Fotos: www.lupispuma.com / Volkstheater
WIEN / Volkstheater:
ROJAVA von Ibrahim Amir
Uraufführung
Premiere: 28. Februar 2019
Wie selbsterklärend muss Theater sein? Schon an der Antwort auf diese Frage werden sich die Gemüter erregt spalten. Kann es sein, dass man das Programmheft lesen muss – was mehr Zeit und besseres Licht erfordert, als vor der Vorstellung zur Verfügung stehen -, um einigermaßen kompetent in die Problematik des Stücks einzusteigen? Tatsächlich kennt man den Begriff „Rojava“ eigentlich vor allem aus der Kriegsberichterstattung, als Bereich, wo die IS wütet. Dass die Kurden dort versucht haben, in einem Niemandsland, das sich durch den Krieg auftat, einen demokratischen, multikulturellen und vor allem (!) von Syrien und der Türkei unabhängigen Idealstaat aufzubauen, ist sicher nicht Allgemeinwissen. Allerdings – „Rojava“ an sich wird ja in dem gleichnamigen Theaterstück von Ibrahim Amir, das das Volkstheater in Auftrag gegeben und nun uraufgeführt hat, nicht wirklich diskutiert. Das wäre wohl auch zu komplex – und nicht aufzulösen.
Amir, der aus Aleppo gebürtige Kurde, lebt seit 20 Jahren in Österreich und bezeichnet sein Werk als „österreichisches Stück“ (was man nicht unbedingt darin erkennen kann). Es entspringt vermutlich dem schlechten Gewissen eines Mannes, der als Kurde das moralische Bedürfnis fühlt, beim Kampf seines Volkes – zumal wenn es um Unabhängigkeit und die utopische Idee eines vorbildlichen Staatsgebildes geht – mitzuwirken. Wäre natürlich nicht wirklich gemütlich, und schließlich hat man in Wien ein Kind… Argumente, es nicht zu tun, gibt es viele. Bequemer ist es, ein Stück darüber zu schreiben, oder sagen wir es so: es sich von der Seele zu schreiben. Dann hat man wenigstens etwas getan.
Nun hat man, ehrlich gesagt, von Ibrahim Amir („Homohalal“ im Werk X und „Heimwärts“ im Volx) noch kein wirklich überzeugendes Theaterstück gesehen. Sein Ruhm ist bisher größer als die tatsächlich vorgezeigte Leistung, und daran ändert auch „Rojava“ mit seiner simplifizierenden Struktur nichts. Abgesehen davon, dass man schon ein ultimativer Großmeister sein müsste, um ein solches Thema überzeugend auf die Bühne zu bringen…
Was Amir kennt und weiß, sind Menschen und ihr Bezug zu dem kurdischen Problem. In der Figur des Michael, von dem man allerdings nicht mehr erfährt, als dass er eine kurdische Freundin hat, zeichnet er den europäischen Idealisten, der zum Kopfschütteln oder zur Verzweiflung seiner Umwelt aus dem gesicherten Leben aufbricht, um in Rojava mitzukämpfen – für eine bessere Welt. Und wenn es sein Leben kostet. Amir zeigt, dass Leute wie Michael keinesfalls mit offenen Armen empfangen werden, sondern eigentlich auf Unverständnis stoßen – dass sie sich einer fremden Sache bis zur letzten Konsequenz annehmen, können die Menschen, die tief im Krieg stecken, nicht begreifen… Peter Fasching spielt den Idealisten, der offenbar mehr irgendwelchen romantischen Intentionen als seinem Verstand folgt, durchaus glaubhaft.
Wenn er in Rojava ankommt, trifft er auf Alan (nicht eben ein Name, den man als kurdisch empfinden würde?), der versucht, den Krieg leicht zu nehmen. Zusammen mit seinem blinden Cousin Kaua (Sebastian Pass, stimmlich durchdringend) spielt er ein tragisches Spiel – einfach an dem Klang erkennen, welche Waffen da in der Ferne schießen und töten, amerikanische Raketen, russische Maschinengewehre, deutsche Panzer… Aber tatsächlich will Alan nichts als weg von hier, weg von dem Krieg, der nicht der seine ist, er will, was Michael wegwirft, ein normales Leben. Er bekommt es auch, indem er diesem seinen Paß abbittet, obwohl Michael mit den bittersten Worten warnt, wie furchtbar schlecht er als Flüchtling in Österreich behandelt werden wird…
Alan taucht in Wien auf, bei Peters Mutter (Claudia Sabitzer, die als zweite Rolle noch eine militante Kurdin spielt, lesbisch, damit auch das drinnen ist…), die ihm ein Argument entgegenschleudert, das vermutlich viele junge Männer aus dem Nahen Osten hören: Was macht ihr hier? Warum lasst ihr eure Heimat im Stich? Warum kämpft ihr nicht um eure Freiheit? Sie können dann wohl auch nur, wie Alan, antworten, dass sie „leben“ wollen und nicht im Kugelhagel krepieren… Luka Vlatković macht das glaubhaft.
So viel zu den Männerpositionen. Dazu gibt es eine Frauenrolle, die den emanzipatorischen Aspekt von Rojava unterstreichen soll. Denn hier kämpfen Frauen mit, auch in Führungspositionen, hier sind sie gleichberechtigt – was aber, auch bei den Kurden, sofort flach fällt, wenn sie die Uniformen ausziehen und wieder in die bekannten gesellschaftlichen Unterdrückungsmechanismen zurückfallen. Isabella Knöll hat es mit der Rolle der Hevin nicht ganz leicht, muss immer wieder martialisch losbrüllen, muss sich unter der Liebe zu Michael winden, ihn zurückstoßen… kurz, einfach schlechtes, künstliches Theater machen.
Denn Ibrahim Amir versucht nicht nur das Unmögliche, nämlich einigermaßen „realistisch“ Krieg auf die Bühne zu bringen, was einfach nicht geht (das kann, wenn überhaupt, nur das Kino – auf dem Theater funktioniert es höchstens gänzlich stilisiert), und er verquickt das noch mit der Liebesgeschichte (vielleicht hat er zu viel Hemingway gelesen). Dass zwei Liebende in einen Hinterhalt geraten und, Rücken an Rücken, die Waffe im Anschlag, ihre Liebesprobleme diskutieren – das kann einfach nur beklemmend lächerlich ausfallen.
Darüber hinaus hat der Abend ein völlig verhatschtes Ende – wenn Alan Michaels Mutter von Michaels heldenhaftem Tod im Kampf berichtet und diese seine Leiche fordert (was daraus wird, wer weiß es schon) – und Michael Sekunden später zu dem blinden Kaua klettert, der sich freut ihn zu „sehen“: Und da wird Michael erschossen, obwohl man doch eben erst gehört hat, er sei schon tot? Klagend wird nach ihm gerufen, und abrupt ist das Ganze zu Ende…
Regisseur Sandy Lopičić wird im Internet als „bosnisch-österreichischer Musiker, Theaterregisseur, Filmkomponist und Schauspieler“ geführt („bekannt für die zügellosen Auftritte mit seinem Balkan Orkestar“), und er scheint sich für diesen Abend (mehr oder minder ein Einheits-Drehbühnenbild für Kriegsschauplatz und Wien: Vibeke Andersen) vor allem um die Musik gekümmert zu haben. Sie überbordet dermaßen (mit den Musikern immer auf der Bühne), dass das Hautgout eines kurdischen Folklore-Abends nicht ganz weg zu bekommen ist, auch wenn man durchaus Schönes hört (vor allem von der Sängerin Golnar Shahyar, die irgendwann aber auch sinnlos das Ave Maria singen muss).
Was ist es nun gewesen? Hat uns der Autor das Problem Rojava nahe gebracht? Oder hat er nur mit Gewalt versucht, ein paar paradigmatische Schicksale – die gewissermaßen aus dem Typen-Lehrbuch kommen – mit etwas Handlung so zu verlebendigen, dass eine Geschichte, ein legitimer Theaterabend daraus wird? Nun, der Teil des Publikums, der nach der Pause noch da war (der Besucherschwund begann schon im ersten Teil), hat jedenfalls heftig applaudiert.
Renate Wagner