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WIEN / Volkstheater: THE BOYS ARE KISSING

Wenigstens mit Humor….

26.09.2025 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Marcella-Ruiz-Cruz

WIEN / Volkstheater:
THE BOYS ARE KISSING von Zak Zarafshan
Deutschsprachige Erstaufführung
Premiere: 25. September 2025 

Wenigstens mit Humor….

Die „Schonzeit“ ist vorbei. Sehr geschickt hat Jan-Philipp Gloger seine Ära als Direktor des Volkstheaters mit Jura Soyfer und Michael Haneke begonnen und damit in erstaunlich kurzer Zeit wieder Publikum ins davor leer gespielte Haus geholt. Die dritte Premiere im Haupthaus läutet nun offenbar  die „Zeitgeist“-Produktionen ein.

Wenn zwei neunjährige Buben sich coram publico in der Schule küssen, richtig küssen, dann ist die Hölle los. Zumindest im England vor nicht allzu langer Zeit, wo der britisch-iranische Schriftsteller Zak Zarafshan anti-queere Aktionen in Birmingham zum Anlass nahm, das Stück „The Boys are kissing“ zu schreiben, das im Londoner Westend erfolgreich war. Das Volkstheater hat sich die deutschsprachige Erstaufführung gesichert, das Hamburger Thalia Theater wird das Werk demnächst spielen.

Zwei Neunjährige sind zwar noch ziemlich jung, um schon die Weichen für ihre sexuelle Ausrichtung in der Zukunft zu stellen, aber grundsätzlich sollte es ja kein Problem mehr sein, wenn sich Menschen für ihr eigenes Geschlecht entscheiden. Für Eltern ist es jedoch im allgemeinen schon eine Herausforderung, wenn man auch angstvoll gelernt hat, sich tolerant, aufgeschlossen und verständnisvoll zu geben, auch wenn man es im Grunde seines Herzens nicht ist.

Zumindest bei Matt stellt sich dann doch die Homophobie heraus, während seine Gattin Sarah gar nicht weiß, wie sie sich verbiegen soll, um ja alles „richtig“ zu machen. Zumal die Eltern des anderen Jungen ein lesbisches Paar sind (eine davon hochschwanger), wo eine gewisse Aggressivität herrscht, wenn man sich nicht voll akzeptiert fühlt. Aber selbst, wenn diese beiden Paare das untereinander ausmachen könnten – da ist immer noch eine Umwelt, die eingreift und sich wichtigtuerisch einmischt, hier beginnt das Diskutieren, aber auch das Mobben, das böse Gerede, das Denunzieren …

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Klingt nach einem ernsthaften Problemstück, ist es aber nicht. Erstens, weil der Autor da noch zwei „Engel“ ins Spiel bringt, mit den klingenden Namen Analis und Klitoris, die offenbar von irgendeinem Sex-Gott die Aufgabe bekommen haben, queere Probleme auf der Erde zu lösen. Man hat den Eindruck, dass Analis bei seinem Auftritt gleich alle 72 Geschlechter von LGBTQ+ aufzählt (auf das Plus am Ende nicht vergessen!!!), da schwirrt einem nur so der Kopf.

Und zweitens hat sich auch Regisseurin Martina Gredler für eine durch und durch unrealistische, unernste Interpretation der Geschichte entschieden, wozu schon die Bühne von Sophie Lux entscheidend beiträgt, die aus einem aufblasbaren Boden besteht, so dass man eigentlich nur durchs Geschehen hüpfen kann. Die Darsteller tragen zu Beginn ihr Haus am Körper, was an einen Zeichentrickfilm erinnert, ein modernes Sofa erweist sich als eine Art Knackwurst, und immer wieder tauchen die seltsamsten Geschöpfe auf, deren Funktion man sich nicht wirklich erklären kann (immerhin ist der Kostümbildnerin Moana Stemberger da viel eingefallen – die seltsamen Latex-Kostüme verfremden die Geschichte noch mehr). Popmusik erschallt bei jeder Gelegenheit, es wird parodistisch geschrien und gehüpft, so dass die Verständlichkeit des Ganzen so ziemlich den Bach hinunter geht. Aber lustig ist es, fraglos.

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Allerdings hat sich der Autor entschlossen, sein Thema nicht ganz preis zu geben. Gegen Ende gibt es einen Zeitsprung um 15 Jahre, die beiden Engel übernehmen die Rollen der Söhne, die nun Mitte 20 sind und den Eltern nicht viel Gutes zu sagen haben. Es war weder hilfreich, die Homosexualität des einen Jungen unter den Tisch kehren zu wollen, noch hat die Über-Liebe der beiden Mütter geholfen, die Unsicherheit des anderen Jungen (der dann gar nicht schwul wurde) in den Griff zu bekommen. Alle haben es gut gemeint… wobei ja bekanntlich nicht immer Gutes heraus kommt.

Simon Bauer ist der bullige Durchschnittsmann, Karoline Reinke seine vom Leben furchtsam gemachte Frau. Nancy Mensah-Offei gibt den aggressiven, Katharina Kurschat den friedlicheren Teil des lesbischen Pärchens. Nick Romeo Reimann (er vor allem) und Luca Bonamore als die beiden Engel „räumen ab“, wobei ihr Auftritt als Polizisten mit dickem Dialekt (sollte das Sächsisch sein?) dann doch einfach zu dumm war.

Bedenkt man, mit wie viel Grimm, Gehässigkeit, Bösartigkeit, Antipathie, Beschuldigungen auf beiden Seiten das LGBTQ+ Thema üblicherweise abgehandelt wird, kann man dem Abend eines zusprechen: Wenigstens hat er Humor. Dennoch, für „Normalos“ ist es wohl nichts. Aber es gibt genügend Communities, die sich hier mit ihrer Thematik und Ästhetik wohl „abgeholt“ fühlen (wie es Politiker gerne so ausdrücken). Jedenfalls waren genügend von ihnen bei der Premiere, um dem Abend einen herzlichen Erfolg zu bescheren.

Renate Wagner

 

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