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WIEN / Volkstheater: ROM

„Mehr Inhalt, weniger Kunst!“

20.04.2024 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Volkstheater /  Marcel Urlaub

WIEN / Volkstheater:   ROM
TITUS
CORIOLANUS
CAESAR
ANTONIUS & KLEOPATRA
WORK IN PROGRESS nach William Shakespeare
Text: Julia Jost
Uraufführung
Premiere: 20. April 2024

„Mehr Inhalt, weniger Kunst!“

„Rom“, zumal, wenn es sich um das antike Rom handelt, klingt immer nach etwas Großem. Dieser Eindruck entstand auch, als der belgisch-flämische, an vielen deutschen Bühnen tätige Regisseur Luk Perceval im Vorjahr begann, für das Volkstheater an einem „Rom“-Projekt zu arbeiten, das die drei „klassischen“ Römer-Stücke Shakespeares („Coriolan“, „Julius Caesar“ und „Antonius und Kleopatra“) umfassen sollte, zuzüglich das Frühwerk „Titus Andronicus“, das in der römischen Spätzeit spielt.

So wie „Coriolanus“ im 5. Jahrhundert vor Christus angesiedelt ist. Darum zeigt der Text, den Luc Perceval für das Programm des Volkstheaters verfasste, große Unkenntnis, wenn dort von dem „Untergang des Römischen Reichs“ die Rede ist. Man kann höchstens sagen, dass Caesar das Ende der Republik bedeutete, während der von Shakespeare so ungeliebte Octavius (alias Augustus) das Römische Kaiserreich begründete (ohne es so zu benennen), das noch ein paar glanzvolle Jahrhunderte vor sich hatte. Damals beherrschte Rom nicht nur den ganzen Mittelmeerraum, sondern auch einen Großteil von Europa – mehr, als Napoleon und Hitler mit ähnlichen Gelüsten je gelang. Also kein Untergang, und auch sonst ist in diesem Text des Regisseurs mehr Geschwurbel als Greifbares zu finden.

Als man „Rom“, das schon vor rund einem Jahr Premiere haben sollte, in Wien probte, konnte man per Stream dabei  zusehen, und neugierige Leute haben das auch getan. Damals saßen die Darsteller am Tisch mit ihren Textbüchern  zusammen, drehten jeden Satz um, und jeder dürfte seinen Kren dazu geben. Man fragte sich, wie daraus eine Aufführung werden sollte.

Jedenfalls erhoffte man Großes – und als das Volkstheater die nun endlich stattfindende Premiere um 18 Uhr ansetzte, erwartete man einen Marathon – immerhin vier Stücke! Der Vorgang ist übrigens nicht ohne Präzedenz: Unvergeßlich, welche Theatersensation Giorgio Strehler einst schuf, als er mehrere von Shakespeares Königsdramen zum „Spiel der Mächtigen“ zusammen schmolz… Daran darf man allerdings nicht denken: Wer immer sich von Perceval einen reich gedeckten Shakespeare-Tisch erwartet hat, wird mit ein paar Snacks abgespeist.

Tatsächlich bietet der „Rom“-Abend je eine Stunde für je zwei Stücke, allein das zeigt, wie wirre man dramaturgisch vorging. Und die Textfassung von Julia Jost ist auf schreckliche Art heutig – sicher hätte die edle Octavia nie gesagt, dass sie ihrem Bruder „den Arsch rettet“… Aber nicht dergleichen Modernismen sind der entscheidende Fehler, sondern dass überhaupt nicht klar wurde (und seine Progranmm-Folder-Erklärung bringt da auch nichts), was Perceval mit den Stücken wollte.

Vor allem der erste Teil ist einfach nur chaotisch – dabei wäre gerade Coriolan, die Geschichte des Mannes, der sich den politischen Notwendigkeiten entziehen will und von der Politik eliminert wird, ein Stück, das man interessant auf heute zuschneiden könnte (ein paar heutige Alltagsgewänder reichen allerdings dafür nicht). Doch ein stockiger Coriolan (Andreas Beck), eine bekannt wütende Mutter (Friederike Tiefenbacher) und eine farblose Ehefrau (Runa Schymanski) reichen da nicht. Unnötig zu sagen, dass nicht eine einzige Figur aus „Titus Andronicus“ vorkommt, es wird nur immer wieder von der Tochter Lavinia erzählt, die bekanntlich zerstückelt wurde (was, wie wir wissen – Shakespeares schaurige Aktualität – ja auch heutzutage noch vorkommt, man denke nur an den Fall Kashoggi in Saudi-Arabien). Der erste Teil des Abends verläuft im Nichts, die mögliche politische Zuspitzung ist nicht zu erkennen.

Nach der Pause gibt es Julius Caesar selbst gar nicht, man beginnt nach seiner Ermordung mit einer lächerlichen Rede des Brutus, die minimalistisch-affektiert  zerlegt wird (Lavinia Novak, das ist von der Regie wirklich schlecht gedacht und gearbeitet), während Frank Genser als Marc Anton mehr überzeugt, sich allerdings mit der miserablen Umdichtung des Monologs plagen muss („Mitbürger! Freunde! Römer! Hört mich an: Begraben will ich Cäsar, nicht ihn preisen“, ist einfach nicht zu toppen.)

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Und schon sind wir bei Kleopatra, als welche – ganz in Rot und ganz schön entschlossen dämonisch – Julia Riedler die zweite Hälfte des Abends beherrscht. Allerdings zeigt der Regisseur gleich, dass Römerdramen für ihn keine Polit-Parabeln sind. Eine gefühlte Endlosigkeit müssen sich Antonius und Kleopatra im Wasser wälzen, kämpfend, raufend, um endlich in der unvermeidlichen Liebesumarmung zu landen – und in Liebe, Liebe, Liebe klingt der Abend aus, als wäre die zweifellos historisch so  wichtige Beziehung dieser ägyptischen Königin mit dem römischen Feldherrn nur eine Amour Fou gewesen und keine weltpolitische Brisanz.

Zu dieser dürfen noch Claudia Sabitzer und Uwe Rohrbeck (warum muss sie ihren Monolog so unerträglich flüstern, dass man kein Wort versteht?) als unsympathisches Geschwisterpaar Octavia und Octavius herumtoben. Wenig Gewicht bekommen Stefan Suske als Cassius und Evi Kerstephan (die eine bessere Rolle verdient hätte) als Lepidus.

Kurz gesagt ist die Bezeichnung „Rom“ für das, was hier auf der Textebene erarbeitet wurde, viel zu hoch gegriffen. Was die Inszenierung von Luk Perceval betrifft, kann man wiederum Shakespeare zitieren (allerdings aus „Hamlet“): „Mehr Inhalt, weniger Kunst!“ heißt es da. Perceval  – von dem man einst so dichte, konzentrierte Fallada-Inszenierungen aus München und Hamburg gesehen hat  – spielt mit den Mitteln des Theaters (wobei das Lichtdesign von Nicholas Langer für eindrucksvolle Effekte sorgt). Vor  einer Riesenwand, auf deren Rückseite ein gewaltiges Stahlgerüst aufgebaut ist (Bühne Philip Bußmann, Allerwelts-Kostüme von Ilse Vandenbussche), werden Verfremdungen, Überblendungen, Irrationales bemüht, gut gemacht, gekonnt, wenn auch nichts wirklich Neues (was man auch gar nicht verlangt). Aber hier wäre es eigentlich um den Inhalt gegangen. Und den konnte man, offen gesagt, vergessen.

Renate Wagner

 

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