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WIEN / Volkstheater: PEER GYNT

08.12.2019 | KRITIKEN, Theater


Fotos: lupispuma.com

WIEN / Volkstheater:
PEER GYNT von Henrik Ibsen
Premiere: 7. Dezember 2019

Henrik Ibsens „Peer Gynt“ ist gewiß eines der schillerndsten, interessantesten Stücke der Weltliteratur, gerade, weil es so „offen“ ist. Der (eher fälschlich so benannte) „nordische Faust“, der übrigens nicht Erkenntnis, sondern nur sich selbst sucht – und das nicht eben in tiefen Gewässern – , kann von zahlreichen Seiten her angegangen werden. Man hat auch immer wieder versucht, das Geschehen, das sich geschmeidig zwischen scheinbarer Wirklichkeit, Phantasie (wir würden auch „Fantasy“ dazu sagen) und möglicherweise Traum bewegt, in einer realen nordischen Welt zu verankern – Lügenbold Peer Gynt in der ländlichen Welt zwischen Mutter Aase und Geliebter Solveig, als Störenfried bei einer Hochzeit, in der Welt der Trolle, welche die Skandinavier ohnedies so ernst nehmen, als lugten sie jeden Augenblick um die Ecke, und Peers Weg in die weite Welt, als Geschäftsmann, in der Wüste, bei den Ägyptern, schließlich im Irrenhaus… da muss man sich ja nur zu ein paar komplett irrealen Elementen wie dem Großen Krummen oder dem Knopfgießer etwas jenseits der Realität einfallen lassen. Und hat auf jeden Fall jede Menge von Poesie (Solveig, Aases Tod), Exotik (Anitra in der Wüste) und Skurrilität (Dr. Begriffenfeld)…

Wien hat eine große „Peer Gynt“-Tradition – vor mehr als 50 Jahren hat Josef Meinrad mitreißend Alma Seidler als Mutter Aase in den Himmel kutschiert. Vor knapp 40 Jahren war in Schenk-Regie Helmuth Lohner der Peer Gynt an der Burg, Peymann holte vor einem Vierteljahrhundert Ulrich Mühe für diese Rolle in seiner ungemein harmonisierenden Interpretation des Stücks (die eine Menge Spott im Feuilleton abbekam). Das Volkstheater packte den „Peer Gynt“ zuletzt härter an, Michael Sturminger ließ ihn 2008 im Krankenhaus spielen, ein sterbender Peer Gynt blickte auf sein Leben zurück. Dreieinhalb Stunden, und das war für das Monsterwerk nicht einmal viel.

Regisseur Viktor Bodó brauchte für seine nunmehrige Volkstheater-Aufführung gerade einmal zwei Stunden ohne Pause, und er hat den Text gewaltig zusammen gestrichen. Wer das Stück nicht kennt, wird manches wohl nicht begreifen, aber letztlich ist auch nicht jedes Detail der Handlung wichtig. Jedenfalls ist es eine stimmige, schlüssige Interpretation von Ibsens Stück, das sich hernimmt, was zentral interessiert: nämlich den Titelhelden.

Was unterscheidet nun die Arbeit des ungarischen Regisseurs so haushoch von all den zerstörerischen, willkürlichen Produkten, an denen Wien derzeit so reich ist? Nun, erstens hat er ein Konzept. Zweitens hat er Ideen, dieses umzusetzen. Und drittens „kann“ er Stil, versteht das Theaterhandwerk (das vielen Kollegen abhanden gekommen ist, falls sie es je hatten), ist absolut überlegt und konsequent in seinem Tun. Und damit ist sein „Peer Gynt“ zwar nur ein Teil des Riesenwerks, aber einer, der sich auf der Bühne bestens behauptet.

Peter Stein hat in seiner legendären Schaubühnen-Inszenierung von 1971 nicht weniger als ein halbes Dutzend Peer Gynt-Darsteller verbraucht (auch wenn man sich nur an Bruno Ganz erinnert…), Viktor Bodó nimmt drei, und das ist gut und klug, denn Ibsen hat dieses Schicksal über Jahrzehnte verfolgt, und „auf alt schminken“ ist ebenso fragwürdig, wie den jungen Peer unverändert „alt“ sein zu lassen. Abgesehen davon, dass die drei Darsteller – Nils Hohenhövel (jung), Jan Thümer (mittelalterlich) und Günter Franzmeier (alt) – physiognomisch bestens zusammen passen, hat der Regisseur (der viel zu dem Abend dazu erfunden hat) die drei auch in prächtiger Interaktion auf die Bühne gestellt, die einzelnen Altersstufen jeweils stumm oder laut oder temperamentvoll „kommentierend“, was die anderen tun…

Sie bewegen sich auf einer Bühne aus weißen Wänden (Ágnes Bobor), die allerdings ungemein lebendig sind und sogar „witzig“ mitspielen, die Videosequenzen (Vince Varga) werden nur geringfügig eingesetzt, auch nicht immer ganz stimmig (etwa in der Anitra-Szene in der Wüste). Überhaupt gelingt natürlich nicht alles gleich überzeugend: Man kann natürlich die Trolle so gnadenlos parodieren, aber sie verlieren als bloße Lachnummer an Gewicht. Brillant die Szenen des erfolgreichen Geschäftsmannes Peer (in seinen mittleren Lebensjahren), wo in seinem Hochmut auch die ganze Hohlheit der Figur herauskommt.

Denn wenn auch schon Ibsen seinen Helden höchst fragwürdig dargestellt hat, bei Viktor Bodó erscheint er zwar nicht unsympathisch, aber von jener aufgeblasenen Oberflächlichkeit, die Ibsen zweifellos von sich aus parodiert hat und die einen sehr heutigen Egomanen aus ihm macht (samt Eingebildetheit und Selbstgefälligkeit). Im übrigen gibt Bodó seinem Helden auch keine Solveig-Erlösung, tatsächlich ist diese Figur über Gebühr in den Hintergrund gerückt, sprich: unter ihrem Wert eingesetzt. Die Szene vom Tod der Mutter ist schön, aber unterspielt – die Inszenierung, die auf der immer witzigen, teils gereimten Übersetzung von Christian Morgenstern ruht, hat wenig Platz für Lyrik, viel für Humor, auch körperliche Slapstick-Komik auf der Bühne. (Und immer wirkt der schöne Satz: „Getrost, mein Freund! Ich habe Takt; man stirbt nicht mitten im fünften Akt…“)

Die Aufführung schafft es, neben den drei Peer Gynts, die alle vorzüglich sind, mit drei Damen und drei Herren auszukommen. Die Aase von Steffi Krautz muss sich zu Beginn (vielleicht eine Spur zu viel „Realismus“) von Gerichtsvollziehern alle Habseligkeiten aus ihrer Wohnung wegtragen lassen, so passt es zu ihr, dass sie nicht rührend und sentimental, sondern einfach eine starke Frau ist. Auch später als intrigante Frau von Eberkopf und urkomisch als ägyptische Säule. Evi Kehrstephan findet als Solveig im blauen Kleidchen (Kostüme: Andrea Kovács) nicht statt, hat aber einen Monsterauftritt mit sprachlichen Verrenkungen als grüne Troll-Maid. Mit Erstaunen erblickte man Dorka Gryllus (erstmals?) hier auf der Bühne, weil man ihr ausdrucksvolles Gesicht aus dem Fernsehen so gut kennt: Sie begnügte sich mit Kleinrollen – aber als entführte Braut echappierte sie mit Peer Gynt auf die Galerie des Volkstheaters und ließ dann, hinter dem Zuschauerraum, ergötzliches, ausführliches Beischlafgequietsche hören. Als Anitra war sie die exotische, routinierte Nutte.

Stefan Suske, witzig als „Grüner“ Dovre-Alter und als herumschusselnder Dr. Begriffenfeldt, Günther Wiederschwinger (u.a. als sitzen gelassener Bräutigam) und Andreas Grötzinger vielfach eingesetzt, immer skurril, sorgten für die Nebernollen.

Es war, wie gesagt, nur ein Teil des „Peer Gynt“. Aber in eine überaus sehenswerte, theatergerechte Form gebracht. Begeisterter Beifall.

Renate Wagner

 

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