Fotos: Volkstheater
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KAMPF-L.O.L.I.T.A. (EVOLUTION IST CHEF) oder L.O.L.I.T.A. D.Z.I.O. (ZARDOZ FLIEGT WIEDER!)
Universums-Uraufführung
Premiere: 4. November 2021
Man sollte meinen, Jonathan Meese habe schon ausreichend Medienwirbel um seine Person veranstaltet (etwa, als man ihn dann doch nicht in Bayreuth inszenieren ließ), um mit seinem Namen das Volkstheater zu füllen. Es reichte nicht, es kamen wohl nur seine Fans – und ein paar, die es nicht waren. Die suchten im Lauf des mehr als dreistündigen Abends ohne Pause (!) das Weite.
Der Titel ist so abstrus wie das Gebotene – KAMPF-L.O.L.I.T.A. (EVOLUTION IST CHEF) oder L.O.L.I.T.A. D.Z.I.O. (ZARDOZ FLIEGT WIEDER!), und es gibt noch einen Zusatz: oder L.O.L.I.T.A DE LARGE (Das 3. Baby) oder DIE BARBARENLOLITAS (Kampf um Kunst) oder DR. ERZLOLITA DE L.O.L.I.T.A (ZARDOZ LEBT) oder DIE ZARDOZLOLITAS (Keine Angst).
Bleiben wir, der Praktikabilität wegen bei „Kampf Lolita“, und der Abend beginnt damit, dass eine alte Dame, die, wie man erfährt, Mutter Meese ist, per Video auf den Vorhang des Hauses geworfen und etwas über den Text stolpernd, eine ziemlich lange Inhaltsangabe von Nabokovs weltberühmtem „Lolita“-Roman vorliest. Doppelt überflüssig – wer sich von diesem Namen ins Theater locken lässt, weiß wohl, worum es geht; und außerdem hat das Gebotene mit Lolita (außer, dass gelegentich Lo-li-ta skandiert wird) kaum etwas zu tun. Meese hat als sein eigener Ausstatter viele Hintergrund-Wände gemalt, der erste zeigt die Köpfe alter Römer, Wilhelm II., Lenin, Stalin, Mussolini – und Hitler. Und genau um diesen geht es. Den ganzen Abend wird eigentlich nur die „Abschaffung Deutschlands“ ins Publikum gebrüllt. Eine Polit-Posse.
Im Grunde ist der Abend auf der vollgemüllten Bühne ein für Meese typischer Verschnitt aus Schlingensief / La MaMa / Performance, dargeboten von laut Pressetext „einem der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler Deutschlands“. Einer, der sich am besten verkauft, ist er auf jeden Fall. Und dass er sein Handwerk versteht – keine Frage. Der angebliche Improvisationscharakter seiner Abende hat schon einen harten Kern des Gestalteten – sonst wirkt das nicht so salopp. Und im übrigen ist es die totale Veräppelung des Publikums. Gekonnt immerhin.
Die Anti-Nazi, Anti-Deutschland-Show kam also am Volkstheater heraus, da es offenbar eine Bindung zwischen Meese und Kay Voges gibt. So richtig in den Theaterbetrieb wird diese Aufführung (die eigentlich in ein Performance-Festival wie die Wiener Festwochen gehört) nicht kommen. Die nächste Vorstellung findet am 2. Dezember statt, dann werden noch weitere für den Jänner angekündigt. Für ein Publikum mit guten Nerven.
Man hätte – ja, wenn man es geahnt haben würde! – gleich von Angang an mitzählen sollen, wie oft man an diesem Abend das „Horst Wessel-Lied“ anhören musste, „Die Fahne hoch“, schrecklich mit kippender Stimme (ohne Gesangsqualitäten) dargeboten von Lilith Stangenberg, eine doppelte Qual (vom Inhalt und der Darbietung) es anzuhören, bis sich die „braunen Bataillone“ zur wahren Folter gestalteten. Da war man direkt glücklich, als die Musik es sich kurz überlegte und man in den „Griechischen Wein“ eintauchen konnte (auch wenn es bei Meese „deutscher Wein“ ist). Sogar Rammstein am Ende war besser als immer wieder „Die Fahne hoch“… Na ja, wird Meese sagen, die Vergangenheit soll ja wohl quälen. Und die von ihm gebotene Theatergegenwart auch. Schade, dass nicht lieber Richard Wagner gesungen wird, der natürlich immer wieder zitiert wird – der deutsche Künstler. Übrigens: „Kunst ist Scheiße!“ , eh klar
Es ist ein wohl gestaltetes Chaos, das Maximilian Brauer, Uwe Schmieder und besagte Lilith Stangenberg bieten, sie die einzige Frau, die – Lolita in allen Lebenslagen – alles mit sich machen lassen muss, auch auf der Bühne schreiend gebären, was die Pappmaché-Missgeburt soll, wer weiß. Man müsste den Meese-Kosmos besser kennen. Aber lohnt es sich?
Das allgemeine Geblödel wird noch durch zwei Video-Schirme links und rechts zersplittert, links läuft „Der Fan“ von 1982, Desiree Nosbusch sehr jung und Lolita-like, sexueller Missbrauch damals schon, rechts „Zardoz“ mit Sean Connery, die berühmte Science-Fiction-Geschichte von 1974, wo Connery sich noch viel sexier ausstellte als in seinen Bond-Filmen. Wo der Zusammenhang ist… wer weiß.
Im Zentrum des Geschehens steht jedenfalls Jonathan Meese selbst, ein Brocken von einem Mann, mit schier unermüdlicher Kraft und nie versiegender Lust, sich über die Bühne zu blödeln. Und, sozusagen in letzter Minute zum Team gestoßen: Martin Wuttke. Angeblich Ensemblemitglied an der Burg, hat er die Inszenierungen von Castorf und Simon Stone geschwänzt, wo er wahrlich hin gehört hätte, und zeigt nun seine Neigung zum Exzess bei Meese. Natürlich, wenn zwei so brillante Kerle zusammen kommen, dann gibt es auch die eine oder andere Köstlichkeit – ein Blödeldialog („Ich habe Hitler gekannt, aber ich bin nicht er“) ist dann schon Kabarett der Extraklasse. Allerdings kaum ausreichend, um das Publikum mit einem überlautstarken Dauergewitter an Nonsense (der sich natürlich schrecklich tiefsinnig und hintergründig gibt) zu versöhnen…
Doch diejenigen, die da waren und geblieben sind, klatschten heftig – allerdings vergeblich. Eine Verbeugungstour der Mitwirkenden gab es nicht. Also verzog man sich bald – und manch einer wohl auch erleichtert. Die Nervenprobe, die dieser Abend darstellt, ist nicht gering zu schätzen. Den Karl-Marx’schen Mehrwert wird man dagegen nicht allzu hoch ansetzen.
Renate Wagner
V o l k s t h e a t e r
4. November 2021
KAMPF-L.O.L.I.T.A. (EVOLUTION IST CHEF) oder L.O.L.I.T.A. D.Z.I.O. (ZARDOZ FLIEGT WIEDER!)
Universums-Uraufführung
oder L.O.L.I.T.A DE LARGE (Das 3. Baby) oder DIE BARBARENLOLITAS (Kampf um Kunst) oder DR. ERZLOLITA DE L.O.L.I.T.A (ZARDOZ LEBT) oder DIE ZARDOZLOLITAS (Keine Angst)
von Joachim Meese
Mit
Maximilian Brauer
Jonathan Meese
Uwe Schmieder
Martin Wuttke
Lilith Stangenberg
Anke Zillich
Regie, Bühne, Kostüm Jonathan Meese
Dramaturgie, Soundtrack Henning Nass