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WIEN / Volkstheater: TRAUMNOVELLE

Ein ärgerliches Zerrbild

31.10.2025 | KRITIKEN, Theater

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Fotos:  Marcella Ruiz Cruz

WIEN / Volkstheater: 
TRAUMNOVELLE nach Arthur Schnitzler
Premiere: 31. Oktober 2025

Ein ärgerliches Zerrbild

Männerwirklichkeiten, in denen erotische Geheimfeste eine Rolle spielen, wobei die Teilnahme lebensgefährlich sein kann. Frauenträume, wo Folter und Kreuzigung eines Ehemanns möglich werden – damit ist Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ auch heute noch eine radikale, aufregende Lektüre. Welche Wünsche, die man sich nicht eingesteht, wohnen hinter bürgerlichen Fassaden? Was im Unterbewussten vorgeht, hat Freud wissenschaftlich erforscht, hat der Dichter Schnitzler niedergeschrieben.

Es wurde immer wieder versucht, dieses geradezu unsäglich tiefgründige Werk, das keine konventionellen Grenzen kennt, auf die Bühne zu bringen (wobei es vermutlich nur in der individuellen Phantasie des jeweiligen Lesers funktionieren kann). In der Josefstadt ist es 2011 in einer Neufassung von Igor Bauersima mit Karacho schief gegangen. Im Volkstheater nun war der Bauchfleck in der Fassung von Johanna Wehner allerdings noch schlimmer, denn hier handelt es sich um eine dumme und bösartige Verballhornung.

Zu Beginn des hundertminütigen, pausenlosen Abends fühlt man sich an Bernhards „Auslöschung“ im Burgtheater erinnert. Haben dort acht Darsteller in „verteilten Rollen“ auf einer Treppe auf und ab laufend den Text rezitiert, so gibt es hier fünf Schauspieler, die im Prinzip Ähnliches tun, nur auf einer gewellten Holzdekoration, die nichts bedeutet (Bühnenbild Benjamin Schönecker), ebensowenig wie die unerklärlich uniformartigen Kostüme (Ellen Hofmann).

Leider hat man im Hintergrund der Bühne auch noch zwei Musiker beigestellt, Stephan Goldbach am Kontrabass und Vera Mohrs am Klavier. Jammervollerweise  singt sie auch, und die banalen Texte und die ebenso banale Musik ziehen den Abend noch weiter hinunter, abgesehen davon, dass sie an den Nerven zerren. 

Schnitzlers Text wird, wie erwähnt, mehr oder minder original (und natürlich radikal gekürzt) dargeboten – und doch nicht. Von Anfang an kokettieren die Darsteller ins Publikum, und wenn sie zu sprechen beginnen, zerlegen sie das Gesagte geradezu kabarettistisch durch unendliche Wiederholungen, die reine Satire ergeben, die alles, was gesagt wird, bestenfalls hinterfragt, vor allem aber lächerlich macht. Dass auch nur irgendetwas an der „Traumnovelle“ lustig sein sollte, ist einem tatsächlich noch nicht aufgefallen. Aber die albern herumtänzelnde Inszenierung bietet genau das.

Anzunehmen, dass die Regisseurin für die Textfassung zuständig ist (ausgewiesen wird es im Programm nicht), und es fällt auf, dass sie offenbar nicht begriffen hat, wo die Schwerpunkte der Geschichte liegen. Denn sie vergräbt sich in Details, die Schnitzler am Rande des Geschehens mitnimmt, vor allem als Zeitcharakteristik – randalierende Studenten, die die Frage nach der Notwendigkeit eines Duells aufwerfen, oder ein Sandler auf der Parkbank, dessen Funktion darin besteht, das Wegsehen der guten Gesellschaft zu streifen. Aber vor allem geht es darum, dass der Arzt Fridolin, getrieben von innerer Unruhe, auf einer streng geheimen Erotik-Party landet, was dann tatsächlich zu einem Mord führt (wenn auch nicht an ihm). Und als Gegengewicht, das ebenso stark ist, steht der Traum, den seine Gattin Albertine erzählt. Bloß – den hat die Regisseurin auf ein uninteressantes Minimum gekürzt und Folter und Kreuzigung heraus genommen. Solcherart wird die Traumnovelle zu heiterem Geplänkel, ziellosem Geblödel, wenn der logistische HippHopp-Ablauf des Abends auch sehr gekonnt ist.

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Unter den fünf Darstellern hinterlässt Katharina Pichler den stärksten Eindruck, obwohl sie nur eine echte „Rolle“ bekommt – die „Warnerin“ am lebensgefährlichen Ball, die später in der Prosektur landet. Günther Wiederschwinger hat einige Mini-Szenen, wobei der Arzt in der Pathologie am stärksten wirkt. Nicolas Frederick Djuren ist meist Fridolin, gelegentlich darf auch Christian Ehrich diesen verkörpern, und als einziger junger Frau auf der Bühne fallen Anna Rieser alle Frauenfiguren zu.

 Schnitzler jagt in der „Traumnovelle“ seinen Helden durch die Nacht und durch die Abgründe der Gesellschaft und seiner selbst. Der Volkstheaterabend mßbraucht das Werk für artifizielle Spielereien ohne Sinn und Zweck, für ein ärgerliches Zerrbild eines großen Stücks Literatur.

Renate Wagner

 

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