Karel Dobrý, Lukas Holzhausen © www.lupispuma.com / Volkstheater
WIEN / Volkstheater:
KÖNIG OTTOKARS GLÜCK UND ENDE
von Franz Grillparzer (angeblich)
Premiere: 8. Jänner 2019
Wer ein leidenschaftlicher Theaterbesucher ist, der es nicht lassen kann, der von ewiger Neugierde getrieben immer wieder ins Theater geht, egal, was man ihm dabei antut, der leidet viel in seinem Leben. Es gibt Tiefpunkte, es gibt Katastrophen, es gibt Zumutungen, die in ihrer Dummheit und Niederträchtigkeit regelrecht aggressiv machen. Das Burgtheater hat es mit Nestroy-Hinrichtungen geschafft („Der Talisman“ von David Bösch, „Liebesgeschichten und Heiratssachen“ von Georg Schmiedleitner), und das Volkstheater tut es nun mit „König Ottokars Glück und Ende“ von Franz Grillparzer.
Das heißt: angeblich von Grillparzer, angeblich dessen „König Ottokar“. Hätte Regisseur Dušan David Pařízek seine Blödsinnsorgie doch bei „Charlies Tante“ entfesselt, dann wäre es einem egal. Hier tut es weh. Aber lustig sind sie sich schon vorgekommen, der Regisseur und das Ensemble, wie sie so richtiggehend mit der Lupe gesucht haben, wo ihnen noch ein Stückchen Blödsinn einfallen könnte…
Da steht vor einer Bretterwand (Bühne: auch der Regisseur) Thomas Frank im T-Shirt und Turnschuhen und brüllt in breitem Prolo-Ton etwas über eine Berta Rosenberg, die man ohnedies nicht zu Gesicht bekommen wird. Rainer Galke hampert in einem Königsmantel herum, soll die Königin Margareta sein und parodiert zänkische Frauentöne. Das ist absolut nicht von Grillparzer, der guckt gelegentlich mit ein paar Formulierungen durch, den Rest haben sich die Herrschaften nach Bedarf selbst gedichtet. Nach dem Motto: Heute ist Quatsch angesagt… Sie erzählen ja auch nicht das Stück. (Schüler: Achtung, wer da rein geht, um sich die Lektüre zu ersparen, bekommt Null Ahnung, worum es geht.) Was Grillparzer da einst über die verhängnisvollen Wege von Macht, Machtgier und Wahn erzählen wollte – welchen Regisseur schert das schon heutzutage?
König Ottokar reitet auf einem wirklich schönen weißen Pferd ein. (Das ach so arme Volkstheater hat offenbar doch ein bisschen Geld, um es sinnlos rauszuwerfen.) Der gute Mann spricht Tschechisch, weil der Darsteller (Karel Dobrý) offenbar Tscheche ist – aber, keine Angst, das bleibt Pointe. Er wechselt in Deutsch hinüber, das heißt, in das „tschechische“, stark akzentuierte Deutsch, das man die meiste Zeit kaum versteht. Kein Verlust – an diesem Abend ist das vollkommen wurscht.
Denn dass wir uns in diesem Stück in einem Schmelztiegel der Nationen befinden (oder verwenden wir lieber die korrekte Formulierung: in der Vorahnung des späteren Habsburger Völkerkerkers), hat die einzige „Idee“ von Dušan David Pařízek mit sich gebracht: Jeder spricht seinen Dialekt. Besonders lustig ist dabei das „Schwyzerisch“ des Rudolf von Habsburg (Lukas Holzhausen), denn schließlich waren die Habsburger ja einmal wirklich nur kleine Schweizer Grafen. Leutselig ist er auch, der Herr, er stellt sich allen nur als der „Ruedi“ vor (als wären wir im Tell…)
Die Kunigunde von Massovien (Anja Herden), deren Schicksal völlig im Unklaren bleibt, auch wenn sie gelegentlich herummault, legt hie und da die typisch „ungooorischen“ Töne an. (Was den Zawisch Rosenberg betrifft, als welcher Peter Fasching herumschleicht, würde man sich fragen, ob der überhaupt mitspielt, so übel wurde dieser an sich so üblen, so wichtigen Rolle in dieser Fassung (Fassung?) mitgespielt… Und irgendwer soll in Gestalt von Gábor Biedermann auch der Braun von Olmütz sein? Sorry Leute, das ist eine lachhafte Behauptung.)
Im übrigen – ob Steirer, Schwaben oder Wiener, sie überdrehen ihr Idiom gewaltig (und dass der Wiener noch „Wien, Wien, nur du allein“ singt und sich in ein Becken wirft, weil er ja in der Donau schwimmt, ist auch ganz besonders lustig – oder nur blöd?).
Ja, und was passiert jetzt in diesem umgedichteten Raum der konzentrierten Albernheit, der von Anfang an nach Grand Guignol schmeckt und kaum rudimentär Grillparzers originaler Sprache und Handlung folgt? Die Rede auf Österreich wird gerappt – wui! Am Ende verdichtet sich das Happening. Ja, und unser Regisseur (oder war es der Dramaturg, der auf diese ingeniöse Idee kam?) hat Rudolf von Habsburg auch noch zu Ottokars Mörder gemacht. Da zieht der milde Schweizer eine Schlachterschürze an, schüttet Ottokar eine Flasche roter Farbe über den Kopf, beschuldigt einen anderen (ich sage euch: Eigentlich war’s wirklich der Seyfried Merenberg, weil sein Vater in Ottokars Gefangenschaft umgekommen ist, aber dazu müsste man das Stück kennen…) und rät dem Volk, in dem Fall dem Publikum, schön den Mund zu halten. Und das war’s.
Und was war es außer zweieinviertel pausenlosen, in ihrer sinnlosen, dummen Zerstörungswut eigentlich unbegreiflichen Stunden? Und hätte man dann von einem Wiener Theaterpublikum nicht erwarten können, dass es nach einer solchen Vorstellung zu randalieren beginnt und alle Beteiligten buhend von der Bühne jagt, wie sie es verdienen?
Mitnichten. Es wird geklatscht, heftig sogar, widerspruchslos wird die Zustimmung sogar gejohlt. Was den Schluß nahelegt, das Publikum verdient, was es bekommt. Aber rechtfertigt das auch den Abend? Wie ist das so mit „Volkes Stimme, Gottes Stimme“? Da gäbe es ja Beweise, dass das Volk sich irrt (wenn es mit überwältigender Mehrheit Hitler wählt oder dergleichen…) Aber offenbar ist die Kritikfähigkeit nicht nur den Theatermachern, sondern auch dem Theaterpublikum abhanden gekommen. Tempora mutantur, et nos mutamur in illis? Ist es so schlimm? Qualitätsbewußsein? Respekt? Einfach nur Verstand? Alles weg?
Wenn der Chef einer japanischen Firma ein solches Desaster zu verantworten hätte, würde er Harakiri begehen. Das Äquivalent für die Direktorin eines österreichischen Theaters kann nur darin bestehen, ihren Schreibtisch zu räumen. Auf der Stelle.
Renate Wagner