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WIEN / Volkstheater: NUR PFERDEN GIBT MAN DEN GNADENSCHUSS

22.09.2019 | KRITIKEN, Theater


Lupispuma.com

WIEN / Volkstheater:
NUR PFERDEN GIBT MAN DEN GNADENSCHUSS
nach dem Roman von Horace McCoy
Premiere: 22. September 2019

Wahrscheinlich kennen nicht allzu viele den Roman „They Shoot Horses, Don’t They?“ aus dem Jahre 1935 von Horace McCoy (1897-1955). Aber Filmfreunde haben sicher „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuß“ von Sydney Pollack mit Jane Fonda (aus dem Jahr 1969) gesehen. Da tanzt sich eine Handvoll Figuren buchstäblich zu Tode – ein deprimierendes Bild aus Amerikas Depressionsära, wo Menschen dermaßen am Ende waren, dass sie bis zu Selbstaufgabe und Selbstvernichtung bereit waren, alles zu tun, um zu überleben…

Zu Tode tanzen? Wie soll das bitte auf dem Theater gehen? Geht auch nicht. Wird auch nicht gemacht. Wenn das Volkstheater „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuß“ ankündigt, ist das der reinste Etikettenschwindel. Minimale Reste des Films sind vorhanden, die Moderatoren (Evi Kehrstephan und Jan Thümer in jeder Menge Kostümfummel), die Paare, eine rudimentäre Ahnung der Handlung. Getanzt wird, wenn überhaupt, auf Video (und dort vermutlich als Aufzeichnung). Regisseur Miloš Lolić hat sich ganz etwas anderes ausgedacht. Es wird (selbstverständlich demagogisch, logischerweise) aus der Geschichte des Volkstheaters erzählt. Wie bitte? Wie das und warum? Und wieso hier und jetzt? Darauf darf man keine Antwort erwarten. Es ist eben so.

Die Paare, die in den Tanzpausen aufgefordert werden, etwas von sich zu geben, spielen Szenen aus Stücken, die in der Geschichte des Volkstheaters eine Rolle gespielt haben. Gleich zu Beginn schlägt Steffi Krautz in Arthur Schnitzlers erstem „Reigen“-Dialog „Die Dirne und der Soldat“ die ordinärsten Töne an. Wieso? Weil „Reigen“ angeblich im Volkstheater seine Wiener Erstaufführung erlebt hat. Hat er nicht, das war in den Kammerspielen, aber bitte, diese gehörten damals nicht der Josefstadt, sondern dem Volkstheater, also okey. Und ein Skandal war es auch.

Und so geht es weiter. Ausgewählt werden – mit einer Ausnahme – Stücke, die in diesem mutigen Haus besagten Skandal gemacht haben: Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ (hier sehr schlecht interpretiert mit gänzlich falschen Tönen von Birgit Stöger), die die Wiener in der Nachkriegszeit sehr abgestoßen haben – so wollten sie sich nicht sehen. „Change“ von Wolfi Bauer (mit einem hinreißenden Auftritt von Isabella Knöll). Brechts „Mutter Courage“, die hier den Brecht-Boykott brach (mit Claudia Sabitzer). Bernhards „Vor dem Ruhestand“ verströmt ebenso sein Gift wie „Krankheit oder moderne Frauen“ von der Jelinek. Und Qualtingers „Hinrichtung“ – das war schon was. Wenn man all das gesehen hat, ist es ein Erinnerungstrip. Dass es den (womöglich noch jungen) Zuschauer von heute so viel interessiert wie das Schwarze unter dem Fingernagel, möchte man bezweifeln…

Einiges wird noch erwähnt (wie Turrinis „Rozznjagd“), was Shaws „Heilige Johanna“ da will, weiß man nicht (damit lässt sich keine Demagogie machen), und natürlich wird in der braunen Vergangenheit des Hauses gewühlt. Ja, und das „Führerzimmer“, um das es in „Schottis“ Intendanz so viel Wirbel gab (sein roter Stern wird auch einmal über die Bühne getragen), wird natürlich breit getreten und „Hitler-Zimmer“ genannt, damit auch jeder es versteht. Und per Video lässt sich jene Darstellerin, die wahrlich nicht zu Jane Fonda-Größe aufschließt, dort erschießen… Die anderen kriechen mit gierigem Gegrunze zombieartig herbei und verwischen das Blut.

Schon davor hat Regisseur Miloš Lolić die Schraube immer enger gezogen, das allgemeine Chaos zum Happening verdichtet, ohne dass die ursprüngliche Handlung des Romans (Films) klar geworden wäre (die ja wirklich nur Vorwand ist), noch dass sich die Geschichte des Volkstheaters hier sinnvoll erklärt hat – das wäre wohl eher Stoff für eine Matinee für ein ergrautes Abo-Publikum von früher, das dem Haus in der Ära Badora ade gesagt hat…

Dabei hätte man sich vorstellen können, dass es zu dem fatalen Wetttanzen anno dazumal heute durchaus Parallelen geben könnte. Sind Leute nicht bereit, bei Fernsehwetten ihre Gesundheit zu riskieren (sitzt das Gottschalk-Opfer noch im Rollstuhl?)? Machen sie sich nicht als Dancing Stars lächerlich, ohne es zu merken? Setzen sie sich nicht (das hieß „Big Brother“, wenn man sich erinnert) gern dauernder Beobachtung aus und haben in Talk Shows gar nichts dagegen, die Mitwelt „ein bisschen Elend“ sehen zu lassen? Das alles ist nicht so gestrig, wie man es vermuten möchte. Es wurde nur nicht erzählt.

Inmitten des Tohuwabohu, das durch verschiedene Video-Wände noch verwirrender wird, tummeln sich die Darsteller des Hauses. Kaum einer kann als Persönlichkeit punkten. Am besten inszeniert war der Zwischen- und Endbeifall. Die jungen Leute, die sich da betätigten (offenbar aufgeregte Schauspiel-Jugend), saßen neben mir. Mal sehen, wie die Akzeptanz des Gebotenen und die Zustimmung dafür in Repertoire-Vorstellungen aussieht…

Renate Wagner

 

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