Foto: (c) Marcel Urlaub
WIEN / Volkstheater:
KAROLINE UND KASIMIR – NOLI ME TANGERE
Uraufführung nach Ödön von Horvath
Premiere: 25. Februar 2022
Warum „Kasimir und Karoline“? Die Antwort ist einfach und ehrlich: Weil man mit diesem Horvath-Stück in Wien Leute ins Theater lockt, auch wenn sie dann etwas ganz, ganz anderes zu sehen bekommen. Das heißt, um Horvath geht es doch. Aber wahrscheinlich muss man einen großen Teil des Berichts darauf verwenden, zu erklären, was da stattfindet – und was es, nach Wunsch der Beteiligten, eigentlich soll…
Erst einmal: Genau hinsehen, der Titel lautet diesmal „Karoline und Kasimir“, mit dem Zusatz „Noli me tangere“, was sich auf einen Film von Jacques Rivette bezieht, aber diesen Zusammenhang aufzudröseln, würde zu weit führen und ist eigentlich für das Gebotene nicht wichtig. Gestaltet wurde der Abend von den beiden Regisseuren Pavol Liška und Kelly Copper, die für das Nature Theater of Oklahoma stehen. Die dort gepflegte Arbeitsmethode, das Theatermachen in seiner Sinnhaftigkeit zu hinterfragen, zieht sich durch den Drei-Stunden-Abend, den die Gäste aus Horvaths Werk und eigenen Reflexionen zusammen gestückelt haben, wobei „Kasimir und Karoline“ die geringste Rolle spielt.
Wenn da in einem Bühnenbild, das den Bühnenrahmen des Volkstheaters verdoppelt (samt zwei hoch gelegenen Logen) der „Regisseur“ und ein „Schauspieler“ stehen und zu sinnieren beginnen – dann tun sie es auf Englisch. Sie sprechen beispielhaft klar, wer die Sprache beherrscht, wird keine Schwierigkeit haben, sie zu verstehen, wer nicht, wird sich fragen, warum er in einem Wiener Theater die längste Zeit einer Fremdsprache zuhören muss. Aber so ist es eben, und Elias Eilinghoff als der immer wieder zaudernd-fragende Regisseur und Bence Mezei als der etwas zweifelnde, aber meist zustimmende Schauspieler kommen sehr amüsant herüber (wenn auch hier schon: zu lang).
Welchen Sinn macht konventionelles Theater, fragen die beiden – und zeigen in der Folge (und dann auf Deutsch), was sie unter neuen Zugängen verstehen.
Damit das titelgebende Stück nicht ganz zum Bluff verkommt, wird die Handlung vorgelesen und von den Darstellern zur Hälfte schnell-verkürzt und pantomimisch geboten. Bence Mezei liest vor, und wenn der Pressetext verrät, dass er ein ungarischer Tänzer ist, der kein Deutsch spricht, dann ist seine Leistung schlechtweg phämonemal, zumal er am Ende auch den sterbenden Horvath mimt.
Denn die Produktion ist ein Stück über Ödön von Horvaths letzte Lebenstage in Paris geworden. Man sieht ihn im Hotelzimmer mit seinem eigenen Doppelgänger (Spiegelbild) monologisierend (auch aufs Klo gehend, weil das ja offenbar heutzutage dazu gehört), man begleitet ihn dann ins Kino, wo Walt Disneys Zeichentrickfilm „Schneewittchen“ nachgespielt wird (teils auf Rollschuhen, in virtuoser Bewegungschoreographie und viel zu lang). Und am Ende ist man mit ihm im Kaffeehaus, wo er Robert Siodmak trifft, und erlebt seinen Tod auf den Champs Élysées, wo Horvath – auf dem Weg in die Emigration .- während eines Gewitters von einem herabstürzenden Ast erschlagen wurde…
Schön und brav, von einem Schauspieler-Septett (zwei Damen, fünf Herren) durchaus virtuos gespielt, aber von der Logistik des Abends her gänzlich unökonomisch. Die einzige Szene, die man gern noch länger sehen würde, wäre die – an sich völlig unmotivierte – Tanzeinlage, die von den Herrschaften geboten wird, so perfekt und damit stilisiert vergnüglich, dass sie auf eine Musical-Bühne gehen könnten. Ein netter Aufputz, während die Wien-Beschimpfung, die sich durch eine emigrierte Wienerin im Café abspult (und den Wienern eine besonders lustvolle Beziehung zu Fäkalien nachsagt, von ihren sonstigen breit getretenen schlechten Eigenschaften ganz zu schweigen), zwar brillant ist, aber endlos-ermüdend und repetitiv, desgleichen Horvaths Sterbeszene (wo man ihn, bevor er erschlagen wird, vom Blitz getroffen noch „hinwegschmelzen“ lässt).
Wäre das das Ganze um eine Stunde kürzer, hätte man mehr davon, zumal die darstellerischen Verfremdungs-Mittel (die immer wieder an Tanztheater erinnern) ja bald bekannt sind. Es geht nicht um Lösungen, lassen uns die Regisseure wissen, the project ist sozusagen the message, der Weg ist das Ziel.
Gutes Theater ist es gewiß, aus den Darstellern ragen die beiden schon Genannten heraus, aber auch alle anderen leisten Hochseilartistik: Frank Genser, Lavinia Nowak, Julia Franz Richter, Samouil Stoyanov und Jürgen M. Weisert.
Was wäre, wenn der Abend nicht unter fremder Flagge gesegelt wäre? Ein ehrliches „Horvath in Paris“ hätte wohl nicht allzu viele Zuschauer gelockt. Aber auch die, die für ein Horvath-Stück gekommen sind und eines über den Dichter vorfinden, sehen Theater, das sich lohnt. Auch wenn es ein Paradebeispiel für mangelnde Theater-Ökonomie ist.
Renate Wagner