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WIEN / Volkstheater: SCHWERE KNOCHEN

16.01.2020 | KRITIKEN, Theater


Foto: © www.lupispuma.com / Volkstheater

WIEN / Volkstheater in der Halle E im Museumsquartier
SCHWERE KNOCHEN nach dem gleichnamigen Roman von David Schalko
Bühnenbearbeitung von Anita Augustin
Uraufführung
Premiere: 15. Jänner 2020

Es ist fast wie im Kino, in einem richtig schlechten Film. Man darf beim Prügeln und Treten zusehen, bei KZ-Sadismus und mehrfach bei Mord, spritzendes Blut, Röcheln, brutale Gewalt. Dass jemand von einem Krokodil verspeist wird, erfährt man wenigstens ohne Augenschein. Aber das Ende hat es dann wieder in sich. Nicht, dass Ferdinand Krutzler, Romanheld von David Schalko, vom Volkstheater als beispielhaft bühnentauglich erachtet, auch nur ein Quentchen Sympathie verdiente, man gönnt ihm sein elendes Ende – zumal er sich auch der Todsünde schuldig gemacht hat, ein Theaterpublikum über dreieinviertel Stunden zu langweilen.

Er ist ein Mörder und Gewohnheitsverbrecher, Spezialität: Messer in die Kehle des Opfers (man muss ihm dabei fest in die Augen sehen, gelt!), und wenn das dann (endlich!) ihm selbst passiert, ist man geradezu erleichtert angesichts des baldigen Endes. Das zieht sich allerdings noch – blutüberströmt schafft er es noch, seinen Angreifer zu erwürgen, und bevor er endlich krepiert, erschießt er noch ein halbes Dutzend Balkanesen, die es gewagt haben, ihm sein kriminelles Imperium streitig zu machen. Das nennt man einen Showdown. Mit Pointe – die Exfreundin, mittlerweile zur Lesbe mutiert, wirft ihm noch ihre Unterhose ins Grab. Absolut widerlich, das Ganze, aber was erwartet man von einem Mann, der sich mit „Braunschlag“ definiert?

Nun, man müsste ja den Roman nicht unbedingt auf die Bühne bringen, das verantwortet schon Anna Badora, aber da hat man natürlich einen schönen Vorwand. Das ist „österreichische Geschichte“, wenn auch aus der untersten Perspektive. Die grotesken Elemente versuchen von Anfang an zu verfremden – wenn Mama kreißt und das Riesenbaby Ferdinand Krutzler herausrollt, der schnell den Namen „Notwehrspezialist“ trägt, obwohl er seine Morde absolut ohne Not begeht. Mit drei anderen Jungs aus dem „Milieu“ bilden sie in Erdberg, diesem besonderen Wiener Biotop, in der Zwischenkriegszeit schnell eine erfolgreiche Einbrecherbande. Nächste Station: erwischt, Konzentrationslager, die Welt, wo Krutzler in seiner Gemeinheit aufblühen und helfen kann, den tödlichen Apparat in Schwung zu halten. Nach dem Krieg: Besatzung, Schmuggel, Betrug, das Übliche, um reich zu werden. Nach dem Staatsvertrag wird es schwerer, die „Weltmacht über Wien“ zu erhalten. Das Ende… elend. So wie die ganze Geschichte.

Sie wälzt sich unendlich breit und müde über die Bühne, denn der Dramatisierung von Anita Augustin mangelt es an Schwung und Schmäh, sie überbordet an vollkommen überflüssigen Szenen, die nichts bringen (man könnte mehr als eine Stunde wegwerfen, ohne dass einem das geringste fehlen würde). Der „menschliche Faktor“ ist genau so übel wie der „berufliche“ (man weiß nicht, welche Figur einem am meisten zuwider ist), und der einzige Begleiter des Abends ist die Langeweile. Denn auch die Regie tut in dieser lähmenden Szenenfolge nichts, um die Sache wenigstens spannend und farbig zu machen. Oder wenigstens echt schwarzhumorig.

Außer Krutzler selbst – Thomas Frank, ein „Restl“ von einem Mann, ohne irgendeine bedrohliche oder auch nur fesselnde Ausstrahlung – müssen alle alles spielen, wobei bei den Damen Isabella Knöll am meisten abbekommt, die anderen mal so oder so aufzufallen suchen, ohne Effekt (Lisa-Maria Sommerfeld und Birgit Stöger). Aufopfernd verwandeln sich Sebastian Pass, Andreas Patton, Matthias Luckey und Lukas Watzl andauernd, aber unbedankt, denn kaum einer kommt zur Geltung.

Drei Musiker sitzen auf der Bühne, haben aber wenig zu tun, Regisseur Alexander Charim scheint zuerst auf leere Bühne zu setzen (Ausstattung: Ivan Bazak), um dann im zweiten Teil plötzlich Möbelstücke hinschieben zu lassen und seinen Stil zu ändern, indem er auf einmal Szenen als riesige Videos auf die Hintergrundwand wirft. Aber das ganze Chaos ist ohnedies so belanglos, dass auch das egal ist.

„Große Ganoven, fesche Strizzis, korrupte Kieberer, heilige Huren. Geldwäsche, Glücksspiel, Schmuggel, Raub, Mord“, lockt das Volkstheater, Schöner Werbetext, auf den man um Gottes Willen nicht hereinfallen sollte. Das ist keine Gaunerballade, die frech und fröhlich Spaß macht, das ist die Akkumulation des Abschaums, lustvoll als solcher hingeschmiert. Keine Frage, dass es das gibt – aber wo ist der tiefere Nutzeffekt, dergleichen auf die Bühne zu bringen? Diese Frage bleibt unbeantwortet. Und langweilig auch noch!

Renate Wagner

 

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