Fotos: Marcel Urlaub / Volkstheater
WIEN / Volkstheater:
KRANKHEIT ODER MODERNE FRAUEN von Elfriede Jelinek
Premiere: 24. Jänner 2025
Elfriedes Spielwiese …
Claudia Bauer hat am Volkstheater zuerst Ernst Jandl (sehr erfolgreich: „humanistää!“) und dann Ingeborg Bachmann inszeniert (weit weniger überzeugend: „Malina“), und ist nun bei Elfriede Jelinek gelandet. Allerdings hat sich das Theater keinen der zahlreichen neuen Texte der Autorin gesichert (von denen man viele hierorts noch nicht gesehen hat), sondern auf ein immerhin vier Jahrzehnte altes Werk zurück gegriffen, das 1990 an diesem Haus seine skandalumwitterte österreichische Erstaufführung erlebt hat:
„Krankheit oder moderne Frauen“ regt heute natürlich niemanden mehr auf, obwohl es erstaunlich ist, wie viel von der Wut und dem Haß, ja, der wahren Raserei der Jelinek angesichs der Geschlechterfrage (die heute knieweich in sich zusammen gebrochen ist) immer noch spürbar wird. Tatsächlich wirkt dieser Rundumschlag immer wieder wie der Verzweiflungstext einer von Rachegelüsten gegen die Männerwelt getriebenen Autorin…
Wie man weiß, schreibt Elfriede Jelinek nie Stücke, sondern Texte, mit denen die Regisseure machen können, sollen, was sie wollen, kurz gesagt, eine Spielwiese für ihre Interpretation vorfinden. Claudia Bauer hat die Herausforderung so radikal, ja geradezu rabiat wie möglich aufgegriffen. Wo die Männer Schweine sind und die Frauen aus Gründen der Selbstverteidigung zu Hyänen, vielmehr in diesem Fall zu Vampiren werden, waltet in mehr als zwei pausenlosen Stunden im Volkstheater keine Gnade.
Apropos Skandal von einst – man kann sich schon vorstellen, dass man damals, in weniger robusten Zeiten, doch noch die Energie für Protest aufgebracht hat, wenn einer Frau auf einem Gynäkologischen Stuhl ein Kind aus dem Leib gerissen und in der Luft herumgeschmissen wird. Heute gibt es für das und alle andere nur Beifall
Die Regisseurin hat die Handlung – in einer blutroten Drehbühnen-Dekoration von Patricia Talacko und Grotesk-Kostümen von Andreas Auerbach – auf fünf Personen beschränkt. Der Conférencier (souverän-ironisch: Nick Romeo Reimann) trägt das Kostüm eines weißen Clowns und versetzt die Geschichte scheinbar in eibe Grottenbahnwelt.
Die beiden Frauen unterscheiden sich anfangs – Vampirin Emily (Anika Meier) erscheint im dämonischen Stil einer Film Noir-Heldin, die anfangs schwangere Carmilla (Lavinia Nowak) erscheint im Stil einer Über-Doris Day, bevor das brave Frauchen auch zur wilden Vampirin wird.
Die Männer, die schon von Jelineks Text vernichtet werden, sind der Inbegriff der blöden, anmaßenden Machos, die sich Frauen nach ihren Wünschen zurecht biegen wollen – urkomisch, auch wegen eines leicht Wienerischen Zungenschlags Samouil Stoyanov als Camillas anmaßender Mann Dr. Benno Hundekoffer (von Beruf Steuerberater), noch schlimmer der laut-präpotente Gynäkologe und Zahnarzt Dr. Heidkliff von Elias Eilinghoff, Diese beiden lässt die Regisseurin – neben den wilden Frauen – wie komplette Dodeln durch das Geschehen wanken.
Dabei spart sie nicht an Schockeffekten und Geschmacklosigkeiten, und wenn ein Chor (meist im Orchestergraben, gelegentlich auf der Bühne) das Geschehen verhöhnt, spotten sie ihrer „Schmusechor“-Bezeichnung, da von ihnen nur Mißtönendes zu vernehmen ist.
Das Ganze ist eine wüste Grotesk-Show, die immer wieder aufzufordern scheint, dass man sie nicht ernst nehmen sollte. Dennoch, wahre Unterhaltung ist das nicht. Also strikt für Fans, und die wird die Jelinek wohl haben. Wer sich als Normalmensch outet und möglicherweise bei der Darstellung von zelebrierter Widerlichkeit zur Übelkeit neigt, sollte dem Ganzen fern bleiben.
Renate Wagner