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WIEN / Volkstheater: WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT

15.11.2019 | KRITIKEN, Theater


Alle Fotos: lupispuma.com / Volkstheater

WIEN / Volkstheater:
WER HAT MEINEN VATER UMGEBRACHT
nach dem Buch von Édouard Louis
Mit Motiven aus Das Ende von Eddy von Édouard Louis
Bühnenbearbeitung von Christina Rast und Heike Müller-Merten
Deutschsprachige Erstaufführung
Premiere: 15. November 2019

Es verwundert nicht, dass Édouard Louis (so der Künstlername des 1992 geborenen Eddy Bellegueule) im Frankreich des Emmanuel Macron (und bei dessen Wählern) nicht der beliebteste Mann ist. Als wütender Politschreiber hat er sich schnell einen Namen gemacht, aber er ist auch ein wahrer Jongleur (oder Seiltänzer) der wirbelnden Ideologien, immer in der Pose schreiender Empörung. In seinem Roman „Wer hat meinen Vater umgebracht“ aus dem Jahr 2018 hat er es geschafft, aus einem rassistischen, homophoben Le Pen-Wähler das Opfer eines „kapitalistischen“ Frankreich zu machen, das an allem schuld ist. Papa selbst wird dabei nobel aus jeder Eigenverantwortung für sein Schicksal entlassen, die Bösen sind immer die anderen.

Nun kann man mit solchen Einseitigkeiten ja leicht manipulativ Empörung erzeugen, und das Volkstheater versucht dies in bewährter Agit-Prop-Manier, wenn Christina Rast. die das Stück Prosa (zusammen mit Heike Müller-Merten) recht geschickt bearbeitet hat, nun die Problematik frei von jeglichen dialektischen Erwägungen auf die Bühne hinstellen darf.

Dabei schaut es anfangs ganz nach einem weinerlichen Familienstück aus. Klein-Eddy wird schon als Kind von allen zurückgewiesen (als ob man aus seiner Weichlichkeit den künftigen Homosexuellen erahnte, einen Menschenschlag, den Papa verabscheut). Wie viele Kinder bettelt er um Liebe und Anerkennung, aber er bekommt sie nicht. Der eigene Vater, seinerseits Sohn eines Trinkers, ist fest und unreflektiert im Arbeitermilieu verankert und hegt alle Vorurteile, die sich bei primitiven Geistern leicht finden.

Allerdings ist auch die Mutter kein Preis – gemeinsam mit Papa raucht sie von der Früh an um die Wette, vielleicht beteiligt sie sich auch am Pastis-Trinken, das eine große Rolle spielt, für warmes Wasser ist kein Geld da (Duschen? Das geht nicht oft!), aber dem älteren Sohn etwas zuzustecken, damit der Arme sich Alkohol und Drogen kaufen kann, dafür reicht es. Kein Wunder, dass Eddy unglücklich ist und sein Unglück herausschreit. Im Volkstheater sogar fünffach.

Denn Regisseurin Christina Rast hat kein richtiges Stück geschrieben, sondern den Text auf fünf Darsteller verteilt, die auch gelegentlich in verschiedene Rollen schlüpfen, aber alle immer wieder mal Eddy sind und sich in der Bühne von (der vermutlich verwandten) Franziska Rast anfangs in einer Kinderwelt bewegen, die sich dadurch kennzeichnet, dass sie „klein“ auf riesigen Möbeln sitzen. Papa ist mehr Sandsack als Puppe, hängt anfangs (betrunken?) über den Tisch, wird auch immer wieder herumgeschleppt, gesichtslos, was sicher Absicht ist.

Ein weniger geschickter Autor als der einstige Eddy Bellegueule und nunmehrige Édouard Louis hätte es damit bewenden lassen, weinerlich von seinem traurigen Schicksal zu erzählen – aber seht, ich habe mich herausgewunden, habe es trotz der miserabelsten aller Voraussetzungen geschafft, etwas aus mir zu machen!!! Doch genau das will er nicht erzählen, es wäre der Mitwelt auch vermutlich völlig egal gewesen. Aber indem er den Vater, der eigentlich gesellschaftlich ein Schreckgespenst und ein Anti-Typ ist, nun zum Opfer der Politik, der Verhältnisse, jedenfalls der „Anderen“ macht, am Ende sogar die Bilder der Präsidenten von Chirac und Sarkozy, Hollande und Macron auf die Bühne schleppt und sie persönlich für Papas Schicksal verantwortlich macht… nun ja. Der Aufmerksamkeit kann er solcherart sicher sein.

Auch auf einer österreichischen Bühne, selbst wenn die Umsetzung auf hiesige Verhältnisse nur mit Gewalt funktionieren würde… aber wer weiß, vielleicht sind Österreichs Kanzler (fangen wir aber vor Kurz doch gleich mit Gusenbauer, Faymann, Kern an, oder war es nur der böse Schüssel?) daran schuld, wenn es armen Leuten schlecht geht.

Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Selbstverständlich ist es politisch verantwortungslose Dummheit (wenn es denn genau so war, wie der Autor es uns bezüglich des bösen Macron hinwirft), die Steuer der Reichen zu senken und gleichzeitig den Armen fünf Euro pro Monat wegzunehmen, Schande! Das ist vermutlich gerade eine Schachtel von den Zigaretten, von denen Papa wohl mehrere am Tag geschmaucht hat (was der Frage, wer ihn umgebracht hat, einen Gedanken hinzufügt). Aber gut, Schande, die Armen so zu berauben. Wieso es der Mutter nach der Scheidung gelungen ist, sich zu befreien, neue Interessen zu entwickeln, sogar zu reisen, wie angedeutet wird – das erfährt man nicht, nur, dass sie sich um Arbeit bemüht und sie gefunden hat. Vater hingegen wurde trotz seines kaputten Rückens (er hat jahrelang in der Fabrik malocht) „gezwungen“, Straßenkehrer zu werden… was dann auch den französischen Gewerkschaften kein gutes Zeugnis ausstellt, wenn sie zulassen, dass ihre Mitglieder vom Staat dermaßen mißhandelt werden, sich zu Tode arbeiten zu müssen…

Da kann man ja nur nach einer neuen Revolution schreien, die Gelbwesten allein reichen da beileibe nicht. Obwohl sie etwas erreicht haben, das Édouard Louis zutiefst befriedigt: „Die Herrschenden haben Angst – und das ist wundervoll.“ Dafür nimmt er gern in Kauf, dass gut ein Drittel der Gelbwesten rechtsradikal sind. Sie können ja nichts dafür. Sie wurden, wie der Papa von Eddy Bellegueule, ja von der Regierung geradezu dazu gezwungen, gedankenlos in die falsche Richtung zu marschieren. Und Vater wird verziehen: Er hat sich, geläutert, sogar nach dem Freund (genauer: Liebhaber) des Sohnes erkundigt…

Hundert Minuten lang reiten fünf Darsteller im Volkstheater ihre Attacken (mit den üblichen Fernsehmonitoren aufgeputzt, die heutzutage zu einer Inszenierung gehören), die Damen Birgit Stöger und Julia Kreusch, die allerdings kaum zur Geltung kommen, die Herren Sebastian Pass, Sebastian Klein und Peter Fasching hingegen umso mehr. Es geht schließlich nur darum, Zorn (und ein kleines bisschen tremolierende Trauer) glaubhaft zu machen – so furchtbar schwer ist das ja nicht. Und so einfach, wie Édouard Louis es tut (hier gut und arm, dort böse und reich), ist die soziale Frage auch nicht darzustellen – geschweige denn zu lösen. Wer seinen Vater umgebracht hat? Kettenrauchen hatte sicher auch damit zu tun.

Renate Wagner

 

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