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WIEN / Volkstheater: ÖDIPUS TYRANN

Antike im Pop-Modus

15.11.2025 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Marcella Ruiz Cruz

WIEN / Volkstheater: 
ÖDIPUS TYRANN von Sophokles
Neuübertragung von Nicolas Stemann
Eine Übernahme vom Schauspielhaus Zürich
Damalige Premiere: 11. September 2022
Wiener Premiere: 14. November 2025 
 

Antike im Pop-Modus

Theater muss man auch verkaufen können. Und da hatte Nicolas Stemann, als er noch Intendant des Schauspielhauses Zürich war, eine gloriose Idee. Zwei Schauspielerinnen, die ausschließlich auf der Vorderbühne tätig sind, ein paar Mikrophone, ein bißchen Rauch, Lichteffekte. Und ja, irgendwie muss man einen rosa Tüllrock in die Höhe ziehen als Sinnbild dafür, das Iokaste sich umgebracht hat…

Ioskaste wer? Nun, angeblich spielt man ja in dieser Minimalismus-Fassung nichts Geringeres als „Ödipus Tyrann“ von Sophokles, eines der ganz großen Werke der Antike. In solcher Light-Version ist der Abend vielfach gereist (vermutlich mehr unterwegs als in Zürich selbst), und das Volkstheater hat sich einen besonderen Dreh ausgedacht: Man erklärt das Gastspiel als „Premiere“, spielt den Abend ein paar Mal im Repertoire und hat in Zeichen rigider Sparzwänge billig eingekauft. Dagegen ist ja grundsätzlich nichts zu sagen.

Und was ist mit „Ödipus“? Das beantwortet sich nicht so einfach. Vermutlich geht alles auf Heiner Müller und seine Idee des „Medea-Materials“ zurück. Seither steht die gesamte Weltliteratur den Regisseuren als Material zur Verfügung, sozusagen ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ an Werken, mit denen man ohne Begründung machen kann, was man nur will. Und das geschieht hier auch. Mit dem richtigen modischen Mascherl – Theater heute.

Zwei junge Frauen in schwarzen Kleidern, vor dem Eisernen Vorhang, rezitieren Sophokles-Text. Ob Nicolas Stemann aus dem Griechischen neu übersetzt oder sich an vorliegenden deutschen Fassungen bedient hat, weiß man nicht – dass er gewaltig bearbeitet hat, das ist klar. Nicht nur, weil „Schönen Tag noch“ oder „Tschüss“ sicherlich nicht bei Sophokles steht.

Zwei Frauen, zwei Schauspielerinnen (am Ende wird angedeutet, sie könnten die Töchter des Ödipus, also Antigone und Ismene, sein, die sein Schicksal erzählen?) sprechen den reduzierten Text. Teilweise im „Chor“ – da rappen sie schon ganz schön, das klingt am Ende sogar heutig. Mitten drin wenden sie sich ans Publikum und fragen, was sie da eigentlich tun. (Sie wissen es, ob alle Zuschauer es wissen, sei dahingestellt.) Stemann segelt geradezu durch das Stück, und weil ja die Frauen nicht nur sprechen können, sondern irgendwas tun müssen, denkt sich der Regisseur jede Menge sinnloser Aktionen aus.

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Die Damen müssen sich nach und nach teilen, Patrycia Ziolkowska konzentriert sich auf den Ödipus, Alicia Aumüller muss nach und nach Teiresias. Kreon, Iokaste und der Hirte sein, der das Baby Ödipus gerettet hat.

Von der Handlung her ist das gewiss eines der schlimmsten Stücke der Weltliteratur (und darum nimmt man die flapsige Interpretation so übel) – es ist ein unfassbares Ausmaß von Schuld, das Ödipus in sich selbst erkennen muss, den Vater getötet (den Mord an einem ihm fremden alten Mann hat er locker weggesteckt und verdrängt, aber sei’s drum), mit der Mutter geschlafen, Nachwuchs gezeugt, die seine Kinder und seine Geschwister sind. Die Selbstverstümmelung, sich die Augen auszustechen, ist ein Gewaltakt ohnegleichen…

All das wird in der Pop-Version eher locker genommen. Die beiden in den Kritiken gefeierten Darstellerinnen, die für ihre Leistung kollektiv mit dem Gertrud-Eysoldt-Ring ausgezeichnet wurden, sind tatsächlich glänzend. Aber Patrycia Ziolkowska ist am stärksten, wenn sie mit dem Abstreiten der Schuld beschäftigt ist (was auch die stärksten Passagen in Stemanns Fassung sind) – da sucht man andere Schuldige, spinnt Verschwörungstheorien, wendet sich aggressiv gegen jeden, wütet sich in Beschuldigungen hinein. Wenn sie dann beginnt, die Erkenntnis ihrer eigenen Schuld zu akzeptieren, wird ihr Agieren so abstrus, dass es an Schmiere grenzt. Alicia Aumüller bildet mit der Kollegin gewissermaßen ein choreographisches Duo, sie sind locker, oft ironisch /wenn man Teiresias einen Uzo serviert, damit er seine Weisheit preisgibt). Bis zum Pop-Song am Ende sorgt der Regisseur für den Unterhaltungswert.

Hätte er sich für dieses Regie- und Darstellungskunststück nicht ein anderes Stück aussuchen (oder besser selber schreiben) können? Warum muss Sophokles zum Spiel-Material verkommen?

Renate Wagner

 

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