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HÖLLENANGST von Johann Nestroy
Premiere: 23. September 2017
Erfahrungen erzeugen Erwartungen, und die erste Nestroy-Erfahrung der Ära Badora (vor knapp zwei Jahren, in ihrer ersten Saison) mit „Zu ebener Erde“ waren katastrophal. Auch Bilder erzeugen Erwartungen, und die Fotos, die man vorab von „Höllenangst“ sah, ließen an ein U-Boot oder bestenfalls Horvath denken – alles nur nicht Nestroy. Allerdings sagt die Erfahrung auch, dass der Regisseur Felix Hafner sich in der vorigen Saison intelligent und erfolgreich mit Molières „Menschenfeind“ auseinandergesetzt hat… Und so gab es dann die positive Überraschung: Man sah einen hoch stilisierten, aber in sich stimmigen Nestroy-Abend.
„Höllenangst“ von 1849 lässt vor allem in den Hauptfiguren, der Familie Pfrim, die Revolution nachläuten, gibt der Beschwerde der armen Leute lautstark Raum. Auch der durchaus lockere Umgang mit der Religion wäre davor nicht möglich gewesen. Dramaturgisch ist das Stück jedoch – von Nestroy wie so oft nach einer französisches Posse umgedichtet – ein wackeliges Intrigenchaos, das es unmöglich macht, irgendetwas daran auch nur annähernd ernst zu nehmen.
Also kann der rasante Possenstil des Regisseurs, auf durchgehenden Slapstick-Wahnsinn ausgerichtet, in den eindreiviertel pausenlosen Stunden durchaus greifen – mit der einzigen Einschränkung, dass das ewig auf gleichem Level durchgezogene, hyperaktive Geschrei und Gezappel natürlich nach und nach einförmig wird. Aber gerade für dieses Stück ist es eine amüsante stilistische Möglichkeit, zumal, wenn alle können, was sie sollen.
Immerhin bietet das an sich Grau in Grau gehaltene Bühnenbild (Camilla Hägebarth), dessen gebogene Wände für die sportliche Darsteller-Crew wie ein Turnsaal benützt werden, die Möglichkeit, die extreme Körperlichkeit dieser Inszenierung auszukosten und schafft einen neutralen Raum für ein Spiel, das keine reale Umwelt und in diesem Sinn auch keine „Atmosphäre“ braucht.
Dann hier stimmt vor allem der Umgang mit der Sprache und den Figuren, so dass die armselige Fetzen-Gegenwart der Kostüme (Johanna Hlawica) weiter gar nicht stört. Egal, woher die einzelnen Darsteller stammen, ihr „Nestroy’isch“ ist perfekt, klar, scharf und biegsam, es wird spürbar und hörbar von den Schauspielern selbst verstanden (man sollte nicht davon ausgehen, dass auf der Bühne immer jeder weiß, was er sagt…) und akustisch verständlich umgesetzt. Die Pointen sitzen – und die Charakterisierung der Figuren stimmt. Da gibt es auch ein paar ganz besondere Leistungen.
Vor allem wohl der alte Pfrim des gar nicht so alten Günter Franzmeier, der Erinnerungen an alle möglichen Vorbilder (die reichen immerhin von Hans Moser über Herbert Propst, Fritz Muliar, Heinrich Schweiger, Otto Schenk bis Martin Schwab) auf seine individuelle, herrlich großmaulige, aktive Art und Weise wegspielt, nicht der gemütliche Schatten seines Sohnes, sondern der höchst lebendige Mitspieler. Dieser alte Pfrim ist eine echte Nummer.
Thomas Frank (auf den Spuren von Hans Putz, Heinz Petters, Franz Morak, Robert Meyer, Karlheinz Hackl und Nicholas Ofzcarek – der Wiener Theaterbesucher kann seine Erinnerungen nie beiseite lassen) hat zwar optisch nicht die Wendigkeit eines Nestroy-Schauspielers, aber sprachlich und geistig bringt er sie jederzeit – und auch körperlich wird er, wie alle anderen gefordert, die schrägen Wände hinaufzuklettern und herunterzurutschen, oft in affenartigem Tempo. Dieser Wendelin vollführt den Veitstanz um seinen vermeintlichen Teufelspakt herrlich dynamisch und ist, ganz im Sinn der Figur, von Kopf bis Zeh heutig wirkender „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. Solcherart sind auch die Couplets zu „Songs“ geworden, von Clemens Wenger „gesoundet“, von Peter Klien zu nicht allzu penetranter Wahlwerbung umgeschrieben: Reaktion auf Aktuelles ist auf jeden Fall in Nestroys Sinn.
Isabella Knöll, in dieser Spielzeit neu am Haus, ist trotz ihrer Jugend eine Nestroy-Darstellerin von Instinkt und Format und gezielter Komik, ihre gleichfalls neue Kollegin am Haus, Laura Laufenberg, hat als Baronesse nicht ganz so viele Möglichkeiten wie das Dienstmädchen, tut aber ihr Trotzköpfchen-Bestes. Eine gar nicht larmoyante Mama Pfrim ist Claudia Sabitzer.
Unter den vielen Nebenrollen, an denen sich die für ein Stück dieser Art viel zu komplizierte Intrige aufhängt, sticht Christoph Rothenbuchner als „mephistophelischer“ und dabei liebenswürdig-verständiger Oberrichter hervor, den Wendelin für den Teufel hält. Mit Verve spielt Luka Vlatković einen Diener ins Zentrum des Geschehens, Gábor Biedermann, Stefan Suske, Valentin Postlmayr, Kaspar Locher und Mario Schober sind schon bei Nestroy nur Stichwortbringer, denen hier eine Menge Aktivitäten abverlangt werden.
Das Volkstheater war einmal ein Nestroy-Haus. Nun ist es wieder eines. Man kann sich darüber freuen.
Renate Wagner