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WIEN / Volkstheater: KASIMIR UND KAROLINE

22.03.2017 | KRITIKEN, Theater

kasimir-und-karoline die zwei
Fotos: (c)APA/Hans Punz

WIEN / Volkstheater:
KASIMIR UND KAROLINE von Ödön von Horváth
Premiere: 17. März 2017,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 21. März 2017

Ödön von Horvaths Stücke bieten eine brisante Mischung von gnadenlosem Durchleuchten der Bestie Mensch und dem tiefen sozialen Mitleid mit den armen Hascherln, die er da auf die Bühne stellt. Das ist bei „Kasimir und Karoline“ (1932) – sein neben den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ meist gespielten Stück – nicht anders. Aber eines ist Horvath immer, nämlich der Realist, der seine Menschen in ihre konkrete Umwelt mit ihren Nöten und Zwängen stellt.

Nun ist der Vorarlberger Regisseur Philipp Preuss nicht der Erste, der Horvath seinen Realismus austreibt: Marthaler etwa hat es auch schon erfolgreich versucht. Die Frage ist, was übrig bleibt, wenn man die Geschichte auf eine nach und nach rein stilisierte Ebene hebt. Dabei hilft Preuss schon das Bühnenbild von Ramallah Aubrecht. Für das Oktoberfest steht auf einer Drehbühne eine karussellartige Rundkonstruktion, deren zahllose Schnüre je nach Beleuchtung transparent oder bunt wirken.

In nahezu permanenter Drehung, zu nahezu permanenter Populärmusik ist die Logistik der Inszenierung einfach: Die Darsteller sind entweder drinnen oder draußen. Sind sie drinnen, dann waltet der Castorf-Effekt, den man langsam überwunden hoffte – ein Kameramann wieselt herum, filmt die Darsteller, eine Videowand senkt sich am Oberteil der Bühne, und je grotesker die Schauspieler in dieser Verfremdung aussehen, umso lieber ist es dem Regisseur zweifellos. Nun, man ist am Rummelplatz, vielleicht hat er an ein Spiegelkabinett des Lebens gedacht…

Sind die Darsteller „draußen“, also vor dem sich drehenden Karussell, dann zeigt sich schnell, dass Preuss es auf die Dekonstruktion des Stücks anlegt – durch groteske Überzeichnung der Figuren, durch sich steigende Irrealität, so dass die Geschichte gegen Ende, sobald Karolines Autoausflug mit dem „Direktor“ per Unfall beendet wurde und sie zu Kasimir zurückkehren will, völlig gespenstische Züge annimmt. Da kommt die Sprache nur noch verhallend über Mikrophone, Karolines Gesicht erscheint riesig und anklagend auf den Karussell-Fäden projiziert, man fühlt sich schlechtweg in einer Gespenstergeschichte.

Kasimir ihr Gesicht~1

Dazu ist die Quälerei des Publikums eingeplant (Preuss hat auch in das Stück eingegriffen), wenn Karolines Liebhaber Nr. 2, Schürzinger, sie zwingt, „alles wird besser, besser, besser“ dermaßen schier unendlich zu wiederholen, dass das brave Abonnementpublikum (das von den zwei pausenlosen Stunden nicht sehr begeistert schien), tatsächlich zu protestieren begann. Es war auch der seltene Fall, wo man in einer Repertoirevorstellung am Ende eine Missfallenskundgebung (neben dem üblichen Applaus) erlebte…

Stefanie Reinsperger, des Volkstheaters Star der beiden letzten Jahre, erlebte ihre letzte große Premiere, bevor sie sich in der nächsten Spielzeit (nach ihrer sommerlichen Buhlschaft) nach Berlin begibt. Sicher eine große Rolle, die Karoline, und sie darf sie bis zu einem Exzess ausspielen, wie es so eigentlich nicht in der Figur angelegt ist. Ihre Karoline ist von Anfang an rabiat – wenn sie Kasimir erklärt, sie sei ein sanftes Geschöpf, ein scheues Reh, dann brüllt sie das mit einer Wut und Aggressivität, dass das Theater wackelt. Hektisch und entschlossen lässt sie Kasimir hinter sich, sucht ein besseres Leben an der Seite von viel versprechenden Herren, die keine sind, und scheitert. Das ist über-laut, über-aufdringlich und über-tragisch in einer Größenordnung, wie es dem einfachen Geschöpf von Horvath eigentlich nicht zukommt. Vor allem aber ist es Theater – brillant gekonnt, aber nicht echt.

Der Kasimir des Rainer Galke ist das ganze Gegenteil. Er ist von Anfang an ein Brocken Lethargie, er spielt dermaßen gar nicht mit, dass er die meiste Zeit an der Bühnenrampe sitzt und offenbar gar nicht belästigt werden möchte. Während Karoline entschlossen losprescht, bleibt er lethargisch zurück. Etwas von seiner Behäbigkeit hat auch dem Merkl Franz seine Erna in Gestalt von Birgit Stöger, deren ewig gleiche Sprech-Manierismen (maulig, immer mit künstlichen Verzögerungen) langsam wirklich nerven. Warum ihr der Regisseur eine Szene aus „Glaube, Liebe, Hoffnung“ eingebaut hat (in diesem Fall will sie ihre Leiche verkaufen), wissen die Götter. Es geistert ja auch ihr im Weltkrieg verstorbener Bruder, den es realiter bei Horvath nicht gibt (Luka Vlatkovic) hier über die Bühne. Ergänzungen, „Verbesserungen“, die wohl keine sind.

Kaum von Lebensechtheit angekränkelt, finden alle Darsteller schnell zur künstlichen Übersteigerung ihrer Figuren: die schäbigen Lebemänner (Michael Abendroth und Lukas Holzhausen), die überdrehten Nutten, die am Ende ihre Gesichter wie Skelette geschminkt haben (Seyneb Saleh und Nadine Quittner, die ein entsetzliches Affentheater abziehen müssen), Sebastian Klein als Schürzinger und Kaspar Locher als der eher unauffällige Merkl Franz. Ob es den „Direktor“, den Thomas Frank via Video spielt, bei Horvath gibt, möchte man auch bezweifeln.

Aber mit Horvath hat die Sache ohnedies wenig zu tun. Da hat Philipp Preuss im Interpretationswahn weit über das Stück hinausgeschossen – oder ging es nur darum, Stefanie Reinsperger eine Karoline zu bescheren, die man nicht vergessen wird… so oder so?

Renate Wagner

 

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