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WIEN / Volkstheater: IPHIGENIE IN AULIS | OCCIDENT EXPRESS

09.09.2017 | KRITIKEN, Theater

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Foto: Volkstheater / lupismpuma.com

WIEN / Volkstheater:
IPHIGENIE IN AULIS von Euripides / Soeren Voima
OCCIDENT EXPRESS von Stefano Massini
Premiere: 8. September 2017

Fand man schon ein wenig penetrant, wie Herbert Föttinger in der Eröffnungspremiere der Josefstadt den moralischen Zeigefinger erhoben hat, so ist das gar nichts im Vergleich zur Eröffnungspremiere des Volkstheaters. Für Anna Badora scheint die Bühne nur dazu da zu sein, anklagende Botschaften über Fakten zu vermitteln, die jeder kennt: Ja, es werden immer und überall um jeden Preis Kriege geführt, und das ist schlecht; ja, jeder Flüchtling in unseren Straßen hat eine schreckliche Reise hinter sich, und das ist furchtbar.

Dass die beiden an einem Abend gebotenen, hintereinander gespielten Stücke, „Iphigenie in Aulis“ von Euripides und „Occident Express“ von Stefano Massini dennoch nicht zusammen passen, stört sie nicht – denn die Folge des Trojanischen Krieges war das Elend der Kriegsgefangenen, nicht jenes der Flüchtlinge. Aber wer wird schon so kleinlich sein, wenn man unbedingt etwas zu sagen hat? Man muss sein Konzept nur oft genug wiederholen, und alle werden verständnisinnig zustimmend nicken.

Die „Iphigenie in Aulis“ ist zweifellos eine Tragödie der besonderen Art, denn sie handelt nur in zweiter Linie vom Krieg, der aus politischen Erwägungen in Gang gesetzt wurde. Tatsächlich ist es die Tragödie des Königs Agamemnon, dem das Herz bricht, weil Kalchas als Sprecher des göttlichen Willens von ihm verlangt, seine geliebte Tochter Iphigenie zu opfern – das Menschenopfer, das eigene Kind, wir haben es auch bei Idomeneo, das ist normalerweise herzzerreißend.

Nicht so im Volkstheater, wo man eine Klamotte vorgesetzt bekommt. Bearbeiter „Soeren Voima“ (Einzelperson oder Autorenkollektiv) hat für den Euripides des Volkstheaters zusätzliche Chorpassagen geschrieben – vom Original ist ohnedies nicht viel vorhanden, die Tendenz lautet eindeutig: Man mache die Geschichte möglichst lächerlich. Und so wollte Anna Badora sie wohl auch haben.

Da bietet die Bühne von Damian Hitz im Zentrum das Meer, sprich ein Plantschbecken für die Schauspieler, der gute Castorf, bei dem es auch nicht ohne Wasser geht, lässt grüßen (auch mit der Videowand im zweiten Teil ebenso). Kann schon vorkommen, dass die beiden königlichen Brüder Agamemnon und Menelaos sich da ihre Ruderleiberln ausziehen, auf einander eindreschen und eine schöne Wasserschlacht daraus machen, nicht lustig gemeint. Und Königin Klytämnestra ist über weite Teile ihrer Rolle damit beschäftigt, die prachtvolle Schleppe ihres eindrucksvollen roten Kleides (Kostüme, bunt durcheinander: Irina Bartels) durchs Wasser zu ziehen und sich dann damit zu befassen, wie man möglichst nicht über den nassen Fetzen fällt. Sehr lustig ist auch Achill mit dem Zottelhaar (soll der nicht ein Held des Trojanischen Krieges gewesen sein?), der die Königin nicht erkennt und sie gleich umlegt – wenn sie ihm nicht rasch sagte, wer sie ist, er wäre schon voll in Aktion.

Nun ist diese Menchenopfer-Geschichte etwas, über das man legitimerweise wirklich nicht lachen kann, darum versteht man den Ansatz der Regisseurin – Direktorin Anna Badora hat sich selbst besetzt – keine Sekunde lang. Ein Chor aus fünf jungen Damen, die sich wie kreischende Teenager benehmen, helfen der Geschichte auch nicht. Welcher Geschichte? Was sieht man eigentlich?

Man weiß nur von Anfang an eines, sobald Sebastian Pass seinen ersten Satz spricht – die Sprechqualität des Ensembles ist mit ganz wenigen Ausnahmen elend, und auch als offenbar irgendetwas an einer Tonanlage gerichtet wurde, blieb die Verständlichkeit des Gebotenen bescheiden. Aber, wie gesagt, ganz offenbar steht „Theater“ (mit dem, was man da können sollte) an zweiter Stelle. Zuerst will man etwas sagen. Aber im Fall der „Iphigenie in Aulis“ (wo es hier natürlich kein Happyend gibt, das die Götter bei Euripides gewähren), bleibt es gänzlich uneinsichtig, was eigentlich ausgesagt werden soll.

Und die Schauspieler des Hauses (die zum Teil so schlecht sprechen) erzielen nicht sonderlich viel – am ehesten noch die ironiegetränkte Klytämnestra der Anja Herden, während man sich (das ist natürlich der Fehler des Betrachters) eine Iphigenie anders vorstellt als Katharina Klar. Henriette Thimig, Tochter von Hans Thimig und nach dem Tod ihrer Cousine Johanna wohl das letzte Mitglied des großen „Clans“ auf der Bühne, geht im ersten Stück als alter Mann durch, darf im zweiten Stück die zentrale Rolle der Großmutter auf der Flucht verkörpern. Rainer Galke als grobschlächtiger Agamemnon, Lukas Holzhausen als geschmeidiger Menelaos, Jan Thümer als total törichter Achill und Sebastian Pass als unverständlicher, aber jedenfalls absolut widerlich sein sollender Odysseus liefern keine Leistungen, an die man sich erinnern wird. Dazu noch die fünf jungen Damen als der albern hüpfende „Chor“…

Noch problematischer wird der zweite Teil des Abends, „Occident Express“ des Italieners Stefano Massini, der nicht nur ein Stück über die Lehman Brothers geschrieben hat, sondern auch über Konflikte am Balkan und unter Palästinensern. Seine Geschichte einer Flucht aus Syrien bis Stockholm erzählt von Haifa, einer alten Frau aus einem syrischen Dorf, die mit ihrem Enkel Nassim die Flucht antritt, nachdem der Krieg zu ihnen gekommen ist.

Und man sollte bei aller würgenden Qualität des Geschilderten (weil man sich das Geschehen so im Detail ja doch nicht vorstellen kann), nicht vergessen, an die Löcher in der Geschichte zu denken. Woher etwa hat diese Frau, deren Leben in dem Dorf schon vor dem Krieg als ultimatives Elend geschildert wurde, die Tausende von Dollars, die sie während ihrer Flucht brauchte, um weiterzukommen? Und wieso ist die Schilderung so selektiv – oder geht es von Ungarn nach Leipzig nach Danzig so blitzschnell, weil da nichts Schreckliches mehr zu berichten ist und man erst wieder bei dem Grauen einsetzt, in einem Container zu landen, der nach 20 Stunden in Stockholm geöffnet wird – oder eben nicht, wenn man Pech hat?

Und wie stellt man dergleichen überhaupt dar? Ist Anna Badora nicht in den Sinn gekommen, dass der kritische Programmheftartikel von Milo Rau (Schweizer politischer Theatermacher und Essayist) über Europas zynischen Humanismus auch ihren Versuch trifft, dieses Elend einer Flucht auf die Bühne zu bringen? Wird hier nicht auch versucht, per Medienereignis etwas auszubeuten, um sich nachher selbst gut zu fühlen? Gezielt Empörungskapital verwerten?

Die Darsteller des ersten Stücks versammeln sich nun – teils noch in den alten Kostümen – im zweiten. Sie scheinen einen Monolog in verteilte Rede zu zersplittern, wobei es offenbar gar nicht wichtig ist, dass man alles akustisch versteht. Vielmehr soll es Knalleffekte regnen – von Nacktheit bis zur völliger Verdreckung durch Öl (so müssen Flüchtlinge durch ein „Rohr“ vom Irak in die Türkei kriechen). Katastrophale Stürme (und entsprechendes Gekreische) im Mittelmeer, wo nur ein Drittel der Leute im Boot überlebt. Der Zaun zwischen Griechenland und Mazedonien, wo ein Kind vorausgeschickt wird, um zu überprüfen, ob der Boden vermint ist – das ist wohl der billigste „Spannungseffekt“. Und immer wieder die bösen Menschen, die aus den Flüchtlingen Geld schlagen – und Schlimmeres: Die Fahrt in Ungarn wird damit bezahlt, Drogenpäckchen zu schlucken.

Ja, es ist sicher alles wahr, es ist unvorstellbar, aber kann und soll man es so darstellen? Wenn es „Flüchtlingsfolklore“ werde, seien sie selbst schuld, meint Anna Badora. Das liegt wohl nun im Auge des Betrachters…

Renate Wagner

 

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