Fotos: Marcella-Ruiz-Cruz
WIEN / Volkstheater:
ICH MÖCHTE ZUR MILCHSTRASSE WANDERN!
„Weltuntergang“, „Astoria“, „Vineta“ und andere Texte von Jura Soyfer
Premiere: 12. September 2025
Soyfer-Musical-Polit-Mix
Man ist Jan Philipp Gloger schon einige Male als Regisseur begegnet, nie sehr aufregend, um die Wahrheit zu sagen, ein wenig inspirierter „Holländer“ in Bayreuth, grottenfad mit „Nebenwirkungen“ im Burgtheater, verdreht das „Weiße Rössl“ an der Volksoper. Nun ist der 44jährige, der bisher Schauspieldirektor in Nürnberg war, als Direktor des Volkstheaters in Wien angetreten und hat gleich zu Beginn vieles richtig gemacht. Und das hat ein Haus, das in den letzten zehn Jahren von Anna Badora und Kay Voges nach allen Regeln der Kunst ruiniert wurde, auch bitter nötig.
Glogger wählte zum Einstand einen österreichischen Autor (auch wenn dieser einst im russischen Kaiserreich geboren wurde) – eben nicht einen Klassiker, man hätte es sich mit Nestroy leicht machen können, sondern Jura Soyfer. Ältere Theaterbesucher sind mit dessen Werk nicht zuletzt durch das einst von Georg Mittendrein gegründete Jura-Soyfer-Theater vertraut.
Die Idee, Elemente von dreien seiner fünf Stücke (alle knapp vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden), zu collagieren, erwies sich als einsichtig. Unter dem Titel „Ich möchte zur Milchstraße wandern!“ hat Glogger „Weltuntergang“ (kompletter Titel; „Der Weltuntergang oder Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang“) „Astoria“ und „Vineta“ gekürzt vereint und auch den „Sketch“ hinzugefügt, mit dem Soyfer hundert Jahre voraus gesprungen ist: „Geschichtsstunde im Jahre 2035“.
Man kennt Soyfers unverwechselbare Handschrift zwischen Volksstück, Kabarett, Absurdität und politischer Implikation, und der Abend bedient in der Regie des Direktor alles. Der „Weltuntergang“ beleuchtet das Wiener Wesen – „Gemma halt a bisserl unter“, so schlimm wird es wohl nicht werden. „Astoria“, der Staat, den es nicht gibt, der aber wegen seines angeblichen Reichtums als echt genommen wird, ermöglicht Szenen mit absolut aktuellem Anstrich – wie weist man Menschen, die unbedingt hier einwandern wollen, schon a priori ab? Auch anderes Polit-Geplänkel kommt einem höchst bekannt vor. Und wenn es dann nach „Vineta“ geht, womit ja doch Wien gemeint ist, wird die menschliche Sinnfrage nicht gelöst – auch nicht, wenn der Weltuntergang dann den Rahmen des zweieinviertelstündigen, pausenlosen Abends schließt. Dass diesr Weltuntergang ja doch nicht stattgefunden hat, erfährt man, und dass Jura Soyfer im Alter von 26 Jahren im KZ Buchenwald ermordet wurde, auch…
Jan Philipp Gloger geht es in seiner Inszenierung vor allem um Unterhaltung, und das ist schade, weil im schnellen, heftig bewegten Geschehen vieles nicht klar wird, weil Dinge, die man sprachlich und gedanklich hätte ausarbeiten sollen, gewissermaßen in Gesang und Tanz versinken, wobei Kostia Rapoport am Klavier ganz Vorzügliches leistet. Und Bühnenbild (Marie Roth) und Kostüme J(ustina Klimczyk) tragen ideenreich Weiteres zum Musical-Charakter des Abends bei. Sicher wollte Jura Soyfer mit seiner lockeren Hand nicht, dass man seine Stücke – die absichtsvoll absurdes Geblödel und kabarettistischen Schmäh enthalten – zu ernst nimmt. Aber wir wissen es doch eigentlich besser.
Zwei Damen und vier Herren standen auf der Bühne, nur einer davon – Samouil Stoyanov – ist von früher bekannt, der Rest stellte sich als neue Ensemblemitglieder vor. Alicia Aumüller darf in den „Astoria“-Szenen stellenweise (sicher nicht ohne Absicht) aussehen wie Beate Meinl-Reisinger, Sissi Reich wirkt am stärksten, wenn sie als verzweifelter Wissenschaftler einer Mitwelt, der das völlig egal ist, klar machen will, dass die Welt untergeht! Maximilian Pulst, Tjark Bernau und Andrej Agranovski verwandeln sich andauernd und sind ohne Unterlass präsent – Genaueres über sie wird man erst wissen, wenn sie in anderen Rollen auf der Bühne stehen.
Das Publikum nahm den Abend überaus herzlich auf, und es war der Direktor selbst, der den Beifall unterbrach. Er bat nämlich alle Beteiligten (auch die Bühnenarbeiter sowohl jene Darsteller des Hauses, die an diesem Abend im Zuschauerraum saßen) auf die Bühne, um seine Direktion am Volkstheater auch würdig zu eröffnen. Eine besonders schöne Geste war es, dass er auch Emmy Werner her gebeten hatte – das scheint ein gutes Zeichen dafür zu sein, dass die Absicht besteht, an diesem Haus wieder Theater zu machen. Am Ende knallte eine Champagnerflasche, Flitter flog durch die Luft und man fühlte sich so richtig wohl.
Im Foyer wurde man noch mit einem Glas Sekt verabschiedet und schied in der Hoffnung, dass nun im Volkstheater, dem einst so geliebten Haus, wieder bessere Zeiten anbrechen werden.
Renate Wagner