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WIEN / Volkstheater:
SECHS TANZSTUNDEN IN SECHS WOCHEN von Richard Alfieri
Premiere: 30. Oktober 2021
Diesen Abend war das Volkstheater als Institution (egal, wer gerade Direktor ist) einem seiner verdientesten Mitglieder schuldig: Doris Weiner. Mitte der siebziger Jahre kam sie ans Haus, ein kleines, zartes, quirliges Persönchen, das sich von Manker bis Badora, von Komödie bis Charakterstück durchs Volkstheater spielte. Sie ist, wie so viele ihrer Generation, dem Haus treu geblieben – und durfte von allen als Letzte gehen.
Denn als man nach Ende der Ära Schottenberg alle ihre noch verbliebenen Kollegen „entfernte“, war Doris Weiner unentbehrlich. Sie hat in den letzten eineinhalb Jahrzehnten noch Besonderes geleistet – nämlich den „Thespiskarren“ des Hauses durch die Außenbezirke (was man heute, wer weiß warum, nicht mehr sagen darf) zu fahren. Und nur, wer ein bisschen Einblick hat, ahnt, welche Arbeit und Verantwortung es war, diese Bezirksaufführungen zu betreiben und vor jeder Vorstellung noch selbst vor den Vorhang zu kommen und dem Publikum das Nötigste zu erzählen, über das Stück, über das Abo, was das Haus sonst noch macht, und es einzuladen, immer wieder ins Theater zu kommen…
Das war unter Michael Schottenberg noch einfach, denn das Publikum bekam einen klug zugeschnittenen Spielplan, es war unter Anna Badoras instinktlosem Regime fast unmöglich, wo die Abonnenten in Scharen gar nicht erst kamen und ihre Abos zurück gaben…
Die neue Direktion von Kay Voges schickte Doris Weiner in Pension und übergab die Bezirksvorstellungen an Calle Fuhr. Die geplante Abschiedsvorstellung für Doris Weiner, „Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“, fiel der Corona-Pandemie zum Opfer. Immerhin, sie wurde jetzt nachgeholt. Zur Freude aller Beteiligten.
Getanzt wurden die „Tanzstunden“, die auch schon 20 Jahre alt und weltweit das erfolgreichste Stück von Richard Alfieri geblieben sind, in Wien schon zweimal. 2005, auch im Volkstheater (Bezirksvorstellung) mit Erni Mangold und dem unvergessenen Toni Böhm, 2019 im Kasino des Burgtheaters als Abschiedsvorstellung der Ära Karin Bergmann mit Andrea Eckert und Markus Meyer. Nun treten Doris Weiner und Alexander Jagsch (sie nach wie vor so klein und zierlich, er schon als sehr groß zu bezeichnen) als Paar mit idealer Chemie an, um Mrs. Lily Harrison, reiche Witwe in Florida, und Michael Minetti, armer Gelegenheitstanzlehrer, zu verkörpern.
Das Stück ist simpel genug, sie schnauzen sich erst an und raufen sich dann zusammen, und am Ende wird es schier unerträglich sentimental. Aber der Autor hatte einen „Riecher“ dafür, dass Außenseiter „ziehen“ – an ihr kann man das Alter festmachen, an ihm die Situation des einsamen Homosexuellen. Beide haben vom Leben einiges zu tragen bekommen, sie geht auf ihr Ende zu und will die Zeit bis dahin nützen, er sehnt sich nach Liebe. Ein bisschen süßlich, das Ganze, aber wenn man es richtig spielt…
Und das tun sie in der Regie von Andy Hallwaxx (auch einer, der sang- und klanglos aus dem Volkstheater verschwinden musste), in einem klassischen Wohnzimmer-Bühnenbild von Peter Kudlich und durchaus witzigen Kostümen von Tina Prichenfried – umziehen müssen sich die beiden oft. Sie finden den richtigen Ton, was gar nicht so einfach ist, denn sie geben einander verbal Saures, wenn man nicht aufpasst, müssen sie dem Publikum gar nicht wirklich sympathisch werden. Aber Weiner und Jagsch finden die richtige Balance, übertreiben nicht, geben es nicht billig, holen das Beste aus ihren Figuren.
Und – sie tanzen! Swing, Tango, Wiener Walzer, Foxtrott, Cha-Cha-Cha, und was am Ende „nur“ Twist sein sollte, wird mit allerlei modischem Jokus aufgeputzt. Phantastisch, was Choreographin Rosita Steinhauser aus dem Paar heraus geholt hat, wie leichtfüßig und vergnügt und selbstverständlich sie ihre „Nummern“ hinlegen (und in eindreiviertel pausenlosen Stunden so viel zu tanzen, das ist körperliche Schwerarbeit!). Man würde sich wünschen, dass von den Hunderttausenden, die für „Dancing Stars“ vor den Fernsehapparaten sitzen, sich ein gewaltiger Prozentsatz aufmacht und sich den Live-Tanz dieses Pärchens im Volkstheater ansieht..
So bleibt am Ende noch zu berichten, dass der Zuschauerraum an diesem Abend so voll war, wie man es seit Beginn der Ära Voges noch nie erlebt hat. Doris Weiner wurde mit langem Auftrittsapplaus bedacht, am Ende gab es Standing Ovations, und das Publikum ging erst nach Hause, als es eine Zugabe der „Swing“-Nummer gab… (Ein paar Dankesworte, wenn schon nicht von der jetzigen Direktion, so vielleicht von der AK, unterblieben…) Es war Nostalgie pur, die vielleicht letzte Gelegenheit zu erleben, wie Wiens „Lieblinge“ von Wiens Publikum ans Herz gedrückt und gefeiert wurden. Damals… und einmal noch heute.
Renate Wagner
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Volkstheater
30.Oktober 2021
SECHS TANZSTUNDEN IN SECHS WOCHEN
von Richard Alfieri
Deutsch von Johan Grumbrech
Lily Harrison Doris Weiner
Michael Minetti Alexander Jagsch
Regie Andy Hallwaxx
Bühne Hans Peter Kudlich
Kostüm Tina Prichenfried
Choreographie Rosita Steinhauser