden. Also muss die List her, der durch und durch anständige Neoptolemos muss sich wider seinen Willen und sein Gewissen dafür instrumentalisieren lassen– und das Psychodrama beginnt.
Im Volx/Margareten, dem Studio-Keller des Hauses, dauert die Geschichte in der absolut geraden, auf die Durchleuchtung des Textes ausgerichteten Aufführung von Calle Fuhr (in Minimal-Ausstattung: Amelie Sabbagh) neunzig Minuten, aber die haben es in sich. Weil Sebastian Klein als Odysseus in geradezu tänzerischer, selbstüberheblicher Manier den Inbegriff des glatten, gewissenlosen Politikers gibt, der jede Situation für sich und seine Sache ausnützen wird. Weil Luka Vlatković als Neoptolemos die Seelenkämpfe des Mannes, der unter Druck seinen Anstand und seine Moral hinter sich lassen muss, schlankweg überzeugend spielt.
Und Philoktet? Ja, der ist Stefanie Reinsperger, und so locker wir gelernt haben, mit Genderfragen umzugehen, gibt es doch keinen stichhaltigen Grund, diese Männerrolle mit einer Frau zu besetzen. Es sei denn, aus theaterinternen Überlegungen – um der Schauspielerin, die nun zwei Jahre lang der „Star“ des wackligen Badora-Volkstheaters war (das sie nun verlässt), nach der Horvath-Karoline noch eine große Rolle zu geben. Als Abschiedsgeschenk sozusagen. Wenngleich das Virtuosenstück für das Stück nicht wirklich Sinn macht – aber gewissermaßen als Leistung für sich steht.
Hier kann eine Schauspielerin ihre ganze auch körperliche Kraft und Präsenz ausspielen, hinkend und humpelnd sich über die Bühne schleppend, ihren Körper virtuos einsetzend, Text sprudelnd (manchmal im Eifer bis zur Unverständlichkeit), die Emotionsskala von Misstrauen und Abwehr, Vertrauen und Enttäuschung, Haß und Rache auf und ab skalierend. Sie kann’s, man tut es für sie, und das Stück funktioniert trotzdem. Das sind die Rätsel und Wunder des Theaters.
Renate Wagner